Frage an Stefan Müller von Markus S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Müller,
ich wende mich heute mit einer Frage an Sie, die einen großen Teil der politisch interessierten Bundesbürger beschäftigt:
Wie stehen Sie zu dem Entwurf des ESM Vertrages, welcher mit einem Startkapital von EUR 700 Milliarden, versehen mit der Möglichkeit der Nachforderung in beliebiger Höhe (also unbegrenzt), mit einer bedingungslosen und unwiderruflichen Zahlungsverpflichtung im Wesentlichen durch die Bundesrepublik Deutschland (Zahlungsfrist: 7 Tage) ausgestaltet ist?
Der deutsche Haftungsanteil beträgt zunächst (vor unbegrenzter Nachforderungsmöglichkeit) ca. EUR 210 Milliarden. Hinzu kommt, dass Deutschlands Haftungsanteil um die Haftungssummen der jeweils ausfallenden Länder erhöht wird. Ein deutscher Bundeshaushalt hat ein Volumen von ca. EUR 310 Milliarden.
Auf die totale Immunität der Führung des ESM und seiner Angestellten möchte ich hier gar nicht im Detail eingehen. Für mich sind die Größenordnungen der Haftungssummen, die ja nach oben offen sind, schockierend genug.
Zwar handelt es sich hier zunächst um Eventualverbindlichkeiten, doch Sie haben sicher eine Vorstellung davon, dass Bürgschaften im Zweifel auch einzulösen sind.
Besteht ein Finanzierungsplan für diese gigantischen Zahlungsverpflichtungen, welche Steuern werden erhöht, welche Leistungen gesenkt um im ersten Schritt (!) EUR 210 Milliarden leisten zu können?
Sind Sie der Ansicht ein Mandat zu haben, für eine solche weit reichende Entscheidung, die auch künftige Generationen betrifft ?
Wie steht es mit rechtlichen Bedenken (No Bailout Klausel, Grundgesetz)?
Ihrer Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Schneider
Sehr geehrter Herr Schneider,
vielen Dank für Ihre Frage zum Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Der Deutsche Bundestag hat am 29. September der Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) mit großer Mehrheit zugestimmt. Diese Ertüchtigung war notwendig, da sie der EFSF effizientere Instrumente zur Stabilisierung des Euro und zur Verhinderung eines finanziellen Flächenbrandes in der Eurozone an die Hand gibt. Dazu gehört die Möglichkeit zur Auflage vorbeugender Stabilitätsprogramme, zur gezielten Bankenkapitalisierung sowie zum Ankauf von Staatsanleihen zur Stabilisierung eines Eurostaates auf den Finanzmärkten. Zudem stellt die Ertüchtigung sicher, dass für die EFSF ihr Ausleihvolumen von 440 Milliarden Euro auch tatsächlich verfügbar ist. Der bis zum Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) befristete Euro-Rettungsschirm ist nunmehr in der Lage, gegen Angriffe von Spekulanten auf einzelne Eurostaaten wirksam vorzugehen.
Deutschland als exportorientierte Nation profitiert in besonderem Maße von einem stabilen Euro. Insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen kommt die Tatsache zugute, dass mit der Einführung des Euro das Währungsrisiko in der Eurozone abgeschafft wurde. Mehr als 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in andere Euro-Staaten. Dies zeigt: Wirtschaft und Wachstum in Deutschland sind untrennbar mit der Stabilität des Euro verbunden. Es liegt daher im ureigenen Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger, und nicht der Finanzindustrie, ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu verhindern und alle erforderlichen Maßnahmen für den Erhalt des Euro zu ergreifen. Mit der EFSF und dem ESM ist die Eurozone weit davon entfernt, zu einer Schuldenunion oder einer unbegrenzten Haftungsgemeinschaft zu werden. Vielmehr arbeiten die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen daran, die Eurozone wieder zu der Stabilitätsunion zu machen, als die sie von Helmut Kohl und Theo Waigel begründet wurde, bevor Rot-Grün die Aufweichung der Stabilitätskriterien betrieben hat. Die Bundesregierung ist daher mit Nachdruck dafür eingetreten, dass die Rettungsschirme nur zeitlich befristet und unter strengen Auflagen Bürgschaften an Eurostaaten vergeben können. Dieser Ansatz unter-scheidet sich diametral von den von Seiten der Opposition propagierten Eurobonds, die in der Tat die Tür zu einer Schuldenunion in der EU weit öffnen würden. Die Euro-Rettungsschirme sind Teil eines umfassenden Gesamtpakets zur Überwindung der derzeitigen Haushaltskrise in einigen Eurostaaten. Sie kommen als letztes Mittel nur dann zum Einsatz, wenn die Stabilität der Eurozone insgesamt in Gefahr ist. Zu den weiteren Elementen dieses Pakets gehört zum einen die Verankerung von Haushaltsdisziplin in der gesamten Eurozone. Diesem Ziel dient sowohl die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, durch die Verstöße gegen die Stabilitätskriterien schneller und härter bestraft werden können, als auch die von Bundeskanzlerin Merkel vorgeschlagene Verankerung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in allen Eurostaaten. Zum Anderen soll die Wettbewerbsfähigkeit der Eurostaaten dauerhaft erhöht werden. So haben sich die Staats- und Regierungschefs auf eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung der Eurostaaten sowie auf die Umsetzung von gezielten Strukturreformen verpflichtet.
Der Deutsche Bundestag wird bei allen wesentlichen Entscheidungen im Rahmen des künftigen Euro-Rettungsschirms (EFSF) das letzte Wort haben. Dies betrifft sowohl die Ausgestaltung des Rettungsschirms als auch die grundsätzliche Entscheidung über die Vergabe von Krediten. Der deutsche Vertreter im Gouverneursrat wird bei solchen einstimmig zu treffenden Entscheidungen nur dann zustimmen können, wenn der Deutsche Bundestag oder ein parlamentarisches Gremium ihr vorheriges Einverständnis dazu gegeben hat. Das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestags wird beim Euro-Rettungsschirm somit in vollem Umfang gewahrt.
Ich bin zuversichtlich, dass die skizzierte politische Strategie die Grundlage für die dauerhafte Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung schafft. Es ist im Interesse aller Eurostaaten, diesen Prozess im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen. Eine ungeordnete Staatsinsolvenz in der Eurozone würde unkalkulierbare Folgen für die Stabilität des Euro nach sich ziehen und damit auch die Menschen in Deutschland ganz unmittelbar betreffen.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Müller MdB