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Frage von Sabine G. •

Frage an Stefan Grabrucker von Sabine G. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Grabrucker,

als Elternbeiräte der beiden Erdinger Gymnasien haben wir folgende Fragen an Sie:

Fragen an die Landtagskandidaten - Thema: Schulpolitik

1.In der bayerischen Schulpolitik gibt es seit einigen Jahren immer nur punktuelle Veränderungen, um die eklatantesten Mängel zu beheben.
Haben Sie bzw. hat Ihre Partei ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Bildungspolitik?

2.Die soziale Herkunft entscheidet meist über eine erfolgreiche Schullaufbahn. Was sollte getan werden, um das zu ändern?

3.Das bayerische Schulsystem beruht größtenteils auf Auslese. Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um den Schwerpunkt auf Förderung statt Auslese zu legen?

4.Wie stehen Sie zur bayernweiten Einführung und Finanzierung der Schulsozialarbeit an allen Schulen?

5.Halten Sie die jetzige Lehrerausbildung für reformbedürftig und wenn ja, in welcher Richtung?

6.Planen Sie, die Klassenstärken an den Gymnasien zu verringern und wenn ja, in welchem Zeitraum?

7.Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um den gravierenden Fachlehrermangel z. B. in den Naturwissenschaften und in Latein an den Gymnasien zu beheben? Wir denken dabei an pädagogisch ausgebildete Fachlehrer!

8.Wie möchten Sie eine ausreichende Versorgung mit Ausbildungsstellen bzw. Studienplätzen für den doppelten Abiturjahrgang in zwei Jahren sicherstellen? Eine Verweisung auf Kapazitäten in den neuen Bundesländern ist sicher keine Lösung!

Herzlichen Dank für Ihre Antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Ulla Dieckmann, Gymnasium Erding II
Sabine Griebel, Anne-Frank-GYmnasium

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Antwort von
ÖDP

Sehr geehrte Frau Griebel, liebe Frau Dieckmann, sehr geehrte Elternbeiräte
der beiden Erdinger Gymnasien,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich werde mich bemühen, die Vielzahl an Fragen möglichst kurz zu beantworten, sollten Sie weitere Rückfragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung, natürlich auch in einem persönlichen Gespräch.

1.
Ihr Eindruck, dass seit einigen Jahren ein langfristiges Konzept in der Bildungspolitik nicht zu erkennen ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Zwar gab es eine Reihe von Reformen und Veränderungen, die aber meist Reaktion auf Probleme waren oder diese erst schufen (Stichwort G8). Die ödp hat sich sehr intensiv mit dem Bereich der Bildungspolitik auseinandergesetzt, schließlich geht es hier um die Zukunft unseres Landes.
Ich denke, dass wir ein schlüssiges Gesamtkonzept vorweisen können, in dem die Laufbahn eines Kindes vom Kindergarten bis hin zum Studium genau betrachtet wird. Wir wollen allerdings keine völlige Abkehr vom bisherigen System, wir sind der Meinung, dass sich das dreigliedrige Schulsystem insgesamt bewährt hat und dazu beiträgt, dass alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Neigungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert werden können. Selbstverständlich ist aber auch, dass an einigen Stellen Reformbedarf besteht (Lehrerversorgung, Klassengrößen, individuelle Förderung, etc.).
Eine komplette Darstellung unseres Konzepts würde an dieser Stelle zu weit führen, wichtige Punkte finden Sie aber z.B. unter
http://www.besser-waehlen-bayern.de .

2.
Die Untersuchungen vor allem der OECD legen tatsächlich den Schluss nahe, das gerade in Bayern der erreichte Bildungsabschluss stark von der sozialen Herkunft abhängig ist. Um hier entsprechend gegenzusteuern, hält die ödp ein verpflichtendes, kostenfreies Vorschuljahr im Kindergarten für den richtigen Weg, um alle Kinder perfekt auf die Schule vorzubereiten. Eine verstärkte Sprachförderung (mit zusätzlichen Sprachangeboten für die Eltern) ist hier ein wichtiger Punkt.
Außerdem sind wir der Meinung, dass die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler sehr viel stärker ausgebaut werden muss. Moderne Unterrichtsformen, wie z.B. Gruppen- oder Partnerarbeit, Wochenplanarbeit oder Lernzirkel, individualisierte Aufgabenstellungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und persönliche Ansprache ermöglichen, gezielt Schwächen einzelner Schülerinnen oder Schüler anzugehen. Wir fordern deshalb (zumindest zeitweise) eine zweite pädagogische Kraft in den Klassen, damit Lern- und Sozialverhalten beobachtet werden kann, damit bei schüleraktivierenden Unterrichtsformen mehrere Ansprechpartner zur Verfügung stehen und die einzelnen Gruppen mehr individuelle Ansprache und Betreuung erhalten. In Skandinavien und Finnland hat sich dieses Konzept einer zweiten Kraft bewährt. Es muss sich dabei nicht zwingend um Lehrkräfte handeln, diese Aufgaben können auch Studenten, Pädagogen, Erzieher, Praktikanten oder ältere Kolleginnen und Kollegen übernehmen.
Die Verringerung der Klassenstärken und der Höchstschülerzahl pro Schule (die ödp hält max. 1000 Schüler pro Schule für ausreichend, da sonst kaum Zusammengehörigkeitsgefühl und Identifikation geschaffen werden können und das Schüler-Lehrer-Verhältnis zu anonym wird) sind ebenfalls wichtig, um individuelle Betreuung zu ermöglichen.
Die flächendeckende Einführung einer Ganztagesschule kann unserer Meinung nach dieses Problem nicht lösen. Wir sind der Überzeugung, dass Kinder und Jugendliche auch Freizeit und Freiräume brauchen und nicht in das Arbeitsschema Erwachsener gezwungen werden dürfen. Dort, wo eine große Nachfrage besteht, sollten selbstverständlich Ganztagesklassen eingerichtet werden, eine Verpflichtung für alle ist aber der falsche Weg.
Noch ein letzter Gedanke zu diesem Themenkomplex: Bildung muss für alle sozialen Milieus finanzierbar sein. Die ödp weiß, dass von einer guten Ausbildung die gesamte Gesellschaft profitiert, deshalb müssen auch die Kosten der Bildung von allen getragen werden. Das familienfeindliche Büchergeld, das aufgrund einer Klage der ödp zurückgenommen wurde, und Studiengebühren sind unsozial und verfestigen das Problem, dass Bildung vom sozialen Status der Eltern abhängig ist.

3.
Die Aussage, dass das bayerische Schulsystem "größtenteils" auf Auslese beruht, kann gerade ich als Lehrer nicht teilen. Meinen Kolleginnen und Kollegen geht es ebenso wie mir nicht darum, auszusieben, sondern unser Bemühen ist selbstverständlich dahin gerichtet, alle Schülerinnen und Schüler optimal zu fördern.
Dass die Rahmenbedingungen für eine individuelle Förderung verbessert werden können, habe ich in meiner obigen Antwort bereits ausgeführt. Einen wirklichen Auslesedruck erkenne ich vor allem in der Grundschule, speziell in der 4. Klasse, in der eine (zu) frühe Entscheidung über die Schullaufbahn zu treffen ist. Um diesen Druck abzumildern, schlägt die ödp die Einführung einer doppelten Orientierungsstufe in den Jahrgangsstufen 5 und 6 vor. Das bedeutet, Grundschüler wechseln entweder in die Orientierungsstufe Hauptschule/Realschule oder Realschule/Gymnasium und entscheiden dann nach der 6. Klasse, ob sie den Weg Hauptschule, Realschule oder Gymnasium einschlagen wollen.

4.
Die ödp fordert seit vielen Jahren die Einführung von Schulsozialarbeit oder Jugendsozialarbeit an allen Schulen. Vor allem an den Hauptschulen muss Sozialarbeit flächendeckend vorhanden sein. Wichtig ist, dass das Land Bayern seinen Verpflichtungen hier nachkommt, es kann nicht sein, dass die Kommunen diese Kosten übernehmen müssen oder Schulsozialarbeit von Eltern und Sponsoren finanziert werden muss, wie dies bisher ja an den beiden Erdinger Gymnasien der Fall war.

5.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Lehrerausbildung sich nicht immer an den Anforderungen der Praxis orientiert, wenngleich in den letzten Jahren Verbesserungen vorgenommen wurden (mehr Praktika, mehr Unterrichtsversuche während des Studiums). Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe mich an der Uni ein Semster lang mit dem Rolandslied des Pfaffen Konrad beschäftigt, einem Text, den ich an der Schule sicher nie einsetzen werde. Insofern würde ich es sehr begrüßen, wenn die Lehrerausbilung sich mehr an der Schulwirklichkeit orientieren und gerade der pädagogisch-psychologische Bereich gestärkt werden würde.
Außerdem müssen die universitären Ausbildungsrichtungen sich stärker am schulischen Bedarf orientieren. Nach wie vor werden die Fächer Sozialkunde und Geschichte z.B. getrennt ausgebildet, der Lehrplan des G8 sieht aber eine so enge Verzahnung der Fächer vor, dass es sinnvoll ist, wenn der Unterricht in einer Hand liegt. Ein reiner Geschichts- oder ein reiner Sozialkundelehrer kann im G8 in der Oberstufe nicht mehr so einfach eingesetzt werden wie bisher. Warum also nicht die beiden Studiengänge verbinden?
Meine Vorstellung ist ein fundiertes Studium der Fachwissenschaft, eine erweiterte didaktisch-methodische Ausbildung, eine Stärkung des pädagogischen Bereichs und ein intensiver Kontakt zur Praxis. Das Referendariat ist in dieser Hinsicht eigentlich vorbildlich, allerdings hat man leider teilweise den Eindruck, dass Referendare als billiger Ersatz für fehlende Lehrer eingesetzt werden.

6.
Die ödp hält Klassengrößen von 20 Schülerinnen und Schülern an allen Schularten für erstrebenswert, da nur so pädagogisch sinnvolles Handeln und individuelle Förderung des einzelnen gewährleistet sind. Ab 25 Jugendlichen müssen die Klassen unserer Meinung nach geteilt werden.
Diese wünschenswerte und sinnvolle Maßnahme muss so schnell wie möglich umgesetzt werden, allerdings kann dies nicht von heute auf morgen geschehen, da an vielen Schulen (vor allem in unserem Landkreis) Räumlichkeiten fehlen und der Bedarf an zusätzlichen Lehrern nicht so schnell abzudecken ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass man unser Ziel innerhalb der nächsten Legislaturperiode verwirklichen kann und dass ab 2012/13 die Klassenstärke bei 20 Schülern liegen kann.

7.
Vielen Dank, dass Sie in Ihrer Frage darauf hinweisen, dass der Bedarf an Lehrkräften durch pädagogisch ausgebildete Fachlehrer erfolgen muss. In den letzten Jahren hat es sich ja leider eingebürgert, dass mehr und mehr Unterrichtende von außen an die Schulen kommen. Diese Kolleginnen und Kollegen leisten zwar sehr engagierte und gute Arbeit, ich glaube aber, dass grundsätzlich eine Ausbildung für einen Beruf nicht umsonst ist. Natürlich muss der Lehrermangel möglichst zügig behoben werden. Dazu wird es nötig sein, den Beruf des Lehrers wieder attraktiver zu gestalten. Es fällt mir schwer, die Schwierigkeiten des Berufs entsprechend darzustellen, weil ich sehr gerne unterrichte und mein Beruf mir allergrößte Freude bereitet, aber man muss konstatieren, dass sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren verschlechtert haben. Die Klassen werden von Jahr zu Jahr größer, die Arbeitszeit wurde verlängert, die Fülle an bürokratischen Aufgaben nimmt zu, vor allem auch, weil im Bereich der Verwaltungsangstellten Sparmaßnahmen getroffen wurden, die Probleme, die Schülerinnen und Schüler aus dem "Privatleben" mit in die Schule bringen, werden mehr und auch die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Institution Schule ist zu Recht gestiegen. Hinzu kommen noch Entscheidungen, wie z.B. die Streichung der Absetzbarkeit des dringend benötigten Arbeitszimmers.
Insofern müssen die Vorteile des Berufs "Lehrer" in der Öffentlichkeit stärker dargestellt werden, um eine Chance gegen die freie Wirtschaft zu haben, die natürlich vor allem Mathematiker und Physiker durch bessere Bezahlung und Aufstiegschancen an sich binden kann. Das Werben bei Schulabgängern für eine Lehrerausbildung muss ebenso intensiviert werden. Worum es mir nicht geht, ist eine bessere Bezahlung, vielmehr ist es eine Fülle an Kleinigkeiten, die den Beruf in der öffentlichen Wahrnehmung oft als unattraktiv erscheinen lässt.

8.
Die plötzliche Einführung des G8 wirft eine Reihe weiterer Probleme auf, eines davon ist natürlich der doppelte Abiturjahrgang. Die Politik ist hier in der Pflicht, den jungen Schulabgängern Ausbildungsplätze und Studienplätze in ausreichender Zahl und auch in guter Qualität zur Verfügung zu stellen. Ich sehe die große Gefahr, dass vor allem im Bereich der Ausbildungsplätze eine Lücke klafft bzw. Stellen, die sonst z.B. mit Realschülern besetzt worden wären, mit Gymnasiasten gefüllt werden - zum Schaden der Jugendlichen mit Mittlerer Reife oder Quali.
Hinzu kommt, dass die Schulabgänger des G8 gerade in der Oberstufe eine Ausbildung erhalten, die etwas enger am Bedarf der Wirtschaft orientiert ist, genannt seien hier z.B. Informatikunterricht oder die Praxisseminare. Die G9-Schüler könnten hier ins Hintertreffen geraten, wenn Ihnen nicht noch spezielle Förderung angeboten wird, z.B. in Form von Zusatzkursen. Im Bereich der Ausbildungsplätze wird politischer Druck von Nöten sein, im Sektor der Studienplätze muss der Landtag entsprechende Mittel zur Verfügung stellen, um Fachhochschulen und Universitäten auszubauen, geeignete Räume anzubieten (auch anzumieten) und genügend Lehrpersonal einzustellen. Die Seminargröße an den Universitäten darf sich natürlich nicht erheblich ausweiten. Noch liegt die Bundesrepublik Deutschland insgesamt unter dem Schnitt der Bildungsausgaben in der OECD, insofern ist ohnehin Spielraum nach oben gegeben, um die notwendigen Ausgaben zu finanzieren. An der Zukunft der Kinder und Jugendlichen darf nicht gespart werden und auch die Einführung des G8 darf nicht zu Lasten des letzten G9-Jahrgangs gehen.

Dies in aller Kürze - trotz der Gesamtlänge - meine Antworten auf Ihre wichtigen Fragen zur Zukunft der Bildung in Bayern. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Arbeit an den beiden Erdinger Gymnasien. Ich weiß ja aus eigener Anschauung, was Sie dort leisten und welch wichtige Impulse Sie geben.

Mit herzlichen Grüßen,
Stefan Grabrucker