Frage an Siegfried Lehmann von Julian B. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Lehmann
die Grünen setzen sich für die Aufhebung der Studiengebühren in Baden-Württemberg ein. Dabei handelt es sich sicher um ein lobenswertes Unterfangen, das ich als Student nur begrüßen kann.
Allerdings wurden die Landesmittel, welche die Hochschulen erhalten im Zuge der EInführung der Studiengebühren meines Wissens gekürzt - und zwar ca. in der Höhe der zu erwartenden Studiengebühren. Der Wegfall der Mittel aus Studiengebühren müsste also kompensiert werden. Daher meine Frage: Wie werden sie die Abschaffung der Studiengebühren finanzieren?
mit freundlichen Grüßen,
Julian Bayer
Sehr geehrter Herr Bayer,
aufgrund meiner eigenen Bildungsbiographie (aus einfachen Verhältnissen kommend habe ich über den zweiten Bildungsweg ein Studium absolviert) bin ich ein entschiedener Gegner von Studiengebühren. Mit der in Baden-Württemberg derzeit geltenden Studiengebührenregelung hätte ich meinen damals schon steinigen und finanziell oft schwierigen Weg über den zweiten Bildungsweg zum Hochschulstudium nicht gehen können. Semestergebühren sind unsozial, da sie die schon bestehende Ungerechtigkeit im Bildungswesen weiter verschärfen. Verschiedene Studien belegen, dass gerade Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien, die in Deutschland sowieso verhältnismäßig selten studieren, durch diese zusätzliche Abgabe von einem Studium abgehalten werden.
Statt mit Studiengebühren neue Barrieren zum Hochschulstudium aufzubauen, sollten wir in Baden-Württemberg alle Bildungspotentiale heben und für mehr Chancengerechtigkeit sorge tragen.
Wir werden daher nach der gewonnenen Landtagswahl die Studiengebühren wieder abschaffen und ein gebührenfreies Erststudium bis zum Masterabschluss bzw. bis zum derzeit noch existierenden Staatsexamen einführen.
Die Einführung der Studiengebühren durch die CDU-FDP-Landesregierung war stets von der Zusage begleitet, ihrem Wesen nach ein Zusatz zu sein, um die Studien- und Lehrsituation zu verbessern, nicht aber, um adäquate Studienbedingungen überhaupt erst herzustellen. Die tatsächliche Erfahrung der Universitäten ist indes eine andere: Studiengebühren fließen nur zu einem Anteil in eine echte Verbesserung von Studium und Lehre. Mit dem Rest werden Folgekosten der Umsetzung der Bologna-Reform aufgefangen, gestrichene Landeszuschüsse kompensiert, voreilig getätigte Finanzierungszusagen erfüllt sowie die grundlegende universitäre Infrastruktur sichergestellt, wo dies nicht durch Haushaltsmittel geschieht.
Durch den Solidarpakt II wurde der Universitätshaushalt bis zum Jahr 2014 eingefroren, was - unter Berücksichtigung von Inflation, steigenden Kosten für Personal und Gebäudebewirtschaftung etc. - gleichbedeutend mit einem jährlichen Rückgang der realen Einnahmen ist. Parallel sind insbesondere durch die Umsetzung der Bologna-Reform deutliche Mehrkosten entstanden, die im Wesentlichen nicht durch zusätzliche Mittel ausgeglichen wurden. An vielen Stellen wird vielmehr deutlich, dass diese Mehrkosten zu erheblichen Anteilen durch Studiengebühren aufgefangen werden.
Des Weiteren werden Studiengebühren für Maßnahmen eingesetzt, deren Finanzierung zuvor durch zusätzliche Mittel vom Land sichergestellt wurde (Tutorate, Exkursionszuschüsse, Investitionsrunde Forschung und Lehre etc.). Derartige Zusatzbudgets wurden von der Landesregierung im Jahr 2007 ersatzlos gestrichen.
Dies sind Indizien dafür, dass sich das Land Baden-Württemberg - im Gegensatz zur offiziellen Darstellung der derzeitigen Landesregierung - sehr wohl aus der Finanzierung seiner Hochschulen zurückzieht und somit Studiengebühren zur Deckung entstandener Reformkosten und zur Kompensation von Haushaltslöchern herangezogen werden. Damit wollen wir nach dem 27. März endlich Schluss machen.
Das gesamte Studiengebührenaufkommen in Baden-Württemberg beträgt derzeit ca. 130 Mio. Euro im Jahr. Wir werden nach einer gewonnenen Landtagswahl am 27. März mit unserem zukünftigen Koalitionspartner (SPD) zunächst einen notwendigen Kassensturz machen, die tatsächliche Lage der Landesfinanzen analysieren und uns dann mit unserem Koalitionspartner über eine Gegenfinanzierung im Rahmen des neu zu erstellenden Doppelhaushalt 2012/2013 verständigen.
Damit der Wegfall der Mittel aus Studiengebühren nicht zu weiteren Verschlechterungen im Lehrangebot führt, müssen die Hochschulen aus Landesmitteln verlässlich finanziellen Ersatz erhalten. Wir werden daher durch eine gesetzliche Regelung den Hochschulen eine vollständige Kompensation der durch den Wegfall der Studiengebühren entstehenden Einnahmeausfälle aus Landesmitteln garantieren. Die Zuweisung der Mittel erfolgt zweckgebunden zur Verbesserung der Studienbedingungen und der Qualität der Lehre. Durch die gesetzliche Regelung der Kompensation wird sichergestellt, dass die Mittel den Hochschulen dauerhaft zur Verfügung stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Lehmann