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Steffen Bilger
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Frage von Horst S. •

Frage an Steffen Bilger von Horst S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Bilger,
Die Regierungskoalition hat sich nach dem Disaster in Fukuschima und der dadurch ausgelösten Angstpsychose in Deutschland - andere Länder haben da vernünftiger reagiert - hinreißen lassen, überstürtzt den Atomausstieg bis 2022 zu beschließen. Nebenbei gesagt, sollte die damit eingeleitete Energiewende schief gehen - was ich sehr stark befürchte - können insbesondere die Grünen ja ironisch behaupten, dass sie an diesem schwarz-gelben Beschluss nicht beteiligt waren.
Sei es so !
Es dürfte m. E. klar sein, dass zumindest nach dem vollständigen Ausstieg aus der Kernenergie der fehlende Beitrag zur Deckung der Strom-Grundlast, selbst nach weiterem massivem Zubau von Windkrafträdern und Sonnen-Kollektoren, keineswegs gedeckt werden kann.
Erst wenn dieser Grundlastanteil zum größten Teil durch Ökoenergien zur Verfügung gestellt werden kann, kann man insbesondere auch für die Industrie von einer gesicherten Stromversorgung nach 2022 rechnen (diese Tatsache verschweigt man gern).
Der Weg dort hin ist bekannt : massiver Netzausbau, Energie-Speichertechnik, Gaskraftwerke, Erneuerung alter fossiler Kraftwerke u.a.
Dies setzt allerdings ein schnelles, konsequentes durch entsprechende Gesetze und Verordnungen begleitetes Vorgehen mit zeitlich fixierten Zielen voraus. Bisherige Aussagen der Regierung zu diesem Thema sind so unbestimmt und nebulös, was mich nicht zum Optimisten macht.
Genau aber dieses zukunftsicherendes Vorgehen vermisse ich bei der derzeitigen Regierung. Deshalb ist meine Frage an Sie:
Ist demnächst zu erwarten, dass sich die Regierung frei von jeglichem Populismus und billigen Versprechungen konsequent und offen den zu lösenden Problemen durch klare zeitlich fixierte Zielsetzungen den Problemen, die mit der Energiewende , sprich Ausbau der zukünftigen Stromversorgung, zusammenhängen, zuwendet ?

Mit freundlichen Grüßen
Horst Seyfferth

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Seyfferth,

für Ihr Mail vom 24. Oktober 2011, in der Sie mir Ihre Bedenken hinsichtlich des Atomausstiegs in Deutschland und der Energiewende mitteilen, danke ich Ihnen.

Die Katastrophe von Fukushima hat uns ein weiteres Mal gezeigt, dass die Kerntechnologie, auch wenn sie auf höchstem technischen Niveau betrieben wird, nicht frei von erheblichen Risiken ist. Die Koalition unter Führung der Bundeskanzlerin hat deshalb entschlossen gehandelt und die sicherheitstechnische Überprüfung aller deutschen Kernkraftwerke veranlasst. Dass es sich hierbei nicht um wahltaktische Manöver handelt gebietet zum einen die Ernsthaftigkeit des Geschehnisses und zum anderen der Respekt vor den Opfern. Auch wird es dadurch deutlich, dass dieser Weg auch nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg konsequent weitergegangen wird.

CDU/CSU und FDP haben ohnehin von jeher einen Ausstieg aus der Kernkraft unterstützt und diesen unter die Prämissen der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit gestellt. Wenn wir nun erheblich schneller aus dem Atomzeitalter aussteigen als geplant, müssen auch erheblich mehr Anstrengungen hinsichtlich erneuerbarer Energien erfolgen. Vor diesem Hintergrund unterstütze ich ausdrücklich die Vorgehensweise der Bundesregierung.

Die Bundesregierung hat bereits 2010 ein Energiekonzept vorgelegt, in dem eine Gesamtstrategie für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung bis zum Jahr 2050 aufgezeigt wird. Bis 2050 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf 80 Prozent gesteigert, der Primärenergieverbrauch in Deutschland halbiert und die Emission klimaschädlicher Treibhausgase um mindestens 80 Prozent gegenüber 1990 vermindert werden.
Das Energiekonzept aus dem Jahr 2010 sah bereits den Ausstieg aus der Kernenergie vor. Im Rahmen des Energiekonzepts war die Kernenergie eine Brückentechnologie hin zu den erneuerbaren Energien. Vorgesehen war die Verlängerung der Restlaufzeiten, um Zusatzgewinne abzuschöpfen und in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren. Dieses Energiekonzept haben wir nun weiterentwickelt, um den beschlossenen Weg noch schneller und konsequenter zu gehen. Der beschleunigte Ausstieg ist ein Umstieg in risikoärmere Alternativen.

Nicht allein die Tragödie von Fukushima hat unsere Risikowahrnehmung geändert. Die Reaktorsicherheitskommission hat zwar festgestellt, dass die deutschen Kernkraftwerke die Sicherheitsauflagen oftmals übererfüllen. Jedoch müssen wir eben auch neuen zivilisatorischen Gefahren wie Terrorangriffen mit Flugzeugen oder Cyber-Attacken Rechnung tragen.

Mit dem dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes wurde die Energiewende eingeleitet. In der namentlichen Abstimmung am 30. Juni 2011 wurde es mit 513 Ja Stimmen angenommen. SPD und Grüne sind also durchaus beteiligt.

Wobei wir nicht einfach nur den rot-grünen Ausstiegsbeschluss wieder herstellen. SPD und Grüne hatten bei ihrem Ausstiegsbeschluss im Jahr 2000 lediglich Reststrommengen definiert. Ein festes Ausstiegsdatum haben sie weder genannt noch gesetzlich geregelt. Außerdem hatte Rot-Grün in einem Nebenvertrag mit den Konzernen auf weitere Sicherheitsauflagen für die Kernkraftwerke verzichtet.

Dies führte zu unsicheren Investitionsbedingungen für die erneuerbaren Energien, weil niemand wusste, bis wann welche Kernkraftstrommengen nun tatsächlich durch regenerative Quellen hätten ersetzt werden müssen. In diesem Punkt besteht nun Klarheit. Denn wir garantieren Reststrommengen, benennen aber zugleich ein konkretes Enddatum. Außerdem legen wir fest, wie und in welchem Umfang Ersatz aufzubauen ist.

Im Moment stehen in Deutschland 90 Gigawatt an gesicherter Leistung zur Verfügung. Davon machen die Kernkraftwerke einen Anteil von etwa 20 Gigawatt aus. Dieser gesicherten Leistung steht eine Spitzennachfrage von rund 80 Gigawatt gegenüber. Durch die im Rahmen des Moratoriums abgeschalteten und die bereits zuvor vom Netz genommenen Kernkraftwerke entfallen 8,5 Gigawatt, sodass eine gesicherte Erzeugungsleistung von gut 81,5 Gigawatt verbleibt.
Der nun entfallende Leistungsbeitrag soll durch zusätzliche Kraftwerkskapazitäten von mindestens zehn Gigawatt ersetzt werden. Bis 2013 werden fossil befeuerte Kraftwerke mit einer Leistung von etwa elf Gigawatt ans Netz gehen, während Kraftwerke mit ca. drei Gigawatt aus Altersgründen vom Netz gehen.
Wir dürfen in Deutschland nicht von Stromimporten abhängig sein, sondern müssen unseren Nettobedarf eigenständig erzeugen können. Ich denke, weder ein stark erhöhter Strompreis noch der Import von Atomstrom aus unseren Nachbarländern kann eine tragfähige Lösung darstellen.

Die wegfallende Kernkraft wollen wir so wenig wie möglich durch Kohle und Gas, dafür umso mehr durch erneuerbare Energieträger ersetzen. Wenn Strom übergangsweise vermehrt CO2-lastig produziert wird, muss dies in anderen Bereichen ausgeglichen werden. Das beste Verhältnis zwischen Investitionssumme und CO2-Reduzierung kann im Gebäudebereich erreicht werden. Hier werden wir umfangreiche Fördermaßnahmen wie die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms und die steuerliche Begünstigung von energetischen Sanierungsmaßnahmen ergreifen. Im Verkehrssektor werden wir, etwa durch verstärkte Förderung und Nutzung der Elektromobilität, weitere Fortschritte bei der CO2-Einsparung machen.

Da die Kohle- und Gasverstromung durch den CO2-Zertifikatehandel mit Zusatzkosten belastet werden, wird gerade bei CO2-frei erzeugtem Strom die Nachfrage stark ansteigen und damit auch zusätzliches Angebot erzeugen.

Der dringendste Ansatzpunkt sind schnellere Fortschritte beim Netzausbau. Sowohl bei den Übertragungsnetzen als auch bei den Verteilnetzen müssen zahlreiche zusätzliche Leitungen gebaut werden. Mit einem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) wollen wir erreichen, dass zentrale länderübergreifende Projekte schneller fertiggestellt werden. Wir werden damit die Umsetzungszeit auf etwa vier Jahre halbieren. Regionen, die besonders von den erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen betroffen sind, werden mit 40.000 Euro je Leitungskilometer entschädigt. Zudem stärkt die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) u.a. die Grundlagen für intelligente Netze und Speicher.

Der Umstieg ist allein mit den heutigen Technologien nicht erreichbar. Wir brauchen einen technologischen Sprung bei der Entwicklung neuer Speichertechnologien, intelligenter Netze und der Steigerung der Energieeffizienz. Deshalb ist eine leistungsfähige Energieforschung zentral. Die Prioritäten in der Mittelvergabe müssen sich am beschleunigten Umstieg orientieren. Ein Schlüssel sind Speichertechnologien, die die Schwankungsanfälligkeit von Wind- und Photovoltaikanlagen auffangen.

Die Bundesregierung hat sich der Problematik der zukünftigen Energieversorgung, wie Sie sehen, durchaus intensiv zugewandt und Endziele ausgegeben. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird durch Monitoring Prozesse genau überwacht. Unabhängige Experten geben darin Bericht, wieweit der Ausbau bereits erfolgt ist und in welchen Feldern, wenn nötig, noch gehandelt werden muss, bzw. korrigierend einzugreifen ist.

Ein solch umfassendes Konzept hat es in der deutschen Umwelt- und Energiepolitik so noch nicht gegeben. Daher wäre es auch falsch exakte Etappenziele bis zum Ausstieg vorher festzulegen. Außerdem wären in diesen Zielvorgaben, technische Innovationen, die zu Leistungssteigerungen im Bereich der erneuerbaren Energien führen, nicht enthalten.

Weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite des Bundesministeriums für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Ich hoffe Ihnen mit meiner Antwort Ihre Besorgnis genommen zu haben. Wie gesagt, es ist eine große Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn Sie noch Fragen haben, können Sie sich gerne wieder melden.

Mit freundlichen Grüßen

Steffen Bilger MdB

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