Frage an Stefan Kaufmann von Michael W. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Dr. Kaufmann,
Anfang August soll gegen den entschiedenen Widerstand der Stuttgarter Bevölkerung der Nordflügel des denkmalgeschützten Stuttgarter Hauptbahnhofs für das Projekt Stuttgart 21 abgerissen werden, obwohl für die Realisierung des "Bahnprojekt Stuttgart-Ulm" noch zahlreiche fundamentale Voraussetzungen fehlen:
- Das Bundesverkehrsministerium wollte im Frühjahr 2010 eine aktualisierte Kostenschätzung und Wirtschaftlichkeitsrechnung für die mit Stuttgart 21 integral verknüpften Neubaustrecke Wendlingen-Ulm präsentieren. Die Zahlen liegen bis heute noch nicht vor. Unabhängige Experten befürchten aufgrund der grossen Zahl geplanter Kunstbauten in schwierigster Geologie mindestens eine Verdoppelung der bis jetzt kommunizierten Kosten. Durch die Neuberechnung wird der Kosten-Nutzen-Faktor der Neubaustrecke erheblich reduziert und könnte dazu führen, dass die Strecke (und damit auch Stuttgart 21) nicht vor 2025 fertig gestellt wird, falls diese nicht schon vorher den Sparvorgaben der Bundesregierung zum Opfer fällt.
- Bis heute ist der nach dem Tiefbahnhof schwierigste Abschnitt von Stuttgart 21, nämlich der Bereich „Messe, Flughafen, Filderbahnhof“, völlig in der Schwebe. Für diesen Planungsabschnitt 1.3 des Projekts Stuttgart 21 ist bisher noch nicht einmal ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet worden. Nach den bisherigen Erfahrungen bei anderen (problemloseren) Abschnitten zu Stuttgart 21 dauern diese Verfahren von der ersten öffentlichen Auslegung bis zu einem gerichtsfesten Planfeststellungsbeschluss drei bis fünf Jahre.
Vor diesem Hintergrund ist es meines Erachtens unverantwortlich, jetzt mit dem Abriss des Bonatz-Baus zu beginnen.
Sind Sie bereit, auf die umgehende Veröffentlichung der Kostenschätzung und Wirtschaftlichkeitsrechnung durch das Bundesverkehrsministerium zu drängen und bis zur Klärung der Realisierungsvoraussetzungen ein Moratorium für Stuttgart 21 zu fordern ?
Mit freundlichen Grüssen,
Dr. Michael Weber
Sehr geehrter Herr Dr. Weber,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Gerne will ich Ihnen antworten.
Ich bin bereit, auf eine Veröffentlichung der Kostenschätzung und Wirtschaftlichkeitsberechnung der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zu drängen bzw. habe dies bereits getan. Ein Moratorium werde ich nicht fordern. Im übrigen ist die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auch integraler Bestandteil der Befürworter der K 21-Variante. Die Notwendigkeit der Neubaustrecke wird zudem bisher von keiner Seite in Zweifel gezogen. Schon deshalb stellt sich die Frage nicht, ob eine Realisierung von Stuttgart 21 ohne die Neubaustrecke Sinn macht.
Stuttgart 21 befindet sich im Bau; bei Großprojekten dieser Größenordnung ist ein Baubeginn vor Planfeststellung jedes einzelnen Abschnitts nichts ungewöhnliches. Auch ist der von Ihnen genannte Abschnitt bei weitem nicht der schwierigste Abschnitt des Projekts. Die „schwierigsten“ Bereiche sind die genehmigten Planfeststellungsabschnitte 1.1 (Talquerung und Tiefbahnhof) sowie 1.2 (Fildertunnel). Nach der erteilten Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministeriums zur Mitnutzung der S-Bahnstrecke für Fernverkehrszüge ist davon auszugehen, dass auch dieses zwischenzeitlich beantragte Planfeststellungsverfahren rechtzeitig vor Beginn der geplanten Maßnahmen in diesem Bereich zum Erfolg geführt wird. Die Unterlagen befinden sich bereits in Vorbereitung zur Auslegung. Für den Kernbereich von Stuttgart 21 liegt Baurecht vor.
Gestatten Sie mir noch eine grundsätzliche Bemerkung zu den von den Projektgegnern immer wieder genannten „grundlegenden Realisierungsvoraussetzungen“ und „Sollbruchstellen“ des Projekts Stuttgart 21. Nach jeder verlorenen Gerichtsverhandlung und Grundsatzentscheidung haben sich die Gegner in immer absurdere Szenarien geflüchtet, wie das Projekt noch zu verhindern sei. Sogar der Baubeginn hat daran nichts geändert. Mit der Realität hat dies reichlich wenig zu tun. Hinter vorgehaltener Hand sprechen beispielsweise die Grünen davon, dass das Projekt nicht mehr zu verhindern sei. Dennoch halten sie aus wahltaktischen Gründen an diesen falschen Ausstiegsszenarien fest und streuen den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen. Für mich ist das zwar machtpolitisch nachvollziehbar, in der Sache aber unredlich.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Stefan Kaufmann