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Stefan Kaufmann
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Frage von Daniel H. •

Frage an Stefan Kaufmann von Daniel H. bezüglich Verkehr

Dr. Kaufmann, wie stehen Sie zum Thema Stuttgart 21?
Mein einfacher Vorschlag für eine friedliche Lösung wäre, einen Volksentscheid durchzuführen und bis zu diesem den Bau zu stoppen.
Ich weiß, dass Sie wohl argumentieren werden, ein Volksentscheid sei nicht nötig, da das Volk durch die Wahl verschiedener Gremien, die über das Projekt unzählige Mal diskutiert und entschieden haben.
Trotzdem sollte einem Thema mit so großer Brisanz doch deeskalierend begegnet werden, um noch größere Schäden zu vermeiden.

Ich freue mich auf ihre Erklärung, weshalb ein Baustopp nicht möglich sei.

Viel Dank

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Holfelder,

herzlichen Dank für Ihre E-Mail. Gerne will ich Ihnen antworten. Zunächst einmal möchte ich Ihnen erläutern, warum ich das Projekt Stuttgart 21 befürworte. Es handelt sich um mehr als einen neuen Bahnhof. Der gesamte Bahnknoten Stuttgart wird neu geordnet, 60 Kilometer neue Gleise entstehen. Kernstück ist die Umwandlung des bestehenden Kopfbahnhofs in einen um 90 Grad gedrehten unterirdischen Durchgangsbahnhof. Aus betrieblicher Sicht weisen Kopfbahnhöfe gegenüber Durchgangsbahnhöfen prinzipiell Nachteile auf. Wenn der erforderliche Fahrtrichtungswechsel bei durchgehenden Zügen mehr Zeit kostet als das Aus- und Einsteigen der Reisenden, verringert dies die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit. Hinzu kommt, dass ein Kopfbahnhof für die gleiche Zahl der Zugbewegungen mehr Gleise und damit eine größere Grundfläche benötigt als ein Durchgangsbahnhof mit gleicher Kapazität. In Stuttgart kommt beim bestehenden Kopfbahnhof noch das komplizierte „Tunnelgebirge“ hinzu. Es führt dazu, dass sich die Züge derzeit gegenseitig blockieren. Bisher rollt der gesamte Verkehr nur über fünf Zufahrtsgleise ein und aus: Zwei Gleise von und nach Bad Cannstatt, zwei Gleise von und nach Feuerbach sowie eines zur Gäubahn. Dies verschweigen die Kritiker von Stuttgart 21 regelmäßig.

Beim künftigen achtgleisigen Durchgangsbahnhof gibt es deutlich weniger Blockaden durch kreuzende Züge. Vier zweigleisige Strecken (von und nach Feuerbach, Bad Cannstatt, Untertürkheim und Messe/Flughafen) schließen den Hauptbahnhof an. Durch die im Regelbetrieb je vier zuführenden und vier abgehenden Streckengleise können die Züge gleichzeitig aus allen Richtungen ein- und ausfahren. Das bedeutet eine höhere Leistungsfähigkeit: erheblich mehr Züge können über den Tag verteilt den Stuttgarter Hauptbahnhof anfahren. Zur Verdeutlichung der Leistungsfähigkeit eines Kopfbahnhofs im Richtungsbetrieb darf ich auf die S-Bahnstationen Schwabstrasse, Feuersee, Stadtmitte, usw. hinweisen. Hier verkehren auf einem zweigleisigen Durchgangsbahnhof täglich mit 600 Zügen die doppelte Anzahl an Zügen wie am sechzehngleisigen Kopfbahnhof mit täglich ca. 300 Zügen.

Dies bringt Vorteile im Fern- und Regionalverkehr. Der derzeitige Bahnhof ist nur nach Norden (in Richtung Mannheim/ Frankfurt am Main/ Köln) an den Hochgeschwindigkeitsverkehr angeschlossen. Stuttgart 21 ist Teil der sog. „Magistrale für Europa“, die eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von Paris bis Budapest vorsieht und z.B. von Paris bis Straßburg schon zum größten Teil realisiert ist. Natürlich ist mir klar, das auch zukünftig wenige Reisende in Paris einsteigen und in Budapest aussteigen werden. Aber darum geht es auch nicht. Mit Fertigstellung der Magistrale werden beispielsweise viele Stuttgarter Reisende mit dem Fahrziel Paris oder München auf das Auto oder das Flugzeug verzichten, weil die Bahn schneller sein wird. Andere Hochgeschwindigkeitstrecken haben nachweislich solche Effekte.

In der Region Stuttgart leben 2,3 Millionen Menschen. Stuttgart ist nach dem Ruhrgebiet und Berlin der drittgrößte deutsche Ballungsraum. Die Innenstadt liegt in einem engen Talkessel, tägliches Verkehrschaos ist die Regel. Die weitgehend zusammenhängende Bebauung überschreitet inzwischen die Grenzen des S-Bahnnetzes bei weitem. Stuttgart 21 wird dazu führen, dass zusätzlich zum U- und S-Bahnnetz eine dritte Netzspinne aus durchgehenden Regionalexpresszügen installiert wird. Die Region südlich von Stuttgart wird dabei wesentlich besser angeschlossen als bisher, auch eine Anbindung des Flughafens an den Fern- und Regionalverkehr wird ermöglicht.
Außerdem ist Stuttgart 21 auch ein Stadtentwicklungsprojekt. Jahrelang haben sich die „Speckgürtel“ unserer Städte „auf der grünen Wiese“ ausgedehnt. Dies gilt besonders für die wirtschaftsstarke Region Stuttgart, weil es in einem engen Talkessel liegt. Die über 100 Hektar freiwerdenden Gleisfächen des Kopfbahnhofs sind zum allergrößten Teil bereits im Besitz der Stadt. Bei der Bebauung dieser Flächen können daher auch dringend benötigte bezahlbare Wohnungen in zentraler Innenstadtlage geschaffen werden, weil kein Vermarktungsdruck besteht. Zudem wird der Schlossgarten um 20 Hektar erweitert, 5000 neue Bäume werden im Park und in den neuen Stadtvierteln gepflanzt.
Dies alles wurde seit mehr als 15 Jahren geplant, in aufwendigen Verfahren und unter Bürgerbeteiligung planfestgestellt und von unstrittig demokratisch legitimierten Parlamenten im Deutschen Bundestag, im Landtag von Baden-Württemberg in der Regionalversammlung und im Stuttgarter Gemeinderat zumeist mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Nach aufwendigen und langwierigen Verhandlungen mit den Projektpartnern wurden Finanzierungsverträge ausgehandelt und unterzeichnet. Zwischenzeitlich wurden Bauaufträge im dreistelligen Millionenbereich ausgeschrieben und vergeben und nicht zuletzt wurde im Februar mit dem Bau begonnen.

Der Vergleich mit einem privaten „Häuslebauer“ liegt nahe. Man stelle sich vor Sie wollen ein Haus bauen und haben hierzu über Jahre eine Finanzierung mit der Bausparkasse ausgehandelt und das Haus im notwendigen Maße vorfinanziert. Sie haben den Baugrund erworben, der Architekt hat das Haus geplant und das Baurechtsamt genehmigt. Sie haben schon wichtige Aufträge an Firmen vergeben und die Baugrube ist schon ausgehoben. Plötzlich fällt Ihnen ein, dass Sie das Haus in dieser Form gar nicht wollen und sich vielleicht mit einer „abgespeckten“ Variante Geld sparen ließe. Dies wäre vielleicht sogar möglich gewesen - ist in diesem Stadium des Projektfortschritts aber nicht mehr realisierbar.

Stuttgart 21 jetzt zu stoppen und nochmal alles neu aufzurollen würde dazu führen, dass in den nächsten mindestens 10 Jahren beim Bahnknoten Stuttgart und bei der notwendigen Ausbau der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm überhaupt nichts geschieht. Zunächst einmal wäre der entstandene Schaden mit Steuermitteln an die Bahn zurückzuzahlen, die Kosten wären immens und stünden in keinerlei Relation zu möglichen Einsparungen. Es wird auch keine Alternative namens „Kopfbahnhof 21“ geben, die im Übrigen in ähnlicher Form von den Planern in den neunziger Jahren nach intensiver Abwägung verworfen wurde.

Bei der sogenannten Alternative „Kopfbahnhof 21“ handelt es sich um eine Ideenskizze, deren Kosten allenfalls grob geschätzt sind. Jede detailliertere Planung müsste erneut dieselben aufwendigen Verfahren durchlaufen wie Stuttgart 21 und wäre mit Sicherheit auch mit Problemen, Kostensteigerungen etc. verbunden. Dies kann und wird kein vernünftiger Volksvertreter wollen. Diese Tatsachen sind auch den Grünen bekannt. Im übrigen haben sich die Grünen in den letzten Wochen vom Bau der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm verabschiedet. Diese war bis zuletzt auch Bestandteil von K 21.

Mir ist durchaus bewusst, dass in der hochemotionalisierten Debatte eine Ablehnung des Projekts Stuttgart 21 die Wahlchancen bei der kommenden Landtagswahl erhöht. Mit Ihrem derzeitigen Verhalten sind die Grünen aber auf dem besten Wege, wieder zur „Blockadepartei“ der achtziger Jahre zu werden, die aus populistischen Gründen gegen alles ist. Wenn dieses Beispiel Schule macht, wird in Deutschland künftig alles zu stoppen sein. Auch ein Ausbau der regenerativen Energien beispielsweise in „Offshore-Windparks“ wird nicht realisierbar sein, wenn die Grünen den hierzu benötigten Ausbau der Hochspannungsleitungsnetze mit Hilfe von Bürgerinitiativen verhindern. Und genau dies meint Bundeskanzlerin Angela Merkel, wenn Sie von der Zukunftsfähigkeit unseres Landes spricht. Eine „Hauptsache-Dagegen-Demokratie“ ohne realistische Alternative entspricht nicht meinem Demokratieverständnis.

Das Projekt ist demokratisch hinreichend legitimiert. Eine Volksabstimmung wäre dennoch wünschenswert gewesen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist diese meiner Ansicht nach aus mehreren Gründen verfassungswidrig. Der Vorstoß stellt vielmehr eine panische Reaktion der SPD dar, die das Projekt seit 15 Jahren befürwortet. Die SPD sieht ihre Wahlchancen bei der kommenden Landtagswahl schwinden und schlägt deshalb ein merkwürdiges Konstrukt vor. Zunächst einmal soll die schwarz-gelbe Landesregierung einen Gesetzentwurf einbringen, der eine einseitige Aufkündigung eines ihrer zentralen Projekte vorsieht. Dann soll der Landtag diesen Gesetzentwurf ablehnen, um so einen Volksentscheid herbeizuführen, in dem die Bürger dann über einen einseitigen Vertragsbruch mit der Folge von Schadensersatzzahlungen und einem Eingriff in den Staatshaushalt abstimmen soll. Selbst die von der SPD hierfür eingesetzten Rechtsgutachter sprechen über das Konstrukt im dreifachen Konjunktiv nach dem Motto „wenn ein solches Konstrukt eingeführt würde, spräche einiges dafür, das ein Volksentscheid dazu führen könne , aus dem Projekt auszusteigen“. Ein Volksentscheid macht meiner Auffassung nach nur Sinn, wenn ein negatives Votum der Baden-Württemberger tatsächlich den Abbruch des Projekts zur Folge hätte. Die Landesregierung hat diesen Vorschlag überprüfen lassen. In einem Rechtsgutachten kommt der renommierte Verfassungsrechtler Prof. Paul Kirchhof zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag der SPD verfassungswidrig ist. Man stelle sich vor, ein solcher Volksentscheid würde herbeigeführt und hätte den Stopp von Stuttgart 21 als Ergebnis, welches vom Verfassungsgericht dann aber für nichtig erklärt würde. Ich möchte in dieser aufgeheizten Stimmung nicht der Überbringer einer solchen Nachricht sein, und die schwarz-gelbe Landesregierung sicherlich auch nicht.

Ich hoffe, Ihre Fragen damit hinreichend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Stefan Kaufmann

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