Frage an Stephan Hilsberg von Michael P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Hilsberg,
trotz der Bedenken, die ich habe, ob Ihnen eine objektive Antwort möglich ist, möchte ich Sie doch fragen, aus welchem Grund Sie sich an dem eines demokratischen und rechtsstaatlichen Parlamentes unwürdigen Spektakel am 28. Mai 2008 beteiligt haben.
Ich nehme hier Bezug auf die aktuelle Stunde zu neuen Unterlagen über Gespräche des Abgeordneten Dr. Gysi mit dessen Mandanten in den Jahren 1979/1980. Mir ist in diesem Zusammenhang sehr wohl bewusst, dass es jedem Abgeordneten im Bundestag freisteht, seine Meinung zu den angesprochenen Sachverhalten uneingeschränkt zu äußern. Allerdings ist mir unverständlich, weshalb noch immer behauptet wird, dass Ihr Kollege Gysi inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR gewesen ist. Nach meinem Kenntnisstand ist ein Beweis für diese Behauptung bis zum heutigen Tage nicht präsentiert worden.
Es mag zwar richtig sein, dass es Indizien für eine Verbindung zwischen Herrn Gysi und der SED gegeben hat. Allerdings sollte doch auch Ihnen bekannt sein, dass jeder, der eines Fehlverhaltens, eines Vergehens oder gar eines Verbrechens beschuldigt wird, so lange als unschuldig gilt, bis seine Schuld bewiesen ist.
Warum lassen Sie die Unschuldsvermutung nicht auch für Ihren Kollegen Gysi gelten? Ist Ihnen nicht bewusst, dass Sie damit den Eindruck erwecken, lediglich aus parteipolitischen Gründen zu handeln?
Eine Anmerkung sei mir dazu noch erlaubt: Ich kenne das Ergebnis des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1998. Ich fürchte jedoch, dass auch dieses keinen Beweis für eine Tätigkeit des Herrn Gysi als IM darstellt. Letztlich haben hier Mitglieder von Parteien über das Mitglied einer konkurrierenden Partei geurteilt. Wirkliche Neutralität und Objektivität kann ich darin nicht erkennen.
Ich darf mich bereits jetzt für Ihre Erwiderung bedanken und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Michael Paar
Sehr geehrter Herr Paar,
vielen Dank für ihr Schreiben vom 30. Juni 2008, in dem Sie auf die aktuelle Stunde vom 28. Mai 2008 zur Stasivergangenheit des Bundestagsabgeordneten Dr. Gregor Gysi eingegangen sein.
Ich finde, meine Worte waren notwendig und richtig. Es ist nicht nur meine Aufgabe als Abgeordneter des Deutschen Bundestages eine strikte Aufarbeitung der Arbeit der Staatssicherheit und seiner Mitarbeiter vehement einzufordern, sondern es ist meine Pflicht gegenüber den Opfern der SED-Diktatur, für Aufklärung zu sorgen. Damit leiste ich direkte Arbeit für all diejenigen, die in der ehemaligen DDR zu Unrecht verfolgt, eingesperrt, misshandelt, denunziert oder sogar ermordet wurden. Herr Gysi steht als Bundestagsabgeordneter in der Öffentlichkeit. Er kennt die Spielregeln der Politik und im Übrigen beherrscht er sie ebenso gut: Aus diesem Grund schafft er es seit vielen Jahren immer wieder mit einem blauen Auge davon zu kommen, wenn es um seine Stasivergangenheit geht. Doch von mal zu mal wird es für ihn schwieriger, sein Lügennetz aufrecht zu erhalten, weil immer mehr Zeugen den Mut haben, auszusagen. Der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestags hat 1998 festgestellt, dass Herr Gysi zwischen 1975 und 1986 unter verschiedenen Decknamen für das Ministerium der Staatssicherheit (MfS) gearbeitet hat. In seinem Abschlussbericht kam der Ausschuss zu dem Ergebnis: Dr. Gregor Gysi hat „seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben. Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR.“ An diesem Ergebnis halte ich fest. Sie können sich es gern ansehen. Unschuldsvermutungen brauchen hier nicht gestellt zu werden. Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterzuhelfen.
Mit freundlichem Gruß
Stephan Hilsberg