Frage an Siegmund Ehrmann von William W. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Ehrmann,
ich wende mich als Deutscher jüdischen Glaubens an Sie und ich möchte einige Entwicklungen in Deutschland und Missstände ansprechen die mich ängstigen. Es wäre schön wenn Sie die folgenden Fragen gewissenhaft und vollständig beantworten, um meine Ängste zu beruhigen und aufzeigen was bereits gemacht wird diese Missstände in unserem Land aufzuheben.
1. In wie gibt es Antisemitismus in Deutschland?
2.Wie stehen sie zur Religionsfreiheit als verbrieftes Recht in Deutschland
und wie weit darf dieses Recht wahrgenommen werden.
3. Kennen Sie den Fall aus Dresden bei dem die schwangere Apothekerin Marwa El-Sherbini mit 18 Messerstichen vor Gericht wegen ihrem religiösen Aussehen (Kopftuch) ermordet wurde und ein herbeieilender Polizist fälschlicherweise den Ehemann anschoss? a)Wie wird deren Religionsfreiheit geschützt?
b) Ist das nicht das gefährliche Resultat von Hetze, die seit Jahren gegen den Islam über Medien und Internetseiten(pi-news.net) verbreitet wird, die unter dem Deckmantel der Islam-Kritik diese Art der Diskriminierung fördern?
c)Was halten sie davon das der Rektor Bernd Hinke auf der Anne-Frank-Schule in Flingern die Religionsfreiheit massiv einschränkt und ein Kopftuchverbot erlässt?
4. Wie könnte man zumindest im öffentlich rechtlichen Fernsehen der Diskriminierung entgegenwirken?
5. Wie kann man Aufklärend auf die Gesellschaft einwirken und für das im Grundgesetz verankerte Grundrecht der freien Religionsausübung das Bewusstsein stärken? Wie kann man von Gewalt bedrohte Religionsgemeinschaften beschützen?
Abschließend möchte ich als betroffener darauf aufmerksam machen, dass es wesentliche Gemeinsamkeiten existieren zwischen der Vorbereitung des Holocausts im 3.Reich, durch Propaganda und der heutigen Behandlung des Islam in Medien und Internet. Ich möchte sie auf die im folgenden Video gezeigten Parallelen aufmerksam machen: http://bit.ly/92eAwx
Ich bedanke mich im Voraus.
Mit Herzlichem Gruß
William Weizmann
Sehr geehrter Herr Weizmann,
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage und bitte zunächst um Nachsicht, dass es mir krankheitsbedingt nicht möglich war, früher zu antworten.
zu 1.
Der Verfassungsschutzbericht kann als Indikator für das Ausmaß des Antisemitismus in Deutschland dienen. Z.B. wurden im Jahr 2008 1.477 politisch rechts motivierte Straftaten mit antisemitischem Hintergrund registriert. Es gibt Antisemitismus in Deutschland, jedoch ist er in keinem Falle prägend. Nach den schrecklichen Erfahrungen des Holocaust gehört die Erinnerungskultur, die dieser Verbrechen gedenkt, zur Staatsräson.
zu 2.
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist in Art. 4 GG garantiert. In Art. 4 Abs.2 GG heißt es dazu: „ Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Art. 4 Abs. 2 GG geht zudem explizit auf die Religion ein. Darin steht: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das Grundgesetz sichert also nicht nur die Glaubensfreiheit, sondern gewährleistet überdies die Religionsausübung.
zu 3. a)
Das Schicksal der Marwa El-Sherbini ist tatsächlich sehr tragisch. Nicht nur, dass ein Übergriff auf die junge Ägypterin in einem deutschen Gericht überhaupt möglich war; dass ihr Mann - fälschlicherweise für den Täter gehalten - zudem angeschossen wurde, macht die Tragik überdeutlich. Meines Erachtens haben wir es hierbei aber vielmehr mit allgemeinen rassistischen Vorurteilen zu tun, als mit der Frage, ob Familie El-Sherbini ihre Religion derart leben konnte, wie es ihr nach dem Grundgesetz zusteht.
zu 3. b)
Das Internet ist für viele Extremisten, so auch für Antisemiten und Ausländerfeinde, eine bedeutende Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologie. Besonders beliebt sind Diskussionsforen, wie sie auch in dem von Ihnen erwähnten Video gezeigt werden. Zwar sehen die Nutzungsbedingungen der Web-Communities im Allgemeinen vor, dass solche Inhalte unerwünscht sind und eine Löschung zur Folge haben; dies wird jedoch vonseiten der verantwortlichen Betreiber nicht immer konsequent umgesetzt.
In Fernsehen, Rundfunk und Presse sehe ich die von Ihnen angesprochene Hetze gegen den Islam nicht. Kritik am Islam muss möglich sein, wie auch Kritik an den christlichen Kirchen möglich ist. Es handelt sich dabei nicht um Diskriminierung, sondern um ein wesentliches Element unserer Demokratie.
zu 3. c)
Das von dem Rektor der Düsseldorfer Anne-Frank-Schule kurzzeitig erlassene Kopftuchverbot für Schülerinnen hatte keine gesetzliche Grundlage und war somit nicht zulässig.
Das Thema des Kopftuches - vor allem auch kopftuchtragender Lehrkräfte - an staatlichen Schulen ist deshalb so kontrovers, da hier verschiedene Grundrechte in Widerstreit treten: Einerseits das Grundrecht der Glaubensfreiheit der Kopftuchträgerinnen, andererseits das Grundrecht der negativen Glaubensfreiheit der anderen Schulkinder. Die Länder haben im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit. Es ist deshalb ihre Aufgabe, das Spannungsverhältnis dieser Grundrechte zu lösen. Meiner Meinung nach leisten Kirchen und Religionsgemeinschaften einen überaus wertvollen Beitrag zur Wertevermittlung in der Erziehung unserer Kinder.
zu 4.
Es ist Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender, die Werte, die der Verfassung zugrunde liegen, zu achten und zu vermitteln. Dies wird von den Rundfunkräten streng überwacht, so dass es bereits bei geringem Verdacht zu einer öffentlichen Debatte kommt. Die Einhaltung dieses Auftrags wird also effektiv kontrolliert.
zu 5.
Es ist Aufgabe aller öffentlichen Institutionen, für Toleranz einzutreten und sie zu fördern. Gleiches gilt für die Religionsfreiheit. Unabhängig von den von Ihnen zitierten Beispielen stimme ich Ihnen jedoch zu, dass es in Deutschland abseits des direkten staatlichen Einflusses Tendenzen zur Etablierung islamfeindlicher Stimmen gibt. Einen Vergleich zur Judenverfolgung im dritten Reich, wie Sie ihn ziehen, halte ich für unzulässig! Die Shoa war ein unvergleichlicher, grausamer und vom Staat organisierter Exzess. Heute herrscht jedoch in Deutschland ein breiter Konsens, jedwede antisemitische Tendenz zu verurteilen. Um den unterschwelligen Ressentiments gegenüber Muslimen entgegenzutreten, müssen wir alle den Dialog suchen. Christen, Juden und Muslime müssen sich ihrer Gemeinsamkeiten bewusst werden und weniger ihre Unterschiede betonen. Gemeinsame gesellschaftspolitische Wertvorstellungen können hier verbinden.
In konkreten Fällen von Diskriminierung empfehle ich Ihnen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als guten Ansprechpartner. Neben Öffentlichkeitsarbeit und Forschung leistet sie nämlich auch noch Beratung. http://antidiskriminierungsstelle.de/
Mit freundlichen Grüßen
Siegmund Ehrmann, MdB