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Stefan Müller
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Frage von Gerhard G. •

Frage an Stefan Müller von Gerhard G. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Müller,

seit fünf Jahren verfolge ich bereits die politischen Bemühungen um ein Patientenverfügungsgesetz. Es gab dabei viele Verzögerungen, Durststrecken, aber auch interessante Ansätze. Nun scheint das Vorhaben zu scheitern - und das an politischen Eitelkeiten. Das will ich nicht hinnehmen!

Bei diesem Thema geht es um mein Leben und um mein Sterben und darum, beides zu gestalten. Es muss endlich Sicherheit geben. Ich möchte ein Dokument verfassen können, das dann verbindlich ist, wenn ich mich selbst nicht mehr äußern kann.

Im Augenblick versinken Betroffene, Angehörige, Ärzte und Vormundschaftsrichter tief im ethischen und juristischen Treibsand. Denn es hängt vom Richter und damit vom Zufall ab, wie Entscheidungen über lebensverlängernde Maßnahmen ausfallen.

Bitte denken Sie an die mehr als neun Millionen Menschen, die bereits eine Patientenverfügung verfasst haben! Auch ich zähle zu dieser Gruppe. Ich bin mir sicher: Weit mehr hätten gern ein solches Dokument, bezweifeln aber, dass sich Ärzte im Ernstfall daran halten würden. Das sind unhaltbare Zustände, die nur durch ein Gesetz geändert werden können. Jeder der in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe bedeutet eine Verbesserung gegenüber der derzeitigen Praxis.

Nehmen Sie Autonomie und Fürsorge am Lebensende ernst, und entscheiden Sie jetzt! Es ist Ihre Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass noch in dieser Legislaturperiode ein Patientenverfügungsgesetz verabschiedet wird!

Bitte informieren Sie mich über Ihre Position zu diesem Thema - und wie Sie weiter vorgehen werden.

Mit freundlichem Gruß

Gerhard Gutbrod

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Gutbrod,

vielen Dank für Ihre Frage zur Patientenverfügung vom 19. Juni dieses Jahres.

Am 18.06.2009 ist dieses Gesetzgebungsverfahren mit der 2./3. Lesung der hierzu im Bundestag eingebrachten Gruppenanträge und der Annahme des Entwurfs des Abgeordneten Joachim Stünker abgeschlossen worden. Ich habe diesen Entwurf nicht unterstützt, sondern den von 114 Kollegen eingebrachten Entwurf der Abgeordneten Bosbach (CDU/CSU), Röspel (SPD), Göring-Eckardt (Grüne) und Fricke (FDP), der in der Abstimmung von 220 Kolleginnen und Kollegen aus diesen Fraktionen präferiert wurde. Ich habe mir dabei die Entscheidung nicht leicht gemacht. Für mich standen bei der Abstimmung drei wesentliche Kriterien im Vordergrund:

1. der Patientenwille sollte so umfassend wie möglich berücksichtigt werden,

2. es sollte Rechtssicherheit über die Zulässigkeit von Patientenverfügungen bestehen,

3. die deutschen Gerichte sollten so wenig wie möglich über die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen entscheiden müssen.

Die Rechtsprechung akzeptiert die Patientenverfügung bisher als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts des Patienten. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2003 hat der BGH die Politik aufgefordert, eine rechtliche Grundlage für Patienten-verfügungen zu schaffen. Im Deutschen Bundestag haben sich daraufhin drei verschiedene, fraktionsübergreifende Meinungen gebildet.

Der von mir unterstützte Antrag hat folgenden Inhalt: er beinhaltet eine Klarstellung der Rechtslage und die Schaffung von Verhaltenssicherheit für alle Beteiligten. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen soll aus meiner Sicht auch im Fall des Verlusts der Einwilligungsfähigkeit respektiert und gestärkt werden. Zugleich müssen Lebensschutz, ärztliche Fürsorge und Patientenwohl gewahrt werden. Daher enthält der Entwurf eine Vorsorgevollmacht, die Betreuungsverfügung und die Patientenverfügung.

Mit dem Instrument der Vorsorgevollmacht kann für den Fall einer späteren Betreuungs-bedürftigkeit im Vorhinein vom Betroffenen selbst ein Bevollmächtigter bestellt werden. Eine Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht ist dann nicht mehr erforderlich.
In dieser Betreuungsverfügung können Vorschläge zur Auswahl des Betreuers und Wünsche zur Wahrnehmung der Betreuung geäußert werden.

Daneben wird die Patientenverfügung erstmals im Gesetz verankert (§ 1901b BGB). In einer Patientenverfügung schriftlich geäußerte Wünsche und Entscheidungen über medizinische Maßnahmen gelten nach Verlust der Einwilligungsfähigkeit fort. Sie sind für Bevollmächtigte und Betreuer verbindlich und grundsätzlich umzusetzen.
Die in einer Patientenverfügung getroffenen Verfügungen bleiben jedoch widerrufbar; weil niemand gegen seinen Willen an einer früheren Verfügung festgehalten werden soll.

Außerdem halte ich es für erforderlich, dass niemand zu einer Patientenverfügung verpflichtet werden darf. Sie muss ein freiwilliges Instrument bleiben. Auch darf ein Vertrag nicht von der Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung abhängig gemacht werden. Darin spiegelt sich das zivilrechtliche Koppelungsverbot.

Mit dem von mir unterstützten Vorschlag kann in einer Patientenverfügung mit ärztlicher Beratung der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung verbindlich angeordnet werden, wenn eine umfassende ärztliche und rechtliche Aufklärung vorausgegangen, dokumentiert und mit der Patientenverfügung vom Notar beurkundet ist und diese nicht älter als fünf Jahre ist oder mit neuer ärztlicher Beratung bestätigt wurde. Soweit in einer Patientenverfügung ohne Beratung der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung angeordnet ist, ist das für Arzt und Betreuer verbindlich, wenn eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit oder eine Situation vorliegt, in der der Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen wird (z. B. langfristig stabiles Wachkoma).

Bei heilbaren Erkrankungen zwingt eine ohne ärztliche Beratung erstellte Patientenverfügung den Arzt also nicht, entgegen dem Patientenwohl eine Rettung abzubrechen. Ohne Patienten-verfügung kann eine lebenserhaltende Behandlung nur beendet werden, wenn eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und es dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. Anhaltspunkte dafür sind frühere mündliche und schriftliche Äußerungen, seine religiösen Überzeugungen, persönliche Wertvorstellungen und Einstellungen zum Sterben und zu verbleibender Lebenszeit sowie unvermeidbare und für den Betroffenen unerträgliche Schmerzen.

Wenn eine lebenserhaltende Behandlung bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten beendet werden soll, ist nach dem Entwurf von Betreuer und Arzt unter Beteiligung der Pflegepersonen, nächsten Angehörigen und vom Betroffenen benannten nahestehenden Personen in einem beratenden Konsil zu klären, ob dies tatsächlich dem Willen des Betroffenen entspricht und alle Voraussetzungen vorliegen. Wenn nach Beratung im Konsil zwischen Arzt und Betreuer ein Dissens über das Vorliegen aller Voraussetzungen besteht, entscheidet das Vormundschaftsgericht. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist immer erforderlich, wenn eine lebenserhaltende Behandlung ohne Vorliegen einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit oder aufgrund des mutmaßlichen Willens abgebrochen werden soll.

Wünsche und Entscheidungen in jeder Art der Patientenverfügung sind dabei nicht verbindlich, wenn sie erkennbar in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wurden, bei deren Kenntnis der Betroffene vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Im Übrigen gelten selbstverständlich die bisher geltenden Grundsätze des deutschen Rechts. Dass heißt, dass jede Patientenverfügung an die Grenzen des rechtlich Zulässigen gebunden ist. Dazu gehört, dass Inhalte einer Patientenverfügung, die gegen das Gesetz oder die guten

Sitten verstoßen, nichtig sind. Aktive Sterbehilfe bleibt verboten. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung (passive Sterbehilfe) ist nur unter Beachtung der gesetzlich definierten Grenzen möglich.

Ohne gesetzliche Regelung würde aus meiner Sicht die von der Rechtsprechung des BGH geprägte Rechtslage mit den in der Praxis aufgetretenen Rechtsunsicherheiten fortbestehen.

Eine gesetzliche Regelung, die Patientenverfügungen ohne Beratung würde aus meiner Sicht zu einer Vernachlässigung der Schutzpflicht für das Leben führen. Daher habe ich mich für den so eben beschriebenen Entwurf zu einer Patientenverfügung entschieden.

Leider hat dieser Antrag nicht die Mehrheit des Bundestages gefunden. Ich respektiere, dass es viele Kollegen gibt, die sich für einen der anderen Anträge entschieden haben.

Mit der Annahme des Stünker-Entwurfs werden nun Patientenverfügungen auch ohne vorherige ärztliche Beratung des Betroffenen für Arzt und Betreuer unbegrenzt verbindlich sein, selbst wenn eine medizinisch indizierte lebenserhaltende Behandlung abgebrochen werden muss und der Betroffene gar nicht unheilbar krank ist oder unwiederbringlich das Bewusstsein verloren hat. Damit wird es in Zukunft im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig sein, Formulierungen in einer Patientenverfügung sehr genau zu überlegen und am besten mit einem Arzt und einem Juristen zu besprechen. Denn die unbegrenzt verbindliche Patienten-verfügung kann zu einem scharfen, gegen das eigene Leben gerichteten Instrument werden, da sie Ärzten und Betreuern nicht mehr - auch nicht im besten Interesse des selber nicht äußerungsfähigen Patienten - ein Absehen von unbedachten, missverständlichen oder irrtümlichen Verfügungen erlaubt.

Eine intensive Aufklärung und Beratung über die richtige Abfassung von Patientenverfügungen wird damit künftig zu einer wichtigen Aufgabe für Ärzte, Verbände und kirchliche Träger. Leider nimmt allerdings gerade der vom Bundestag nun angenommene Gesetzentwurf – anders als die konkurrierenden Entwürfe - die Beratung zur Patientenverfügung nicht in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung auf.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Ausführungen behilflich sein. Wenn Sie wünschen, stehe ich auch gern für ein persönliches Gespräch zu diesem Thema zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Müller, MdB