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Siegmund Ehrmann
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Frage von Helmut S. •

Frage an Siegmund Ehrmann von Helmut S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ehrmann,

die Diskussion um dieses Thema ist leider sehr stark von Nebenthemen überlagert. Deshalb würde ich werde folgende Annahme vorausschicken:

Falls jemand heute eine neue Religion gründen würde und als Zeichen der Zugehörigkeit eine Beschneidung an Neugeborenen und Kindern vornehmen würde, würde wohl niemand zögern, diese Praxis sofort zu unterbinden. Tatsächlich waren solche Rituale bisher in Deutschland verboten.

Falls Sie mir in diesem Punkt zustimmen können würde ich gerne von Ihnen wissen:

Was hat Sie bewogen, einer Einschränkung des im Grundgesetzt verbriefe Recht auf körperliche Unversehrtheit gerade bei Kindern zuzustimmen?

Ist es nicht gerade unser Grundgesetzt, das das friedliche Miteinander der Kulturen in Deutschland überhaupt erst ermöglicht?!

Ich verstehe Ihre Entscheidung da einfach nicht, und wenn ich mich auf die gerade veröffentliche Studie von Infratest beziehen darf (70% der Deutschen gegen sind gegen das neue Gesetzt), gibt es viele, viele Menschen in Deutschland, die gerne eine Erläuterung zu Ihrer Entscheidung hören würde.

Mit freundlichen Grüßen

Portrait von Siegmund Ehrmann
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schwittala,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema der „Beschneidung von Jungen“ und meinem Abstimmungsverhalten dazu. Gerne beantworte ich diese.

Ihren Fragen stellen Sie die These voran, dass im Falle einer Neugründung einer Religion in Deutschland Beschneidungen an Neugeborenen unterbunden würden. Dies ist aus meiner Sicht spekulativ und rein theoretisch so nicht zu beantworten. Hinsichtlich des Verbotes „solcher Rituale“ wird dies etwas schwieriger. Denn vor dem Urteil des Landgerichts Köln im Mai 2012 war man bei rituellen Beschneidungen eben nicht von verbotenen Handlungen ausgegangen. Ein rechtliches Verbot der Beschneidung von Jungen findet sich im Deutschen Recht nicht, wohl aber juristische Auslegungsfragen, wie zuletzt im Mai des vergangenen Jahres. Erst mit diesem Urteil war eine Debatte ausgelöst worden, ob und wie man zu rechtssicheren Regelungen bei Beschneidungen kommen kann.

Wie Sie wissen, bin ich bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag mit der Mehrheit meiner Fraktion dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur gesetzlichen Regelung von Beschneidungen von Jungen (Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes) gefolgt. Dies regelt, dass Eltern in die Beschneidung ihres minderjährigen Sohnes einwilligen können, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Das gilt unabhängig von einer medizinischen Erforderlichkeit. Soweit jedoch dadurch im Einzelfall das Kindeswohl gefährdet wird (z.B. aus individuellen medizinischen Gründen), besteht dieses Elternrecht ausdrücklich nicht. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt dürfen auch von einer Religionsgemeinschaft bestimmte Personen die Beschneidung vornehmen. Sie müssen aber besonders ausgebildet und wie ein Arzt oder eine Ärztin dazu befähigt sein.

Damit wird für alle Beteiligten Personen Rechtssicherheit geschaffen und Standards definiert, die einen Schutz von Kindern beinhalten, da die Qualifikation der Beschneidenden ausdrücklich aufgenommen wird.

Unser Grundgesetzt, da stimme ich Ihnen zweifelsfrei zu, ist einer der herausragenden Garanten für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft und religiöser Bekenntnisse. Das Grundgesetz sieht aber gerade deswegen auch vor, dass die Religionsausübung in Deutschland frei und geschützt ist. Genauso unterstellt das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) die Erziehung der Kinder ihren Eltern. Dies gilt auch für die religiöse Erziehung (Art. 4 Abs. 1,2 GG). Dem gegenüber steht selbstverständlich auch das Recht jedes Menschen auf körperliche Unversehrtheit. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Elternrecht bei einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall nachrangig ist und nicht gilt. Eine grundsätzliche Kindeswohlgefährdung wird allerdings durch die Beschneidung nicht angenommen.

Dies ist ein sehr strittiger Punkt, mit dem auch ich mich intensiv auseinander gesetzt habe. In der SPD-Fraktion hat es hierüber intensive Diskussionen gegeben. Unter normalen medizinischen Bedingungen und einer fachgerechten Beschneidung sehe ich jedoch keine generelle Gefährdung des Kindeswohls. Im Rahmen der parlamentarischen Erörterung sind dazu sehr unterschiedliche medizinische Haltungen vorgetragen worden. Aus meiner Sicht gibt es jedoch überzeugende Hinweise, dass man eben nicht von einer grundsätzlichen Kindeswohlgefährdung ausgehen kann, die einen so dramatischen Eingriff in die Elternrechte rechtfertigen könnte. Als einen Beleg möchte ich nur anführen, dass beispielsweise im Jahr 2008 in den USA ca. 56% aller männlichen Neugeborenen -ganz überwiegend nicht aus religiösen Gründen - beschnitten wurden.

Indem auf die Fachkunde abgestellt und die Beschneidung bei einer konkreten Gefährdung des Kindes nicht zulässig ist, halte ich die nunmehr vom Deutschen Bundestag beschlossene Regelung für gut begründet und vertretbar.

Abschließend fragen Sie, wie ich mein Abstimmungsverhalten im Spiegel von Umfragewerten zu diesem Thema rechtfertigen kann. Selbstverständlich muss jedwede gesetzgeberische Entscheidung zwingend auf eine parlamentarische Mehrheit stützen, sollte aber auch eine größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung sicher sein. Deshalb werbe ich als Abgeordneter für meine in meinem Abstimmungsverhalten konkretisierten Überzeugungen, indem ich mich Diskussionen stelle und meine Entscheidungsgründe darlege. Gerade in derart grundsätzlichen und bedeutsamen Fragen muss ich mein Abstimmungsverhalten aber an meinem Gewissen, an meinen Überzeugungen ausrichten. Ein Abstimmungsverhalten nach demoskopischer Tageslage, die von Institut zu Institut und von Tag zu Tag abweichend ist, wird meinem Verständnis des mir durch die Wahl übertragenen Mandates in einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie nicht gerecht..

Sehr geehrter Herr Schwittala, ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen meine Entscheidungsgründe näher gebracht zu haben, auch wenn Sie diese vielleicht nicht in allen Punkten zu teilen mögen. Mit ist bewusst, dass mit dieser Entscheidung des Deutschen Bundestages die Debatte über das Für und Wider von Beschneidungen nicht beendet ist. Mir ist sehr daran gelegen, dass in den weiteren Diskussionen Befürworter und Gegner dieser Regelung die Debatte zum Umgang mit Beschneidungen von Jungen fair und im gegenseitigen Respekt voreinander führen.

Ganz in diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute für das noch neue Jahr 2013.

Mit freundlichen Grüßen
Siegmund Ehrmann, MdB