Frage an Siegfried Kauder von Iris E. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Kauder,
Als Mutter eines 15-jährigen Jungen beziehe mich auf einen Focus-Artikel, in dem Sie sich zum Justizfall Marco W. wie folgt äußerten:
Es sei „allerhand, auf welch drastische Weise der junge Mann“ seine Sicht der Dinge schildere, sagte Kauder dem FOCUS. „Dem Mädchen wird übles Leid zugefügt“, so Kauder, der Vorstandsmitglied der Opferschutzorganisation Weißer Ring ist. Das Mädchen werde erneut zum Opfer. „Ich werde mir Gedanken machen, wie man derlei Publikationen verhindern kann. Hier ist wohl eine Strafrechtsänderung nötig“, sagte Kauder.
http://www.focus.de/panorama/welt/bundestagsabgeordneter-entsetzen-ueber-marco-buch_aid_352188.html
Wenn es in diesem Fall Opfer gibt, so m.E. allenfalls zwei Opfer der Justiz, nämlich Marco und das britische Mädchen. Zur Zeit erscheint es eher unwahrscheinlich, dass das britische Mädchen Opfer einer Vergewaltigung durch Marco wurde, auch in Anbetracht der mitanwesenden weiteren Jugendlichen. Außerdem erscheint es zumindest möglich, dass Marco sich im wahren Alter des Mädchens täuschte und es somit am notwendigen subjektiven Tatbestand des Kindsmissbrauches fehlte. Dennoch saß Marco mehr als 200 Tage im Gefängnis, möglicherweise unschuldig.
Meine Fragen:
1) Welche Strafrechtsänderung schwebt Ihnen vor?
2) Wie kann man vor Abschluss eines Strafverfahrens in solch komplizierten Fällen wie diesem sagen, wer Täter und wer Opfer ist?
3) Wenn Sie Meinungsäußerungen (auch Bücher) vor Abschluss eines Strafverfahrens dem mutmaßlichen Täter untersagen wollen, so stünde dem die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit entgegen. Wie sehen Sie das?
4) Haben Sie es als Jurist auch schon erlebt, dass ein männlicher Jugendlicher fälschlich der Vergewaltigung bezichtigt wird? Ist dieser dann Täter oder Opfer?
5) Würde der Weiße Ring sich dann auch des Marco als Opfer annehmen, oder sieht der Weiße Ring männliche Jugendliche grundsätzlich als Täter, weibliche Jugendliche grundsätzlich als Opfer?