Frage an Stefan Kaufmann von Carsten M. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Kaufmann,
Sie haben am Montag der Zahlung von mittlerweile wohl kaum mehr zählbaren Milliarden an Griechenland zugestimmt. Der Presse war zu entnehmen, dass Sie damit über ein Gesetz abgestimmt haben, welches Ihnen als Abgeordneter des Deutschen Bundestag in seiner Gesamtheit erst wenige Stunden vor Ihrer Abstimmung bekanntgegeben wurde und über 700 Seiten umfaßte.
Haben Sie diese 700 Seiten gelesen? Falls ja, haben Sie verstanden, was Ihnen da vorgelegt wurde? Fall nein, wie können Sie sich dann Recht herausnehmen, über etwas abzustimmen, was sie nicht einmal gelesen haben?
Und erlauben Sie mir noch eine abschließende Frage: Die einschlägigen repräsentativen Umfragen zu dem Thema sind Ihnen sicher bekannt. Glauben Sie, Sie haben mit Ihrer Ja-Stimme gemäß dem Willen des Volkes und der Bürger in Ihrem Wahlkreis abgestimmt?
Mit freundlichen Grüßen,
Carsten Mulschner
Sehr geehrter Herr Mulschner,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne will ich Ihnen mitteilen, warum ich den von Kanzlerin Angela Merkel eingeschlagenen Weg in der Eurokrise ebenso wie ein Großteil der Abgeordneten des Bundestages grundsätzlich mittrage.
Die Staatsschuldenkrise in Griechenland bildete im Frühjahr 2010 den Ausgangspunkt für eine umfassendere Vertrauenskrise im Euroraum, die noch nicht vollständig überwunden ist. Es gibt für diese Krise keine einfachen und schnellen Lösungen. Ein wichtiges Ziel unseres Handelns war es immer, die Auswirkungen der Staatschuldenkrise auf unsere Realwirtschaft gering zu halten. Die Herstellung einer tragfähigen Lösung für Griechenland ist ein zentrales Element für die grundlegende Überwindung der Staatsschuldenkrise in Europa, bei der wir gut vorangekommen sind.
Die Maßnahmen beinhalten mehr als nur die milliardenschweren Bürgschaften, die nicht mit direkten Zahlungen zu vergleichen sind. Zentrale Aspekte sind etwa die Verschärfung der Vorgaben für das von systemrelevanten Banken vorzuhaltende Eigenkapital. Auf diese Weise wird die Verlusttragfähigkeit der Banken erhöht, Gewinnchancen und Haftung werden besser in Einklang gebracht. Mit dieser notwendigen Stabilisierung des Finanzsystems werden mögliche Ansteckungsgefahren der Staatsschuldenkrise auf den Finanzmärkten - und in weiterer Folge auf die Realwirtschaft - erheblich verringert.
Hinzu kommt die Erweiterung der Instrumente des temporären Rettungsschirms EFSF, um ihm bessere Möglichkeiten zu geben, Ansteckungseffekte im Keim zu ersticken. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM als Nachfolger des temporären Rettungsschirms soll nun schon Mitte dieses Jahres eingerichtet sein.
Zudem haben mehrere europäische Staaten - unabhängig davon, ob sie Finanzhilfen aus dem temporären Rettungsschirm erhalten - wichtige Maßnahmen zur Stärkung der Haushaltsdisziplin und zur Beschleunigung wachstums- und beschäftigungsfördernder Strukturreformen auf den Weg gebracht. Eine glaubwürdige Konsolidierungs- und Reformpolitik in den Staaten selbst ist die beste Vorsorge gegen potentielle Ansteckungseffekte.
Und letztlich wird die institutionelle Struktur der Währungsunion gestärkt. Mit dem Fiskalpakt gehen wir einen wichtigen Schritt zu einer Stabilitätsunion. Der vergemeinschafteten Geldpolitik der Euro-Staaten wird ein wirksameres finanzpolitisches Regelwerk mit einer stärkeren Überwachung der nationalen Haushaltspolitiken zur Seite gestellt. Damit werden in allen 17 Ländern der Euro-Zone und acht weiteren EU-Staaten verbindliche Schuldenbremsen eingeführt. Dies ist insbesondere auf Drängen Deutschlands zustande gekommen.
Zentrale Voraussetzung für die Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist eine Reduzierung der Gesamtverschuldung, für die der Deutsche Bundestag immer einen ernsthaften Beitrag des Privatsektors gefordert hat. Dies wurde erreicht. Die Vertreter der privaten Gläubiger haben einer Lösung zugestimmt, die für sie mit einem Verzicht auf mehr als die Hälfte ihrer Rückzahlungsansprüche sowie einer Herabsetzung künftiger Zinszahlungen verbunden ist. Eine weitere Voraussetzung lag in Griechenland selbst. Nur wenn die dort politisch Verantwortlichen den eingeschlagenen Weg aus eigener Überzeugung vertreten, können die Hilfen der Staatengemeinschaft ihre Wirkung entfalten. Daher hat die Staatengemeinschaft darauf bestanden, dass Griechenland bestimmte Maßnahmen zwingend noch vor der Zusage eines zweiten Hilfsprogramms gesetzgeberisch umsetzt. Bei dieser Konditionalität der Hilfen geht es also keineswegs um irgendeine Gängelung der griechischen Politik oder gar der griechischen Bevölkerung. Diese Konditionalität ist vielmehr eine unabdingbare Voraussetzung für die haushalterische und volkswirtschaftliche Gesundung Griechenlands als Mitglied der Europäischen Währungsunion.
Es mehren sich die Anzeichen, dass die genannten Maßnahmen zum Erfolg führen. Die Zinsen, die ein hoch verschuldetes Land wie Portugal für neue Staatsanleihen zahlen muss, sind zuletzt gesunken. Der Schuldenschnitt in Griechenland verlief weitgehend problemlos. Der Internationale Währungsfonds hat sich bereit erklärt, am zweiten Rettungspaket für Griechenland mitzuwirken. Die Entspannung im Euro-Raum ist die Grundlage für eine weitere solide Entwicklung unserer Wirtschaft. Die Bundesbank sieht gute Chancen für eine erneute Belebung der Konjunktur. Besonders erfreulich am aktuellen Ausblick ist, dass die Unternehmen weiter in erheblichem Umfang Personal einstellen.
Verantwortungsvolle Politik sollte auch die Alternativen zu den derzeitigen Maßnahmen abschätzen. Hier gibt es meiner Ansicht nach zwei entgegengesetzte Wege, die vielfach diskutiert wurden. Von SPD und Grünen wurden immer wieder die sogenannten Eurobonds ins Spiel gebracht. Dies würde eine Vergemeinschaftung aller nationalen Schulden in unbegrenzter Höhe bedeuten. Zudem lädt dieser Weg die Krisenstaaten dazu ein, weiterhin Schulden zu machen. Eine weitere Alternative in entgegengesetzter Richtung wäre die Inkaufnahme von Staatspleiten in den Krisenstaaten. Hier warnen zahlreiche namhafte Ökonomen vor unkontrollierbaren Auswirkungen auch auf unsere Realwirtschaft und die Geldwertstabilität. Mir scheinen beide Wege weniger erfolgsversprechend als das beschriebene Maßnahmenbündel.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Thema Umfragen. Mir persönlich sind die einschlägigen repräsentativen Umfragen nicht bekannt. Umfragen können aber prinzipiell nicht die Entscheidungsgrundlage in der Politik sein. Ansonsten könnte man auf die mitunter komplexen parlamentarischen Verfahren ganz verzichten und stattdessen zu jedem Gesetzentwurf eine Umfrage durchführen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Stefan Kaufmann