Frage an Ska Keller von Jerome K.
Sehr geehrte Frau Keller,
Ich schreibe Ihnen, als Kandidat Ihrer Partei zu den Europawahlen 2014 da ich gerne von Ihnen wissen würde
1. Wie stehen Sie zum Konflikt Russland/Ukraine?
2. Sind Ihnen die wöchentlichen Friedensdemonstrationen bekannt, die jede Woche an immer mehr Orten in Deutschland und auch Europa stattfinden? Wenn Ja, wie beurteilen Sie diese und haben Sie oder würden Sie an einer derartigen teilnehmen oder bereits teilgenommen?
3. In Europa werden viele Lebensmittelreste sinnlos vernichtet, statt diese Menschen in Armut zukommen zulassen, wie sehen Sie dies?
4. Wie stellen Sie sich in Europa den vernünftigen Umgang mit Ressourcen (Lebensmittel, Energie, Rohstoffe) vor?
5. Welche Meinung haben Sie zur Förderung von Bioenergiemasse?
Vielen Dank für Ihre Antwort
Jerome Kellermann
Sehr geehrter Herr Kellermann,
danke für Ihre Fragen.
1. Wie stehen Sie zum Konflikt Russland/Ukraine?
Für uns Bündnisgrüne haben friedliche Lösungen und die Vermeidung einer weiteren Eskalation absolute Priorität. Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um den Tod weiterer Menschen in diesem Konflikt zu vermeiden. Wir sind der Meinung, dass alle Parteien miteinander sprechen müssen und ein echter Dialog in der Ukraine stattfinden muss, der alle Gruppen der ukrainischen Gesellschaft einbezieht. Wir Bündnisgrüne unterstützen die Dezentralisierung der Mächte in der Ukraine, sprechen uns aber klar gegen eine Feudalisierung des Landes mit lokalen AnführerInnen aus, die den Einfluss der zentralen Regierung untergraben. Was unsere Haltung gegenüber der russischen Regierung angeht, akzeptieren wir keine neue Teilung Europas, die sich nach dem stärksten Machteinfluss richtet. Wir sollten vielmehr die Synergien zwischen Russland und der EU nutzen, um den sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft zu erlauben, von beiden großen Nachbarn zu profitieren.
2. Sind Ihnen die wöchentlichen Friedensdemonstrationen bekannt, die jede Woche an immer mehr Orten in Deutschland und auch Europa stattfinden? Wenn Ja, wie beurteilen Sie diese und haben Sie oder würden Sie an einer derartigen teilnehmen oder bereits teilgenommen?
Sofern Sie mit den wöchentlichen Friedensdemonstrationen die neuen Montagsdemonstrationen meinen, die u. a. als „Mahnwachen für den Frieden“ bezeichnet werden, habe ich bisher nicht an derartigen Demonstrationen teilgenommen und gedenke auch nicht, dies zu tun. Ich sehe diese Demonstrationen kritisch, da auf ihnen zum Teil rechtspopulistische Thesen verbreitet werden.
3. In Europa werden viele Lebensmittelreste sinnlos vernichtet, statt diese Menschen in Armut zukommen zulassen, wie sehen Sie dies?
Nach Angaben der Welternährungsorganisation leiden weltweit 925 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung. Der sorglose Konsum und Umgang mit Lebensmitteln in den Industriestaaten trägt zum Hunger bei. Allein die Menge an Lebensmitteln, die in Europa und Nordamerika auf dem Müll landet, würde ausreichen, um alle Hungernden auf der Welt zu versorgen.
Die Überproduktion und Verschwendung von Lebensmitteln ist außerdem in höchstem Maße umweltschädlich: Sie führt zu unnötigem Flächenverbrauch, überflüssigen Umweltbelastungen, der Verschwendung kostbarer Ressourcen wie Wasser, Energie oder Verpackungsmaterialien sowie zu intensiver Landbewirtschaftung und industriellen Tierhaltungsformen. Darüber hinaus werden bei der Erzeugung, der Verrottung und der Verbrennung der riesigen Berge an Lebensmittelabfällen Treibhausgase in erheblichem Umfang frei.
Auch die Politik der Bundesregierung ist in erheblichem Ausmaß mit Schuld an unserem Umgang mit Lebensmitteln. Vor allem bei der Fleischproduktion, aber auch in anderen Bereichen, setzt die Bundesregierung auf Masse statt Klasse und auf vermeintlich billige Massenproduktion. Die Überproduktion hat System und das Wegwerfen von Lebensmitteln ist eingeplant. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar!
4. Wie stellen Sie sich in Europa den vernünftigen Umgang mit Ressourcen (Lebensmittel, Energie, Rohstoffe) vor?
Wir Bündnisgrüne haben einen klaren Forderungskatalog erarbeitet, um die Lebensmittelverschwendung zu verringern:
• Wir fordern die Aufhebung unsinniger Handelsnormen, die nichts mit der Ernährungsqualität von Lebensmittel zu tun haben. Außerdem muss es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht werden, bedarfsgerecht einzukaufen und zu essen. Dazu gehört die Bereitstellung von Produkten für Ein-Personen-Haushalte ebenso wie die Förderung von Bedientheken und der lose Verkauf von Obst und Gemüse. Außerdem muss das Konzept des Mindesthaltbarkeitsdatums überprüft werden. Die Bundesregierung muss wissenschaftliche Erkenntnisse und Leitlinien vorlegen, um das Mindesthaltbarkeitsdatum möglichst nahe an das tatsächliche Verfallsdatum zu koppeln.
• Zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung brauchen wir auch eine stärkere Förderung nachhaltiger Lebensmittelerzeugung. Ein Umbau der Agrarförderung ist dringend nötig: Weg von der Subventionierung und Exportorientierung, hin zu einer stärkeren Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe und des Biolandbaus. Die hoch subventionierte industrialisierte Lebensmittelerzeugung hat massive negative Auswirkungen auf unsere Umwelt und die Gesundheit von Menschen und Tieren. Viele Produkte werden außerdem eher weggeworfen, weil sich aussortieren oder eine Prozessoptimierung bei den geringen Preisen nicht lohnt. Deshalb brauchen wir Preise, die die Wahrheit sagen. Die negativen Auswirkungen müssen sich im Preis widerspiegeln und so einen Anreiz bieten für den Kauf nachhaltiger Produkte und die Vermeidung von Verschwendung. Dadurch wird auch die Wertschätzung von Lebensmitteln wieder gestärkt.
• Außerdem muss die VerbraucherInnenaufklärung und -forschung intensiviert werden. Ernährungsbildung fängt im Kindergarten und in der Schule an und muss zum Beispiel in Form von Lebensmittelkunde und Kochunterricht in die Lehrpläne integriert werden. NRW geht unter grüner Regierungsbeteiligung mit gutem Beispiel voran.
• Was am Ende im Supermarkt übrig bleibt, sollte den Tafeln oder Mülltauchern zugänglich gemacht werden: Wer Lebensmittel aus dem Müll rettet, soll dafür nicht bestraft werden.
Unser „Energiekonzept 2050: sicher erneuerbar“ basiert auf dem Grundsatz „Energie jenseits von Uran, Kohle und Öl“. Wir wollen eine Energie- und Klimapolitik, die sich am für die Gesellschaft Notwendigen orientiert und nicht an den kurzsichtigen Interessen der Energiekonzerne:
• In der Stromversorgung ist unser Ziel der vollständige Umstieg auf Strom aus Wind, Sonne, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme, möglichst bereits bis 2030. Den Stromverbrauch wollen wir gegenüber 2005 um 16 Prozent bis 2020 und um mindestens 25 Prozent bis 2050 senken. Bereits 2030 wollen wir unseren Strom zu 100 Prozent erneuerbar produzieren.
• Im Gebäude- und Wärmebereich streben wir eine Umstellung auf erneuerbaren Energien möglichst bis 2040 an. Zudem wollen wir eine Sanierungsquote im Gebäudebestand von 3 Prozent jährlich erreichen, so dass innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre der gesamte Altbaubestand vollständig saniert wird.
• Wir wollen eine ambitionierte Klimaschutzstrategie für den Verkehrsbereich und die CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 30 Prozent reduzieren. Bis 2020 wollen wir den Anteil erneuerbarer Energien im Verkehrsbereich – Biokraftstoffe und Ökostrom - auf 15 Prozent steigern und möglichst bereits bis 2040 den Umstieg auf erneuerbare Energien bewältigen.
Die wichtigsten Maßnahmen, die wir hierfür umsetzen wollen, erhalten Sie hier im Überblick.
5. Welche Meinung haben Sie zur Förderung von Bioenergiemasse?
Biomasse als Energieerzeuger und in Zukunft auch zur stofflichen Nutzung im großen Maßstab ist in der Diskussion: Vielerorts ist die übermäßige Vermaisung der Landschaft ein großes Thema, die Frage der Urwaldvernichtung wird heiß diskutiert. Außerdem stellt sich im Zusammenhang mit Bioenergiepflanzenanbau die Frage der Landrechte und damit verbundene Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in den Ländern des Südens. Nicht zuletzt ist die Nutzungskonkurrenz zur Lebensmittelproduktion ein zentraler Kritikpunkt.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat ein umfangreiches Positionspapier zu dieser komplexen Thematik erarbeitet, um allen Aspekten gerecht zu werden. Dies sind die darin enthaltenen Kernaussagen:
• Nachwachsende Rohstoffe sind ein wichtiger Baustein für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft. Kurzfristig ist ihr Einsatz für die Energiewende notwendig. Mittelfristig – bis 2050 – werden Biokraftstoffe im gewissen Umfang insbesondere im Güter- und Luftverkehr alternativlos sein. Langfristig sollte eine energetische Nutzung von Biomasse nur noch am Ende einer Kaskadennutzung nach der stofflichen Nutzung erfolgen.
• Food First, Vorrang für die Ernährung der Weltbevölkerung, und die Bewahrung der Biodiversität sind für uns Prämissen einer stofflichen und energetischen Nutzung von Biomasse. Außerdem sind ökologische und soziale Kriterien sowie die Wahrung der Menschenrechte einzuhalten. Wir schlagen daher verbindliche Standards als Voraussetzung für die Biomasseproduktion und für den Import vor.
• Deutschland muss bei seiner Agrarproduktion dabei mit gutem Vorbild vorausgehen und vorrangig seine gute fachliche Praxis der Landwirtschaft insgesamt überarbeiten. Denn was für die Biomasseproduktion im stofflichen und energetischen Bereich gilt, muss auch für Lebens- und Futtermittelproduktion gelten.
Insgesamt enthält das Papier eine Reihe von politischen Maßnahmen vom Erneuerbare Energien Gesetz, EEG, über die Agrarpolitik bis zur ökologischen Steuerreform um gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die Biomasseproduktion nachhaltig zu gestalten und Auswüchse wie Maismonokulturen, Landgrabbing oder Regenwaldabholzung zu verhindern.
Herzliche Grüße,
Ska Keller