Frage an Stefan Müller von Joachim E. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Müller,
Am 18.November 2020 findet im Bundestag die 2. und 3. Lesung der Erweiterung der Infektionsschutzgesetzes (Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Drucksache 19/23944) statt.
Siehe https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923944.pdf
Darin wird das Gesundheitsministerium in vielen Fällen ermächtigt (vgl. §§13 III S. 8, 13 IV S. 2, 14 IX, 24 S. 3, 36 VII), per Verordnung - also ohne Zustimmung des Bundesrates - sowohl individuelle Grundrechte (i.V.m. Artikel 1 Nr. 16 und 17) als auch die Gewerbefreiheit in vielen Branchen wie Kunst, Kultur, Handel, Hotellerie und Gastronomie einzuschränken (vgl. §28a I).
Zitat:
Artikel 7
Einschränkung von Grundrechten
Durch Artikel 1 Nummer 16 und 17 werden die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
Zitat Ende.
Nach meinem Demokratieverständnis heißen Grundrechte deswegen so, weil sie durch nichts, insbesondere auch nicht durch niedrigerrangige Gesetze, einschränkbar sind.
Wie werden Sie am 18.11. den Auftrag ihrer Wähler wahrnehmen?
Sehr geehrter Herr Elgas,
vielen Dank für Ihre Nachricht zum Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite.
Die Corona-Krise stellt uns alle vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Dabei birgt diese nicht nur erhebliche gesundheitliche Risiken für jeden Einzelnen, sondern auch gravierende wirtschaftliche Schwierigkeiten. Gemeinsam versuchen wir die Herausforderungen bestmöglich zu lösen. Wir wollen und müssen Menschenleben schützen, gleichzeitig aber unsere Wirtschaft stabilisieren und unsere Schulen und Kindergärten offenhalten. Nachdem wir in den vergangenen Wochen einen drastischen Anstieg der Infektionszahlen beobachten mussten, ist es von entscheidender Bedeutung, eine Überlastung unseres Gesundheitssystems abzuwenden.
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Deutsche Bundestag sich mittlerweile über 70 Mal im Parlament mit dem Kampf gegen Corona befasst. Es wurden umfassende Hilfsmaßnahmen und Pandemie-Gesetze beschlossen, Anträge beraten sowie eine Regierungserklärung debattiert. Die vielen beschlossenen Maßnahmen und Hilfen werden selbstverständlich regelmäßig evaluiert und bei Bedarf angepasst.
Am 18. November 2020 hat der Bundestag u.a. das von Ihnen angesprochene Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite beschlossen. Ich habe für dieses Gesetz gestimmt.
Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist es, die bestehenden Regelungen und Maßnahmen, welche wir bereits früher beschlossen haben, zu präzisieren, um diese an die sich schnell verändernde Situation aufgrund der fortschreitenden Verbreitung des Coronavirus, anzupassen. Angesichts der aktuellen Entwicklung ist dies dringend erforderlich, um unser Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu bewahren. Die Bilder aus Italien während der ersten Welle haben wir noch alle vor Augen. Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass wir hierzulande aufgrund von Kapazitätsengpässen in eine ähnliche Lage geraten, in der Ärzte dadurch über Leben und Tod von Patienten entscheiden müssen, dass sie im Rahmen der so genannten Triage auswählen, wer behandelt wird, und wer nicht. Man stelle sich vor, unsere Kinder, Eltern, Großeltern oder Freunde wären von solch einer Entscheidung abhängig. Diese Gefahr abzuwenden, ist eindeutig in unser aller Interesse.
Lassen Sie mich ausdrücklich und mit Nachdruck betonen: Mit dem beschlossenen Gesetz werden keine Grundrechte abgeschafft! Es enthält keinerlei Maßnahmen in diese Richtung. Insbesondere stellen die Neuerungen in § 28a Infektionsschutzgesetz lediglich „Kann-Regelungen“ dar. Die für den Infektionsschutz zuständigen Landesregierungen können weiterhin selbständig, je nach aktueller Infektionslage, entscheiden, welche Mittel sie gegebenenfalls anwenden oder nicht und ob sie auf den Einsatz weiterer Maßnahmen zurückgreifen. Zugleich wird eine gesetzliche Klarstellung im Hinblick auf die Dauer, Reichweite und die Intensität dieser von den Ländern angeordneten Maßnahmen geschaffen. Insbesondere muss die Anordnung der Maßnahmen ihrerseits verhältnismäßig sein. Ich möchte noch einmal klarstellen, dass Sie sich keinesfalls Sorgen um die Abschaffung von Grundrechten machen müssen. Unsere demokratische Grundordnung bleibt selbstverständlich unangetastet.
Nachdem ich viele Schreiben erhalten habe, in denen das angesprochene Gesetz mit dem „Ermächtigungsgesetz“ versucht wurde zu vergleichen, ist es mir wichtig, generell auch zu diesem Aspekt Stellung beziehen: Ich wende mich aller Entschiedenheit gegen demagogische Versuche, dieses Gesetz mit einem negativen geschichtlichen Bezug aufzuladen. Das nun dritte Bevölkerungsschutzgesetz ist kein "Ermächtigungsgesetz"! Eine Parallele zum Ermächtigungsgesetz von 1933 erkennen zu wollen ist völlig absurd. Die in dem Bevölkerungsschutzgesetz festgelegten Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung während der Corona-Pandemie dienen lediglich dem Ziel, schnellstmöglich auf das dynamische Infektionsgeschehen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit reagieren zu können. Dies setzt voraus, dass die Bundesregierung im gesetzlich festgelegten Rahmen so schnell wie möglich handlungsfähig ist und Entscheidungen treffen kann. Auch dies sollte in unser aller Interesse sein. Dass der Bundestag als Gesetzgeber jederzeit in der Lage ist, seine Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung auszuüben, bzw. die gesetzliche Grundlage zu ändern, falls sich dies als sinnvoll oder erforderlich erweisen sollte, ist selbstverständlich und wird von niemandem auch nur ansatzweise in Frage gestellt.
Um ehrlich zu sein glaube ich, dass für viele Kritiker gar nicht entscheidend ist, welches Verfassungsorgan Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung beschließt, sondern, dass sie überhaupt beschlossen werden. An dieser Stelle sollte jeder Kritiker einmal in sich hineinhorchen und selbstkritisch prüfen, ob das Gemeinwohl in seinen Überlegungen eine ausreichende Rolle spielt oder ob nicht persönliches Interesse im Vordergrund steht.
Die aktuell geltenden Einschränkungen, wie beispielsweise die Pflicht zum Tragen von Masken in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die weiteren einschränkenden Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung, mögen für den einzelnen vielleicht lästig sein, aber zur Eindämmung der Pandemie und Verhinderung weiterer Krankheits- und Todesfälle hilft nach Aussage aller Experten nur die massive Vermeidung persönlicher Kontakte. Wo dies nicht durch eigenverantwortliches Handeln gewährleistet ist, muss der Staat handeln. Dazu präzisiert das Gesetz die rechtlichen Grundlagen.
Auch wenn Sie das beschlossene Gesetz kritisch sehen, bitte ich Sie um Geduld und um Ihre Mitwirkung – damit wir das Infektionsgeschehen hierzulande nachvollziehen können, die Infektionszahlen sinken und das Gesundheitssystem vor Überlastung geschützt wird. Sie helfen auf diese Weise bei der Rettung von Menschenleben mit.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, insbesondere Gesundheit!
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Müller MdB