Sehr geehrter Herr Becker, denken Sie der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sollte erleichtert werden? Befürworten Sie eine Streichung des § 219a StGB?
Vielen Dank für die Frage.
Ich stehe ganz klar ein für das Selbstbestimmungsrecht einer jeden Frau über ihren eigenen Körper. Die bestehenden Hürden zu Schwangerschaftsabbrüchen sind nicht länger hinnehmbar. Der aktuell sogar nicht einmal vorhandene Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in meinem Wahlkreis 203 Trier/Trier-Saarburg ist erschreckend und bezeichnend. Soweit ich informiert bin besteht hierfür eine nächstgelegene Möglichkeit erst in Saarbrücken. Aus meiner Sicht als Mediziner kann ich sagen, dass die fehlenden Angebote in der Region hauptsächlich verschuldet sind durch die überwiegend katholischen Träger der hier existierenden Krankenhäuser, welche Schwangerschaftsabbrüche aus unwissenschaftlichen Gründen klar ablehnen. Die in großen Teilen der Gesellschaft sehr negative Belegung des Themas Schwangerschaftsabbruch, die erschwerende Gesetzgebung, als auch der Katholizismus als vorherrschende Konfession tragen zusätzlich dazu bei, dass ein regelrechter Druck auf Ärzt*innen und insbesondere Gynäkolog*innen lastet, dieses "heiße Eisen" besser nicht anzufassen. Das darf einfach nicht sein, denn das gefährdet Existenzen und Menschenleben. Jede Frau kann in die Situation geraten ungewollt schwanger zu werden und dies aus verschiedensten Gründen beenden zu wollen. Eine derartige Entscheidung ist mit Sicherheit für keine Frau leicht und unbewusst, verhindert aber eventuell schwerste gesundheitliche, psychische oder existenzielle Konsequenzen für Mutter und Ungeborenes. Somit muss diese intime Entscheidung von einer Frau selber getroffen werden dürfen und bestehende Hürden zur Durchführung dieser Entscheidung müssen abgebaut, enttabuisiert und Durchführende dürfen nicht länger aus oben genannten Gründen in Ihrer Arbeit diskriminiert werden.
Schwangerschaftsabbrüche haben zur medizinischen Daseinsfürsorge und einem standardmäßigen medizinischem Behandlungskatalog zu gehören, über die wie jeder andere Eingriff auch in Praxen, Broschüren und Homepages von Praxen informiert werden muss. Somit ist für mich konsequent und längst an der Zeit Paragraf 219a ( Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) des Strafgesetzbuches zu streichen!
Zusätzlich entstehen eventuell durch Hürden und fehlende Informationen wegen § 219a StGB ganz nebenbei in unserem Wahlkreis Menschenrechtsverletzungen (laut Erklärung Nr. 36 zum Artikel 6 des UN Paktes über zivile und politische Menschenrechte) sowie Verletzungen des EU-Rechts, da Menschen auf Grund einer Residenzpflicht (z.B. unmittelbar nach Stellung eines Asylantrages) oder fehlender Mobilität nicht bzw. nicht einmal legal zu fern abgelegenen Stellen reisen können, wo Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.
Ergänzend zur Frage möchte ich noch hinzufügen, dass ich ebenfalls eine grundlegende Veränderung des Paragraf 218 StGB befürworte bzw. eine gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches für Frauen außerhalb des Strafgesetzbuches anstrebe. Die grundsätzliche Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches muss aufgehoben und die Beratungspflicht dahingehend verändert werden, dass diese durch eine sozialpädagogische oder medizinische Vertrauensperson der Wahl der betroffenen Frau statt finden kann.