Frage an Stefan Kaufmann von Jasper G. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Kaufmann,
mit Aufmerksamkeit verfolge ich die Verhandlungen zu den Handelsabkommen zwischen der EU und den USA. Während die öffentliche Debatte sich größtenteil um die Ausgestaltung der Schiedsgerichtsbarkeit dreht, ist die Frage nach der Harmonisierung der Standards nicht weniger relevant. So möchte ich gern von Ihnen wissen:
- wie/ob aus Ihrer Sicht sichergestellt werden kann, dass eine Harmonisierung der Standards insbesondere in verbrauchersensiblen Bereichen (Lebensmittelindustrie, Medikamente, Chemikalen) nicht auf eine effektive Absenkung auf den jeweils niedrigeren Standard hinausläuft, unabhängig ob jetzt der amerikanische oder europäische Standard niedriger ist. Also wie kann ein Race to the Bottom verhindert werden?
- wie/ob aus Ihrer Sicht eine Harmonisierung generell angesichts der erheblichen Unterschiede (Amerikanische Nachsorge- vs europäischen Vorsorgeprinzip) gelingen kann.
Zudem würde ich gerne von Ihnen wissen wie sie die geplante regulatorische Kooperation sowie die Einrichtung eines Regulatory Cooperation Council, in dem Industrievertreter exklusiven Zugang zu Gesetzesvorhaben erhalten sollen einschätzen. Diese wurde ja bereits von Frank Bsirske (Vorsitzender von Verdi) und Mario Ohoven (Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft) als potenzielle gefährlich für die parlamentarische Kontrolle benannt.
Und zuletzt würde mich noch interessieren, ob Sie als Abgeordneter sich ausreichend über die TTIP Verhandlungen informiert fühlen und insbesondere ob Sie die derzeitige Lösung, dass Abgeordnete -unter strengen Auflagen - im Leseraum des BMWI in die Verhandlungsunterlagen Einblick nehmen können, für ausreichend halten.
Mit freundlichen Grüßen,
J. Geipel
Sehr geehrter Herr Geipel,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Entschuldigen Sie bitte die späte Antwort. Gerne will ich Stellung beziehen:
In den USA sind zwar viele Standards beim Umwelt- und Verbraucherschutz anders, es ist aber nicht generell von einem niedrigeren Schutzniveau auszugehen. In vielen Bereichen besteht in den USA sogar ein höheres Schutzniveau als in Europa. Beispiele sind die Grenzwerte für Benzol in Benzin, für Pestizide in Fruchtsäften oder die Quecksilberemissionswerte in Kohlekraftwerken. Auch die Vorgaben und Tests für das Inverkehrbringen neuer Medikamente sind in den USA aufwändiger als in Europa.
Weder die EU, noch die USA sind gewillt, ihre Standards in diesen Bereichen auf den jeweils niedrigeren Standard anzupassen. Die EU wird keines ihrer Gesetze zum Schutz von Menschen, Tieren oder der Umwelt aufheben. Dafür setzt sich auch die Bundesregierung und meine Fraktion ein ein. Die Gesundheit der EU-Bevölkerung und der notwendige Umweltschutz sind nicht verhandelbar. Dies sollte uns aber nicht vom Ziel abbringen, Handel und Investitionen transatlantisch möglichst weitgehend zu erleichtern und unnötige Hemmnisse, wie etwa doppelte Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren, abzuschaffen.
Gerade die vielzitierten sogenannten Chlorhühnchen sind ein gutes Beispiel für die teilweise fehlgeleitete öffentliche Debatte. Denn das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat das Chlorhuhn nicht nur für gesundheitlich unbedenklich eingestuft, sondern darüber hinausgehend auch als hygienischer als das durchschnittliche europäische Hühnchen. Derzeit ist ein Verfahren der USA gegen die EU bei der WTO anhängig. Unterliegt die EU, wofür aus den o.g. Gründen einiges spricht, so wären die Mitgliedstaaten verpflichtet, Chlorhühnchen ohne Begrenzung einführen zu lassen. Mit TTIP hingegen könnten trotzdem z.B. strenge Kennzeichnungspflichten für die Importeure oder Einfuhrkontingente ausgehandelt werden.
Auch Lohndumping oder geringeren Arbeitsschutzstandards wird durch TTIP nicht Vorschub geleistet. Diese werden hier weiter gelten. Kein amerikanisches Unternehmen wird wegen TTIP hier etwa den gesetzlichen Mindestlohn oder andere Standards umgehen können. Stattdessen wollen wir im Rahmen von TTIP Mindeststandards zum Arbeitsschutz etc. festlegen, die für alle verbindlich sind. D.h. aber nicht, das höhere Standards außer Kraft gesetzt werden.
Ebenso ist die Behauptung unzutreffend, Gesetze müssten zukünftig den Bestimmungen in TTIP entsprechen, etwa im Hinblick auf die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Die Anforderungen der EU an die Zulassung von GVO und die Kennzeichnungspflichten für Erzeugnisse, die GVO enthalten, werden sich infolge der TTIP-Verhandlungen nicht verändern. Die Einfuhr von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen in die EU ist schon heute erlaubt, soweit eine Zulassung vorliegt. Rund 50 gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sind derzeit in der EU zugelassen. Dabei handelt es sich um verschiedene Mais-, Baumwoll-, Soja- und Rapssorten sowie eine Zuckerrübensorte. Der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ist in Deutschland weitgehend untersagt bzw. nur mit einer besonderen Zulassung erlaubt. In der EU ist für den kommerziellen Anbau derzeit lediglich eine gentechnisch veränderte Pflanzensorte zugelassen, fünf Zulassungen sind abgelaufen. In Deutschland werden seit 2012 de facto keine gentechnisch veränderten Pflanzen kommerziell mehr angebaut. An dieser Sachlage wird sich durch TTIP nichts ändern.
Mit der in TTIP geplanten Regulatorischen Zusammenarbeit wird ein Kooperationsmechanismus geschaffen den beide Seiten nutzen können, aber nicht müssen. Hier werden keine bindenden Beschlüsse getroffen, innerstaatliche Verfahren werden nicht umgangen. Beide Seiten können weiter regulieren, die Regulierungsautonomie wird gewahrt. Es werden keineswegs nur Industrievertreter gehört, sondern alle betroffenen Interessensgruppen.
TTIP wird derzeit von der EU-Kommission verhandelt. Die Verhandlungen haben inzwischen ein Ausmaß an Transparenz erreicht, wie es bei keinem der mir persönlich bekannten zahlreichen EU-Handelsabkommen in der Vergangenheit jemals erreicht worden ist. Die EU-Kommission informiert regelmäßig das Europäische Parlament sowie die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten (d.h. auch die Bundesregierung) über den Verhandlungsprozess. Die Bundesregierung gibt wiederum regelmäßige Informationen an den Deutschen Bundestag. Damit ist gewährleistet, dass alle demokratisch legitimierten Institutionen über aktuelle Entwicklungen bei den Verhandlungen informiert sind. Zudem tritt das Abkommen nach Abschluss der Verhandlungen nur in Kraft, nachdem das Europäische Parlament, die nationalen Parlamente sowie die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zugestimmt haben. Auch dadurch ist eine umfassende parlamentarische Kontrolle sichergestellt. Ich fühle mich hier nicht umgangen und werde einer Abschaffung unserer Gesetze zum Schutz von Menschen, Tieren oder der Umwelt auch nicht zustimmen.
Ich bin manchmal erstaunt, warum die Öffentlichkeit gerade beim Abbau von Handelshemmnissen mit den USA so kritisch ist, während beim Abbau solcher Hemmnisse mit den großen Schwellenländern kaum Notiz genommen wird. In China, Indien, Brasilien, Nigeria, etc. sind die Standards in aller Regel weit niedriger. Das Abkommen mit den USA könnte Vorbildcharakter für andere internationale Abkommen schaffen.
Sehr geehrter Herr Geipel, gerne stehe ich Ihnen in dieser Sache auch in einem persönlichen Gespräch Rede und Antwort. Bitte wenden Sie sich doch bei Interesse zur Terminvereinbarung an mein Wahlkreisbüro (Tel. 0711 907299-10).
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Stefan Kaufmann