Frage an Siegfried Kauder von Karl-Heinz S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Siegfried Kauder,
Politik ist sicherlich nicht so einfach, wie sich Lieschen Müller das vorstellt, mir geht es genauso. Die Feinjustierung erfordert wohl die oft sehr komplexen Gesetzestexte, die sich dem wenig vorgebildeten Betrachter nicht mehr erschließen.
Ab und zu stoße ich jedoch auf klare Gegensätze.
Die offizielle Ausgabe des aktuellen Grundgesetzes, beinhaltet ein Vorwort des Bundestagspräsidenten, dass dieses Grundgesetz nach der Wiedervereinigung die deutsche Verfassung sei.
Doch im Artikel 146 des Grundgesetzes steht Erstaunliches:
Geltungsdauer des Grundgesetzes
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Da der Artikel 146 des GG im Nachgang zur Ratifizierung des 2+4-Vertrages geändert und nicht gestrichen wurde, kann auch kein Irrtum vorliegen.
Meine Frage an Sie:
Kann es, sein, dass der zweithöchste Repräsentant Deutschlands das Grundgesetz nicht kennt.
Oder noch erschreckender, geht Herr Lammert davon aus, dass die Entpolitisierung der Bürger schon so weit fortgeschritten ist, dass Grundrechte einfach verweigert oder durch ein Vorwort umgangen werden können?
Falls Sie diese Frage nicht beantworten können oder wollen, zwei weitere Fragen:
3. Wie stehen Sie selbst zu einer „volksabgestimmten“ Verfassung gemäß 146 GG? Und wie könnte eine solche Prozedere durchgeführt werden?
4. Falls die Aussage von Herrn Lammert stimmt, wann und wie wurde das Grundgesetz in den Verfassungsrang erhoben?
Mit allen guten Wünschen für Sie
Karl-Heinz Stock
Sehr geehrter Herr Stock,
vielen Dank für Ihre Email vom 2. Dezember 2007 mit Fragen zum Grundgesetz und einer vom deutschen Volk im Wege einer Volksabstimmung verabschiedeten Verfassung. Zu Ihren Fragen nehme ich wie folgt Stellung:
1. Mir ist nicht bekannt, dass der Präsident des Deutschen Bundestages, Herr Dr. Norbert Lammert, das Grundgesetz nicht kennt.
2. Ihre zweite Frage ist an Herrn Dr. Lammert gerichtet und wovon er ausgeht. Bitte wenden Sie sich daher mit Ihrer Frage an ihn.
3. Artikel 146 GG hat seine jetzige Fassung durch den Einigungsvertrag erhalten und ermöglicht die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Wege der Volksabstimmung. Er enthält jedoch keinen Auftrag, eine neue Verfassung zu erlassen. Wie eine solche Anwendung des Artikels 146 GG aussehen könnte, ist nicht geregelt (welches Verfahren, welche Mehrheiten). Dies wäre allerdings erforderlich; erst dann könnte von dieser Norm Gebrauch gemacht werden. Im Übrigen sehe ich auch nicht die Notwendigkeit dafür, da sich das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland auch seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 bewährt hat.
4. Der provisorische Aspekt, der dieser Bezeichnung und dem Grundgesetz bis zur Wiedervereinigung anhaftete, ist seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr gegeben. Das Grundgesetz ist seit der Wiedervereinigung die dauerhafte Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Dies kommt auch in der Präambel deutlich zum Ausdruck.
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Kauder, MdB