Frage an Ska Keller von Uwe K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Seit der Einstellung der italienischen Seenotrettungsoperation Mare Nostrum Ende Oktober 2014 legte die EU ihren Fokus in erster Linie auf den Grenzschutz und die Schleuserbekämpfung und nur zweitrangig auf die Seenotrettung – darunter mit der Operation „Sophia“. Auch diese Operation soll künftig weitgehend eingestellt werden. Die Lücke, die durch die Einstellung der Operation Mare Nostrum im Bereich der Seenotrettung entstand, versuchten verstärkt freiwillige Seenotrettungsinitiativen wie Sea-Watch zu füllen. Nach eigenen Angaben war Sea Watch bisher an der Rettung von weit über 35.000 Menschen beteiligt.
1. Wie beurteilen Sie die Versuche einiger Staaten, die Arbeit der zivilen Seenotretter zu kriminalisieren?
2. Wie beurteilen Sie die zeitweiligen Anlegeverbote für Schiffe der Sea-Watch in Seehäfen?
3. Wie beurteilen Sie die sehr zögerliche Aufnahme von Flüchtlingen, die aus Seenot gerettet wurden, in den europäischen Mitgliedsstaaten, auch in Deutschland?
4. Auf politische Ebene prangert Sea-Watch die Abwesenheit staatlicher Seenotkräfte an, und fordert mit politischen Aktivitäten sichere Zugangswege für Flüchtlinge und sonstige Migranten nach Europa. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?
Sehr geehrter Herr K.,
Liebe Mitglieder von Amnesty International Oberursel,
Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden. Es ist eine unerträgliche Schande, dass Tausende Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken und dass EU-Länder Rettungsbooten den seerechtlich garantierten sicheren Hafen verweigern. Zivilgesellschaftliche Seenotrettungs- und Flüchtlingsorganisationen, die dort einspringen, wo die europäischen Staaten versagen oder ihre Schutzpflicht sogar wissentlich verweigern, dürfen nicht kriminalisiert werden. Wer Flüchtlinge aus Seenot rettet, muss die Gewissheit haben, dafür nicht bestraft zu werden, denn er handelt im Einklang mit See- und Völkerrecht. Das entlässt die EU und die Mitgliedstaaten jedoch nicht aus ihrer humanitären Pflicht, endlich ein europäisch organisiertes und finanziertes ziviles Seenotrettungssystem aufzubauen.
Die Dauerblockade einiger EU-Länder gegen die Aufnahme von Schutzsuchenden und einen fairen Verteilungsschlüssel darf nicht das Aus für eine humane und solidarische Flüchtlingspolitik in Europa bedeuten. Wir Grüne wollen, dass die deutsche Bundesregierung zusammen mit anderen Mitgliedstaaten vorangehen und gerettete Flüchtlinge verbindlich aufnimmt. Gleichzeitig muss die Bundesregierung Städten und Gemeinden die Möglichkeit eröffnen, Flüchtlinge direkt aufzunehmen.
Damit Menschen sich erst gar nicht in die Hände von skrupellosen Schleppern begeben und lebensgefährliche Fluchtwege auf sich nehmen müssen, brauchen wir in Europa großzügige Aufnahmekontingente für Flüchtlinge und die Möglichkeit humanitärer Visa. Für diejenigen, die zum Arbeiten nach Europa kommen wollen, wollen wir ein europäisches Einwanderungsrecht schaffen, das Menschen mit verschiedenen Qualifikationsniveaus die legale Einwanderung nach Europa ermöglicht.
Beste Grüße,
Ihre Ska Keller