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Stefan Zierke
SPD
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Frage von Peter K. •

Frage an Stefan Zierke von Peter K.

Sehr geehrter Herr Zierke,

mit Aufmerksamkeit verfolge ich die Verhandlungen zu den Handelsabkommen zwischen der EU und den USA sowie Kanada und hierbei die Bemühungen der SPD im EU-Parlament und im Bundestag, das private Investitionsschiedswesen in Richtung eines internationalen Handelsgerichtshofes reformieren. Deshalb habe ich Ihre Ausführungen vom 29.02.2016, in denen Sie auf eine Frage von B.Bielick den Standpunkt der Bundestagsfraktion erläutern, mit Interesse gelesen. Mein Eindruck ist jedoch, dass Sie zwar umfangreich auf verfahrensrechtlichen Regelungen des neuen Investitionsgerichtshofes (was zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung ist) eingehen, aber der zwei zentralen Fragen ausweichen, die das Verhältnis von materiellen Schutznormen für Auslandsinvestitionen und Rechtsstaatlichkeit betreffen.

Ist es nicht auch im neuen Investitionsgerichtssystem (ICS) so, dass sich ausländische Investoren auf Standards wie faire und gerechte Behandlung (FET) und indirekte Enteignung berufen können, inländische Investoren, die vor nationalen Gereichte klagen, hingegen nicht? Inwiefern ist diese Ungleichheit mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar?

Sie schreiben, dass “die rechtlichen Grundlagen, auf die sich Klagen stützen können, .. nicht über das Gebot der Inländergleichbehandlung hinausgehen”. Wenn es so ist, wie Sie schreiben, dass die Rechtsgrundlagen für Klagen vor dem internationalen Investitionsgerichtshof die gleichen sind wie vor nationalen Gerichten, dann erhebt sich doch die Frage, warum ein solcher Sonderweg für ausländische Investoren überhaupt nötig ist. Hierzu würde mich Ihre Sicht der Dinge interessieren.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Kristukat

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kristukat,

die Aufnahme eines Kapitels zum Investitionsschutz in das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA hat sich zu einem der wesentlichen Konfliktpunkte der Verhandlungen entwickelt. Weite Teile der Öffentlichkeit in Deutschland sehen die völkerrechtlichen Schutzstandards für ausländische Investoren in bi- oder multilateralen Freihandelsabkommen kritisch oder lehnen diese kategorisch ab.

Vor diesem Hintergrund erläutere ich an dieser Stelle gerne ausführlich, weshalb investitionsschutzrechtliche Regelungen – auch zwischen entwickelten Rechtsstaaten – eine Daseinsberechtigung innehaben und Inhalt der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP sind.

Analog zum nationalen Verwaltungs- und Verfassungsrecht geht es bei völkerrechtlichen Schutzstandards des Investitionsschutzes im Kern darum, ausländische Investoren vor „willkürlichen“ hoheitlichen Eingriffen in seine Rechte, etwa durch kompensationslose Enteignung, enteignungsgleiche Eingriffe und Diskriminierung, zu schützen. Gleichzeitig gibt der Gaststaat sein Einverständnis zur außergerichtlichen Streitbeilegung vor einer internationalen Schiedsorganisation, worauf sich der ausländische Investor im Konfliktfall berufen kann.

Zunächst darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eines der wesentlichen Ziele des Investitionsschutzrechts die Verrechtlichung von staatlichen Beziehungen ist. Investitionsstreitigkeiten sind solche staatlichen Konflikte, die bei Abwesenheit investitionsschutzrechtlicher Regelungen auf der Grundlage des diplomatischen Schutzes und damit direkt zwischen den beteiligten Staaten geklärt werden müssten. Das Investitionsschutzrecht als fester Bestandteil der völkerrechtlichen Gewährleistung von wirtschaftlichen Rechtspositionen dient also der Entpolitisierung von originär staatlichen Konflikten und stellt auf diese Weise auch eine mögliche Antwort auf die zunehmende Internationalisierung von wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen dar.

Im Lichte der globalen wirtschaftlichen Verflechtung werden nationale Gerichtsbarkeiten Konfliktfälle zwischen einem Staat und ausländischen Investoren aufgrund der eigenen Staatszugehörigkeit möglicherweise nicht vollkommen unabhängig lösen können. Schließlich stehen die drei Gewalten auch in einem Rechtsstaat und trotz ihrer verfassungsrechtlich festgeschriebenen, grundsätzlichen Teilung stets in enger Beziehung zueinander.

Vor neutralen, das heißt eines sich außerhalb des Einflussbereichs des Gaststaates befindlichen Schiedsgerichten, besteht diese Gefahr der Voreingenommenheit in der Urteilsfindung hingegen nicht. Ausländische Investoren können sich, so der Grundgedanke, auf eine unabhängige völkerrechtliche Instanz verlassen, deren Urteile frei von politischen Einflüssen sind. Es entspricht keineswegs dem grundsätzlichen Wesen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, funktionierende, rechtsstaatliche Systeme auszuhebeln oder zu umgehen, wie oftmals von Kritikern vorgetragen wird.

In entwickelten Rechtsstaaten, deren Rechts- und Justizsysteme in etwa auf Augenhöhe sind, dürfte eine vollständige Schutzlosigkeit ausländischer Investoren in der Regel zwar nicht bestehen. Insofern stimme ich Ihnen zu, dass die Verankerung von Investitionsschutzklauseln im Rahmen von Freihandelsabkommen zwischen Rechtsstaaten auf den ersten Blick nicht zwingend einschlägig ist.

Dennoch muss auch hinsichtlich der TTIP-Vertragsverhandlungen die Frage erlaubt sein, ob tatsächlich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. alle Bundesstaaten der USA rechtsstaatliche Strukturen in einem solchen Maß vorweisen können, dass ausländische Investoren keine Benachteiligung befürchten müssen.

In den USA gibt es kein Gesetz, das die Diskriminierung von ausländischen Investoren verbietet. Und in der EU hat die Europäische Kommission aufgrund der Beschränkung von Eigentumsrechten ausländischer Investoren als Folge einer Nichtigkeitserklärung laufender Pachtverträge österreichischer Landwirte jüngst ein formelles Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten müssen.

Ob in diesem oder in vergleichbaren Fällen tatsächlich die nationale Justiz den geeigneten Rechtsrahmen im Sinne einer unabhängigen Urteilsfindung bereitstellen kann, ist zumindest sehr fragwürdig. Grundsätzlich zeigt auch die Zunahme der Klagen von Investoren aus vermeintlich weniger entwickelten Ländern, dass der Rechtsstaat westlicher Prägung nicht prinzipiell vor einer Diskriminierung von ausländischen Investoren gefeit ist.

Fernerhin ist die Aufnahme investitionsschutzrechtlicher Regelungen in das TTIP-Abkommen aus europapolitischen Gründen opportun, da mehrere Mitgliedstaaten der EU andernfalls an einen ungünstigeren Status quo gebunden blieben. So bestehen im Verhältnis zwischen der EU und den USA derzeit neun bilaterale Abkommen zwischen den USA und Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei. Die genannten osteuropäischen Staaten haben ein starkes Interesse an einem reformierten Investitionsschutzabkommen, um damit ihre bilateralen Abkommen mit den USA abzulösen und in der Vergangenheit zugesagte, sehr weitreichende Investorenschutzrechte auf ein „gesundes“ Maß zu reduzieren.

Nicht zuletzt ist aufgrund der erheblichen globalen Bedeutung des transatlantischen Handels und der entsprechenden Investitionen anzunehmen, dass nun umgesetzte Reformen erhebliche Ausstrahlungswirkung auf die Abkommen von Dritten haben wird. So wurde das geänderte System bereits in den Text des geplanten Freihandelsabkommens mit Vietnam aufgenommen. Eine derart reformierte Schiedsgerichtsbarkeit kann sich als globales Vorbild etablieren und damit einen spürbaren Beitrag leisten, die Globalisierung fair zu gestalten.

Abschließend möchte ich nochmals auf den ersten Teil Ihrer Frage zurückkommen: Entgegen Ihrer Annahme stellt die Möglichkeit der Schiedsverfahren den ausländischen Investor nicht zwangsläufig besser. Selbst die alten, ursprünglich im Rahmen von CETA avisierten und noch nicht im Sinne eines internationalen Handelsgerichtshofs überarbeiteten Investitionsschutzregelungen blieben laut eines Gutachtens teilweise deutlich hinter dem Schutz deutscher Investoren, der durch das deutsche Verfassungs- und Unionsrecht gegeben ist, zurück.

Nach meinem Verständnis ist ohnehin nicht das internationale Investitionsschutzregime per se Gegenstand Ihrer Kritik, sondern die in der Vergangenheit teils sehr expansive Schiedsrechtsprechung, die bereits geringe gesetzliche Änderungen als Verletzung des Grundsatzes der fairen und gerechten Behandlung oder als indirekte Enteignung interpretierte.

Diese grundsätzlichen Mängel des internationalen Investitionsregimes sind in Fachkreisen jedoch hinlänglich bekannt. Durch die Präzisierung der entscheidenden Rechtsbegrifflichkeiten können dem Investorenschutz enge Grenzen gesetzt werden. So soll künftig etwa klargestellt werden, dass Veränderungen des Rechtsrahmens für Investitionen im Zielgebiet sowie negative Auswirkungen eines Gesetzesvorhabens auf die Gewinnerwartung des Investors keine Verletzung der „fairen und billigen Behandlung“ bzw. keine indirekte Enteignung darstellen und somit auch keinen Anspruch auf Schadenersatz begründen. „Sonderklagerechte für Großkonzerne“ sind im Rahmen von CETA und TTIP demnach nicht zu befürchten.

Im Ergebnis wird jeweils auch der konkrete Wortlaut der final vereinbarten Regelungen mitentscheidend sein. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion schon mehrfach zum Ausdruck gebracht: Ein Freihandelsabkommen mit den USA kann es nur geben, wenn hier am Ende der Verhandlungen tatsächlich ein wesentlicher Fortschritt im Vergleich zu den Altregelungen zu erkennen ist und das Abkommen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft unseres Landes nutzt.

Statt die geplanten Freihandelsabkommen aufgrund von Investitionsschutzklauseln zu verteufeln, werbe ich dafür, diese als Chance zur Reform der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt zu begreifen. Die beiden wichtigsten Wirtschaftsräume der Welt arbeiten daran, ein besseres System zu schaffen, das sich an rechtsstaatlichen Prinzipien orientiert, den legitimen Handlungsspielraum der Staaten durch ein festgeschriebenes „Right-to-Regulate“ beibehält und gleichzeitig ausländische Investoren wirksam vor staatlicher Willkür schützt, ohne diese gegenüber Inländern zu bevorteilen.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Zierke

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