Frage an Stefan Urbat von Christoph S. bezüglich Wirtschaft
Kampf für mehr Gerechtigkeit
Sehr geehrter Herr Urbat,
ich möchte Sie stellvertretend für möglicherweise andere unentschlossene Wähler bitten, ein persönliches Gelübde abzulegen:
Ich bin sehr überzeugt von Ihrer Aufrichtigkeit und teile auch alle Anliegen Ihrer Partei. Nur, zu einem Kernproblem dieser Gesellschaft trifft Ihre Partei bisher keine Aussage:
Mangelnde Gerechtigkeit.
Ich verstehe (und heiße es gut), dass Sie als junge Partei mit noch unvollständiger Sachkompetenz keine Schnellschüsse hinlegen wollen. Zum Ausgleich könnten Sie aber nun hier verbindlich und öffentlich erklären, ob Sie eine grundlegende Zielsetzung teilen und ggf. ein entsprechendes Versprechen abgeben, zukünftig für diese Sache zu kämpfen:
Da man der Linkspartei (die ich wähle, wenn nicht Sie) und ihren Anhängern oft Sozialneid unterstellt: Ich habe überhaupt nichts dagegen, Leistungsträger sehr gut zu bezahlen. Nur tendieren die etablierten Parteien (insbesondere die FDP) dazu, diese mit den Besserverdienenden zu identifizieren. Tatsächlich sind aber - vorsichtig ausgedrückt - nicht alle Gut- und Bestverdienenden Leistungsträger, sondern es befinden sich auch unproduktive Parasiten darunter, die der Gesellschaft ingesamt z.T. beträchtlichen Schaden zufügen.
Eine Ur-Ungerechtigkeit unserer Gesellschaft (neben der Chancen-Ungleichheit), aus der sich viele andere ableiten, ist m.E., dass Entscheidungsträger für die Konsequenzen ihrer Entscheidung nicht oder nur unzureichend persönlich haften müssen. Protobeispiel ist hier der angestellte Manager, der zu riskantem Handeln verleitet wird, weil er persönlich nur gewinnen kann: Geht alles gut, steckt er dicke Boni ein. Geht es schlecht, müssen andere die Suppe auslöffeln. Versprechen Sie, für die Erzwingung von mehr persönlicher Haftung, insbesondere im Bereich der Wirtschaft und der Politik einzutreten?
Geben Sie dieses Versprechen, bekommen Sie mit gutem Gewissen auch meine Zweitstimme.
Beste Grüße
C. Siegel
Sehr geehrter Herr Siegel,
ich verstehe Ihr Anliegen vollkommen und halte es persönlich auch für wichtig. In der Tat kann ich hier nur versprechen, mich für solche Dinge einzusetzen, da hier noch keine Position unserer jungen Partei vorliegt. An unseren Kernpunkten Transparenz und freier Zugang zu Wissen ist allerdings schon erkennbar, dass wir solche Fragen auch angehen werden.
Gerechtigkeit hat immer (im Gegensatzu zu Recht) eine subjektive Komponente. Wichtig ist es allerdings, wie die Mehrheit der Gesellschaft diese in eben ihr empfindet: eine zu stark empfundene Ungerechtigkeit spaltet die Gesellschaft und macht diese instabil und anfällig auch für (extremistische z.B.) Irrwege.
Als ungerecht kann man z.B. verständlicherweise die Entlohnung verschiedener arbeitender Menschen empfinden. Es handelt sich bei Löhnen und Gehältern um eine Mischung aus Marktpreisen, Tarifverträgen, gesetzlichen Vorschriften und Rahmenbedingungen. Gerecht ist das zweifellos im Sinn einer Leistungsmessung und proportionalen Entlohnung in vielen Fällen nicht.
Wie man das generell verbessern könnte, entzieht sich momentan meiner Kenntnis. Was die Managergehälter und -pflichten angeht: hier bestehen zweifellos große Mißstände. Die dafür eigentlich zuständigen Aufsichtsräte werden hier regelmäßig ihrer Verantwortung nicht gerecht, weder im Vorfeld noch nach dem Vertragsende eines Managers. Hier bestehen zum Teil auch international Mißstände und es wird auch von dort ein gewisser Druck aufgebaut, hohe Gehälter an Manager zu zahlen.
Kurzsichtige Ertrags- und Aktienwertoptimierung ("shareholder value") sind Faktoren, die solche Manager zu alles andere als nachhaltigen Maßnahmen animieren. Oft kommen Schäden von solchen Aktionen erst später zum Vorschein, wenn der Manager längst wieder ausgeschieden ist. Hier müsste in der Tat dringend etwas getan werden, um Regress und andere Konsequenzen nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zur Regel zu machen, wenn etwas schiefgeht. Dafür kann ich mich guten Gewissens bei uns in der Partei einsetzen.
Ein anderer Punkt ist z.B. die Abgeordnetenbestechung. Hier hat Deutschland, genauer gesagt, der Deutsche Bundestag noch immer nicht eine UN-Richtlinie (im Gegensatz zu EU-Richtlinien gibt es da höchstens einen moralischen Zwang zur Umsetzung) übernommen, die das unter Strafe stellt, wie es international ohnehin schon üblich ist. Genauer gesagt: zahlt ein Konzern oder eine Privatperson Schmiergelder an einen Bundestagsabgeordneten, dann ist zwar der Konzern bzw. die Privatperson haftbar für diese Bestechung bzw. Bestechungsversuch, der Politiker, der die Gelder angenommen hat, kommt jedoch derzeit völlig ungestraft davon. Das begünstigt natürlich sehr stark korruptives Verhalten, da die Abgeordneten keinerlei Anreiz zur Kooperation hinsichtlich Aufklärung haben. Das sollten wir als Piratenpartei eigentlich hinbekommen, durch Druck auf die anderen Parteien dafür zu sorgen, dass wenigstens diese Richtlinie endlich auch in Deutschland umgesetzt wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Stefan Urbat