Frage an Stefan Kaufmann von Susanne G. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Kaufmann,
die Frankfurter Allgemeine brachte am 28.07.2012 einen ausführlichen Gastbeitrag von Stefan Homburg. Dieser setzt sich mit dem „zutiefst korrupten System“ des ESM – wie er es nennt – auseinander.
Die FAZ beschreibt in diesem Beitrag anhand des ESM-Vertrages (alle Passagen sind entsprechend verlinkt und hervorgehoben) welch ausgeklügeltes System der Aushebelung der nationalen Parlamentsrechte dem ESM zugrunde liegt.
Sie schreiben einem Bürger in einer Ihren vorherigen Antworten, daß der Bundestag selbstverständlich volle Souveränitätsrechte über alle Gelder behält, die später für den ESM nachgeschossen werden müssen. Dies ist formal natürlich richtig. Wußten Sie aber, daß dennoch allein der Gouverneursrat allein trifft? Stimmt dieser (Ausnahme ist die Erhöhung des Stammkapitals) einem Nachschuß zu, kann der Bundestag soviel dagegen stimmen wie er will. Da der ESM ein völkerrechtlicher Vertrag ist, steht dieser über den Beschlüssen des Bundestags? War Ihnen dies auch nur ansatzweise klar, als sie Ihre Stimmkarte abgaben? Konnte Ihnen das überhaupt klar sein? Ich frage, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, daß Sie als MdB in der Lage waren, den ESM-Vertragstext zu lesen und zu verstehen. Damit haben selbst eingefleischte Juristen so ihre Probleme. Heißt das dann im Umkehrschluß, daß Sie sich bei Ihrer Abstimmung allein auf die Meinung anderer verlassen haben? Oder heißt es, daß sie ohne Kenntnis des Vertrages abgestimmt haben?
Wußten Sie weiterhin, daß der Gouverneursrat die Haftung Deutschlands nahezu beliebig nach oben schrauben kann, da er nach Artikel 8 II beschließen kann, daß der Ausgabekurs des Kapital den Nennwert übersteigen kann? War Ihnen das alles bei der Abstimmung bekannt? Falls ja, stimmen Sie dem zu? Falls nein, warum haben Sie dann dafür gestimmt?
Mit freundlichen Grüßen,
Susanne Grohnert
Sehr geehrte Frau Grohnert,
vielen Dank für Ihre Nachfrage. Ich nehme die Kritik von Stefan Homburg ernst, teile sie aber nicht. Kern der Kritik ist das Spannungsverhältnis zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und dem nationalen Gesetz. Im Bundestag haben über das nationale Ratifizierungsgesetz abgestimmt. Ich darf Ihnen als Jurist mitteilen, dass ein völkerrechtlicher Vertrag nicht automatisch über nationalem Recht steht. Vielmehr muss ein völkerrechtlicher Vertrag in nationales Recht implementiert werden, um überhaupt wirksam zu sein.
Ich darf hier zum wiederholten Male darauf hinweisen, dass der deutsche Gouverneur ohne Zustimmung des Bundestages im Gouverneursrat mit „Nein“ stimmen muss, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Gegen die Stimmen Deutschlands ist kein neues finanzielles Risiko möglich, auch nicht bei Dringlichkeitsverfahren.
Ich teile die Meinung des Autors explizit nicht, wenn dieser behauptet, der deutsche Gouverneur (bei dem es sich um den Bundesfinanzminister handelt) sei in bestimmten Fällen nicht an deutsches Recht gebunden, sondern lediglich an den ESM-Vertrag. Irreführende Begriffe wie eine mögliche „gespaltene Loyalität“ unseres Bundesfinanzministers sind hier fehl am Platz. Der deutsche Gouverneur muss sich vor einer Abstimmung ein zustimmendes Votum des Bundestages abholen und damit sowohl nationales Recht als auch den ESM-Vertrag einhalten. Auch bei dringlichen Entscheidungen kann z.B. im Rahmen einer Sondersitzung des Bundestages ein zeitnahes Votum eingeholt werden –so wie zuletzt im Falle Spaniens.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Stefan Kaufmann