Frage an Stefan Urbat von Jochen S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Urbat,
aufgrund ihrer beruflichen qualifikation tut sich mir eine frage auf, zu der ihre partei noch keine offizielle stellung bezogen hat.
1) wie stehen sie zum thema atomausstieg? ist eine verlängerung der laufzeit von "sicheren" akw´s sinnvoll? wenn nicht, in welcher erneuerbaren energie branche sehen sie deutschland als entwicklungsfähig?
2) und wie stehen sie zum thema braunkohle? sollte die laufzeit dieser anlagen verlängert werden? wenn nicht, wie ist es möglich die in dieser branche berufstätigen in eine neue branche zu integrieren?
mfg
J. Schwarzwälder
Sehr geehrter Herr Schwarzwälder,
zunächst mal kann ich wieder nur persönlich als Experte antworten, mit einer gewissen wahrscheinlichen Aussicht, dass die Partei meiner und der ähnlichen Meinung anderer Physiker bei uns folgt:
Zu den Fragen aus 1):
Ich halte es aktuell für die beste Lösung, am früher beschlossenen Ausstiegsfahrplan für die Nutzung der Kernenergie (im Wesentlichen) für die Stromerzeugung festzuhalten. Der Grund: solange kein wirklich solides Entsorgungskonzept mit Angaben über Kapazitäten und zeitlicher Verfügbarkeit des Endlagers existiert, ist es zu problematisch, noch mehr Atommüll anzuhäufen, der dann auch weiter in den Zwischenlagern aufbewahrt werden muss, bei höherem Risiko als in einem wirklich geeigneten Endlager - das noch gefunden werden muss.
Zur Laufzeitverlängerung: ich bin dafür, die Abschaltreihenfolge nicht nach kommerziellen Aspekten der Betreiber, sondern nach Sicherheitsaspekten zu wählen. Krümmel müsste daher z.B. zuerst und endgültig vom Netz.
Zur Frage nach der Entwicklungsfähigkeit erneuerbarer Energieen in Deutschland: Windenergie lässt sich am Besten in der norddeutschen Tiefebene, v.a. in Niedersachsen, aber auch in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nutzen, und natürlich offshore. Hier muss allerdings auf die Umweltverträglichkeit geachtet werden, die keineswegs selbstverständlich gegeben ist. Im Süden Deutschlands ist der sinnvolle Betrieb solcher Anlagen meist auf Berge oder Hügel, d.h. punktuell begrenzt und daher der nutzbare Anteil geringer.
Bei der Sonnenergie sollte man neben den übliche Solarzellen auch Kraftwerke wie vom Solarrinnentyp erwägen. Bei Solarzellen sind immer noch nicht wirklich hohe Lebensdauer oder geringer Wirkungsgrad Punkte, die verbessert werden müssen. Kraftwerke in Nordafrika mit speziellen Gleichstromleitungen zur Energieübertragung nach Europa sind ebenfalls denkbar, allerdings muss da die Betriebs- und Verfügbarkeitssicherheit auch geklärt werden, z.B. die Frage nach politischer Stabilität und Zuverlässigkeit der Gast- und Durchleitungsländer.
Geothermie kann in manchen Teilen Deutschlands ebenfalls nützlich sein. Dagegen ist zum weiteren Ausbau der Wasserkraftnutzung zu sagen: dies ist oft schädlich für den Wasserkreislauf, und die bereits vorhandenen Wasserkraftwerke sind für die Grundlastabdeckung geeignet - wenn diese durch allgemeine Energieeinsparung verringert wird. Beim Energiesparen sollte v.a. für Industriekunden Strom nicht bei größerem Verbrauch billiger werden, um starke Anreize zum Energiesparen zu schafffen, v.a. auch müssen Häuser und Wohnungen nicht nur bei Neubau generell strengere Auflagen erfüllen, auch staatliche Hilfen für den älteren Haus- und Wohnungsbestand erscheinen hier sinnvoll. Sonst werden Altbauten zu lange zuviel Energie unnötig verschwenden.
Zu den Fragen aus 2):
Braunkohle ist wie allgemein Kohle ein fossiler Brennstoff, der aufgrund seiner großen Menge (im Gegensatz zu Öl z.B.) für die menschengemachte Erderwärmung (Verstärkung des Treibhauseffekts über das natürliche, nicht vom Menschen geprägte Maß hinaus durch hohe Kohlendioxidemission) von zentraler Bedeutung ist. Hier verbietet sich einfach die Ausbeutung der Kohlevorräte zur Verbrennung zwecks Klimaschutz: das würde das Erdklima in ein extrem heißes, umgekipptes verwandeln, das mindestens unsere Zivilisation existentiell bedrohen würde.
Abgesehen davon sind die Umweltschäden durch den Braunkohletagebau ganz enorm groß: riesige Flächen werden in Mitleidenschaft gezogen und ganze Dörfer müssen ihm weichen.
Den unvermeidlichen Verlust an Arbeitsplätzen aus dieser Branche muss man natürlich irgendwie auffangen: besondere Vorruhestandsregelungen für ältere Arbeitnehmer, Umschulungen und Fortbildungen für jüngere Arbeitnehmer der Branche. Leider ist davon auszugehen, dass regenerative Energieen insgesamt weniger Beschäftigte benötigen als z.B. der Kohlesektor. Über kurz oder lang werden wir aber meines Erachtens ohnehin nicht umhinkommen, statt der Abdrängung immer weiterer Arbeitnehmer in menschenunwürdige Hartz-IV-Abhängigkeiten oder 1-Euro-Jobs eine Art bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, damit wir auch ohne zwangsweise Erwerbsarbeit allen Menschen in unserem Lande ein menschenwürdiges Leben bieten können.
Mit freundlichen Grüßen, Dipl.-Phys. Stefan Urbat