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Frage von Martin W. •

Frage an Stefan Urbat von Martin W. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Urbat,

was meint die Piratenpartei zur Offshore- und allgemeinen Nutzung der Windenergie, Photovoltaik, Solarthermie, Wasserstofftechnologie, Kernenergie, Kohle? Was meinen Sie als Physiker zur Kernfusion?

Diplom-Physiker Martin Wagner, Sonnenbühl

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PIRATEN

Sehr geehrter Herr Wagner,

zunächst einmal muss ich vorab sagen, dass wir zu diesen Punkten leider noch keine offiziellen Aussagen als Partei getroffen haben. Allerdings haben wir über solche Fragen gelegentlich intern diskutiert (was auch in unserem Parteiwiki noch sichtbar ist). Dennoch kann ich Ihnen nur meine persönliche (allerdings durchaus gefestigte) Meinung dazu mitteilen, allenfalls mit ein paar Hinweisen über Tendenzen bei uns Piraten generell dazu.

Windenergie: hier halte ich die Nutzung v.a. in Norddeutschland für durchaus sinnvoll, bei Offshore-Windanlagen ist allerdings darauf zu achten, dass nicht auf gefährliche Weise in Nationalparks wie dem im Wattenmeer eingegriffen wird. Ob die Massierung solcher Anlagen allgemein dem Eindruck der Landschaft zuträglich ist, ist zwar weniger wichtig, sollte aber meiner Ansicht nach auch beachtet werden.

Diese Technik ist offensichtlich selbst in Norddeutschland nicht grundlasttauglich.

Dasselbe gilt für die Photovoltaik - selbst wenn man solche Anlagen in Nordafrika installiert, gibt es immer noch die Nacht ohne Sonnenlicht. Bei Letzterem stellt sich wieder einmal die leidige Frage nach der Energieübertragung sowie auch die nach der politischen Stabilität und Zuverlässigkeit der Gast- und Durchleitungsländer.

Der sogenannte Erntefaktor (Verhältnis der zur im Lauf ihrer Lebensdauer gewonnenen zur bei der Produktion der Solarzellen verbrauchten Energie) ist bei vielen Solarzellentypen immer noch erschreckend gering. Es geht also nicht nur um den Wirkungsgrad. Auch erfordern Solarzellen mit niedrigerem Wirkungsgrad größere Trägerstrukturen, was weiteren Energie- und Flächenverbrauch bewirkt. Auch wenn in den letzten Jahren hier Fortschritte erzielt wurden, ist das noch immer verbesserungsfähig, teilweise sogar verbesserungsbedürftig.

Insgesamt ist der Ausbau der Solarstromerzeugung aber dennoch unter den genannten Bedingungen sinnvoll.

Die Warmwasserbereitung mit Sonnenenergie ist schon fast ein alter Hut: das rechnet sich heutzutage meist recht schnell, angesichts des hohen Energiebedarfs zur Erhitzung von Wasser ist das eine sehr empfehlenswerte Technik, die längst im Masseneinsatz ist.

Die Wasserstofftechnologie verspricht v.a. zwei Vorteile: die Speicherung von Energie (v.a. aus nicht grundlasttauglichen Techniken wie den zuvor genannten) sowie den Ersatz fossiler Einmal-Energiespeicher wie Öl für Fahrzeuge. Sie ist aufgrund diverser Fragen noch immer nicht so ausgereift (Brennstoffzellen z.B.), dass sie schon großflächig einsetzbar wäre. Die Forschung erscheint auf diesem Gebiet aber auf jeden Fall sinnvoll, denn Fortschritte in diesem Bereich versprechen flexiblere Lösungen für die Energieversorgung der Zukunft.

Mit Kernenergie ist aufgrund Ihrer Fragestellung offensichtlich die Energiegewinnung (i.W. Stromerzeugung) durch Kernspaltung gemeint (zur Kernfusion s.u.). Grundsätzlich stehe ich persönlich (das aber ist nicht zwingend in der Piratenpartei mehrheitsfähig, s. einleitende Bemerkung zu dieser Antwort oben) der Nutzung der Kernspaltung zur Energiegewinnung aufgeschlossen gegenüber. Allerdings müssen da verschiedene Bedingungen erfüllt sein, woran es zur Zeit in großen Teilen krankt:

1. veraltete, nicht mehr heutigen Standards entsprechende und überzeugend umrüstbare Kernreaktoren wie in Krümmel müssen sofort für immer abgeschaltet werden. Der Profit der Betreiber darf hier keinesfalls im Vordergrund stehen.

2. verantwortungslos agierenden Betreibern wie Vattenfall muss generell die Erlaubnis entzogen werden, Kernkraftwerke zu betreiben. Dieser Betreiber hat sich durch wiederholtes, unverbesserliches Fehlverhalten wie mangelnde Transparenz in einem so heiklen Bereich längst selbst disqualifiziert.

3. die Endlagerung bedarf dringend einer Überprüfung. Nachdem die unglaublichen Zustände im Testendlager Asse publik wurden und außerdem bekannt wurde, dass mit Gorleben ein nicht-idealer Lagerungsort offenbar aus politischen Gründen gegen fachliche Argumente zum idealen, einzig diskutablen Endlagerort hochstilisiert wurde, muss eine ergebnisoffene Untersuchung alternativer Standorte durchgeführt werden. Selbst wenn das heissen sollte, dass ein Standort in Baden-Württemberg besser geeignet wäre: der vorhandene radioaktive Abfall ist eine Tatsache, und er MUSS irgendwie endgelagert werden.

4. aus den genannten Gründen und weil der Primärenergieanteil der Kernenergie (er ist nur bei der Stromerzeugung nennenswert hoch) nicht so bedeutend ist, wie vielfach angenommen wird (ca. 14%), bin ich aktuell der Meinung, am Besten ist es, am früher beschlossenen Ausstiegsfahrplan aus der Kernenergienutzung festzuhalten. Neue Reaktortypen und ein wirklich überzeugendes Endlagerkonzept könnten aber meine Meinung evtl. noch einmal ändern (Laufzeitverlängerung bestehender bzw. sogar Neubauten neuer Reaktortypen wie Hochtemperatur- reaktoren mit nicht hoch angereichertem Uran 235).

Der Vorteil von Kernkraftwerken ist natürlich neben der hohen Energiedichte und dem Kohlendioxid-freien Betrieb der eigentlichen Energieerzeugung die Fähigkeit, eine unveränderliche Grundlast anzubieten - was aber nur sinnvoll ist als Grundlasterzeugung, wechselnder Bedarf ist anders besser auszugleichen.

Zur Kohle kann ich nur eines sagen: verfeuern wir diese weiter oder noch stärker als bisher, wird das unser Klima garantiert zum Kippen bringen. Die Kohlevorräte sind derart groß, dass bei kompletter Verfeuerung (Zeitspanne ist ca. 1000 Jahre, mindestens aber einige Jahrhunderte), sich der Treibhauseffekt derart dramatisch verstärken würde, dass eine vernichtende Klimakatastrophe unausweichlich wird. Daher muss alles daran gesetzt werden, die Kohleverfeuerung einzudämmen. Der Neubau von Kohlekraftwerken ist völlig unverantwortlich und wird zurecht zunehmend von Bürgerinitiativen bekämpft. Es gibt auch keine überzeugenden Beweise, dass eine wie auch immer geartete Speicherung/Abscheidung von Kohlendioxid im großtechnisch/globalen Rahmen überhaupt möglich ist.

Zum Punkt Kernfusion: hier sind wir leider noch immer nicht so weit, abschließend entscheiden zu können, ob diese Technik einen sinnvollen und wesentlichen Beitrag zu unserer künftigen Energieversorgung leisten kann. Nachdem wir Physiker in der Forschung in Jahrzehnten Lehrgeld zahlen mussten wie selten sonst, brauchen wir in meinen Augen aber dringend einen Testreaktor wie ITER und einen Folge-Prototypreaktor, um diese Gewissheit an einem realen Testbeispiel zu erlangen. Vielleicht sind sogar alternative Ansätze wie der jüngst diskutierte Stoßwellenreaktor der richtige Weg, das kann nur die Forschung zeigen. Das hohe Potenzial der Energiegewinnung mit Wasserstoff und Lithium sollte auf jeden Fall versucht werden auszunutzen, wenn die Probleme mit radioaktiven Stoffen beim Betrieb erwartungsgemäß (aber eben nicht sicher) klein gehalten werden können - die massearmen beteiligten Atomkerne sind da auf jeden Fall von Vorteil gegenüber den schweren Kernen bei der Spaltung.

Noch eine Ergänzung zum Schluss: Energiesparen ist in jedem Fall sinnvoll und verringert u.a. auch die Grundlast stark. Das entschärft das Problem der permanenten Aufrechterhalung der Grundlast deutlich. Am Meisten bringt hier der Bau von Niedrigenergiehäusern und die staatliche Förderung des aufwändigen und teuren Umbaus von bestehenden Gebäuden in Niedrigenergiehäuser brächte hier sicher Einiges. Außerdem sollten Großverbraucher nicht noch durch Mengenrabatte für ihre Energieverschwendung belohnt werden (v.a. die Industrie nicht). Die bekannten Emissionszertifikate sollten wirklich und durch stetige Verknappung nachhaltig gehandelt und nicht den Konzernen wie bisher geschenkt werden, die sie dreist dann auch noch als Grund für Energiepreiserhöhungen anführen.

Ich hoffe allerdings, dass weniger kurzsichtige Entscheidungen wie die der EU über das Verbot der Glühlampen möglich werden. Denn die Energiesparlampen heutigen Zuschnitts enthalten eine Menge Problemstoffe und die bessere, noch entwicklungsfähige und -bedürftige Lösung sind LED-Lampen.

Mit freundlichen Grüßen,

Diplom-Physiker Stefan Urbat