Frage an Stefan Kaufmann von Joris S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Kaufmann,
können Sie mir und den restlichen Stuttgartern erklären, warum ein Bürgerbegehren zum Thema Stuttgart 21, welches von ca. 65.000 Bürgern der Stadt Stuttgart unterschrieben wurde, einfach ungehört in den Papierkorb verschwinden kann?
Wieso haben diese Stimmen keinerlei demokratisches Gewicht?
Was kann man als Bürger einer Stadt Ihrer Meinung nach sonst tun, um sich gegen ein Vorhaben auszusprechen, welches einem die Lebensqualität für 10 Jahre stark einschränkt?
Darüber hinaus kann ich es nicht nachvollziehen, dass auch Sie als Stuttgarter Bürger, ein Projekt befürworten, welches die Stuttgarter Innenstadt für (geplante!) 10 Jahre in eine Großbaustelle verwandelt. Bisher kann ich mich nur an Aussagen von Herrn Mehdorn erinnern, die Bürger würden von dieser Baustelle nichts mitbekommen ("da müßte man schon einen Gullydeckel hochheben"). Besonders die Kessellage wird doch für die dortigen Bewohner zu einer permanenten Lärm- und Emmissionbelästigung während der Bauzeiten führen müssen. In Ihrer Bundestagsrede vom 17.12.2009 haben Sie davon gesprochen, dass man die Sorgen der Bürger ernst nehmen soll und sprachen auch von Aufrichtigkeit. Dies vermisse ich schmerzlich. Was können Sie dazu beitragen, dass hier endlich eine ehrliche und schonungslose Aufklärung der Bürger stattfindet?
Weiterhin beunruhigen mich sehr die Gerüchte, dass die Firma Bilfinger und Berger dieses Bauvorhaben umsetzen soll. Fänden Sie es richtig, dass eine Firma, die schon in Köln Leib und Leben der Bevölkerung riskiert hat, ein solches Bauvorhaben in Stuttgart durchführt?
Mit freundlichen Grüßen aus dem Stuttgarter Kessel
Joris Schoeller
Sehr geehrter Herr Scholler,
vielen Dank für Ihre Fragen. Gerne will ich Ihnen antworten.
Wie Sie sicherlich wissen, ist die Bundesrepublik Deutschland als parlamentarische Demokratie organisiert. Dies bedeutet unter vielem anderem, dass Entscheidungen der Mehrheit grundsätzlich auch von der Minderheit zu akzeptieren sind.
Stuttgart 21 wurde mehrfach von unstrittig demokratisch legitimierten Volksvertretungen im Gemeinderat, im Regionalparlament, im Landtag und im Bundestag genehmigt bzw. bestätigt.
Der von Ihnen angesprochene Bürgerentscheid wurde aus zwingenden rechtlichen Gründen durch das Verwaltungsgericht Stuttgart am 17. Juni 2009 als nicht zulässig erachtet. Die Voraussetzungen für eine Berufung lagen laut Gericht nicht vor. Es ist gute Tradition in unserem Land, Entscheidungen unabhängiger Gerichte zu akzeptieren. Heute haben wir März 2010. Ihre Aktivitäten in allen Ehren, aber es ist aus meiner Sicht an der Zeit, sich nunmehr konstruktiv an den Diskussionen zur Durchführung des Bauvorhabens zu beteiligen.
Ein wichtiger Punkt – den Sie bereits ansprechen – ist dabei, sicherzustellen, dass Bauleistungen ausschließlich an zuverlässige Bauunternehmer vergeben werden. Erfahrungen mit Unternehmen in Köln sollten dabei durchaus berücksichtigt werden. Ich begrüße daher ausdrücklich eine diesbezüglichen Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg. Ich setze mich regelmäßig bei den Projektpartnern für die berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt im Bereich Lärmschutz oder bei städtebaulichen und verkehrstechnischen Fragen ein. Dies ist selbstverständlich. Worum es aber nicht mehr gehen kann, ist - wie eingangs geschildert - ob das Projekt verwirklicht wird oder nicht. Wenn die Initiatoren der Protestaktionen zu Ihnen ehrlich wären, müssten sie dies auch zugeben. Es ist aber davon auszugehen, dass aus parteipolitischen Gründen zumindest bis zur Landtagswahl 2011 versucht werden wird, diesen Protest aufrecht zu erhalten. Wenn dies gelingt: Respekt für den politischen Gegner. Ausdruck einer besonderen Achtung den Volksvertretungen, die Stuttgart 21 mehrheitlich befürwortet haben, ist dies jedoch nicht.
Beste Grüße
Dr. Stefan Kaufmann