Frage an Siegfried Kauder von Andreas K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kauder,
wie werden sie sich bezüglich des Gesetzentwurfes zur Beschneidung aus religiösen Gründen äußern?
Es ist für mich ein Skandal, dass der Bundestag sich dem Druck der religiösen Gruppen beugen will und die Beschneidung aus religiösen Gründen gesetzlich erlauben möchte.
Die Beschneidung schränkt nicht nicht das Grundrecht der Religionsfreiheit ein, da es sich nicht um Religion, sondern um einen Ritus handelt.
Sie schränkt aber eindeutig das Grundrecht auf Unversehrtheit des Körpers und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes ein.
Der in Köln verhandelte Fall zeigte eindrucksvoll, dass es sich nicht um einen kleinen Eingriff handelt mit der Entfernung überflüssiger Haut. Auch bei fachgerechter Ausführung kann es zu lebensbedrohlichen Situationen kommen oder zu einer lebenslangen Verstümmelung.
Warum kann nicht jeder Gläubige mit der Volljährigkeit sich selbst für die Beschneidung entscheiden?
Richtig wäre eine Formulierung, dass die Beschneidung bis zur Volljährigkeit nur aus medizinischen Gründen erlaubt ist. Eine religiös motivierter Eingriff bedarf der Volljährigkeit und des freien selbständigen Entschlusses des Gläubigen selbst und darf nicht auf Zwang von außen erwirkt werden.
Wann erkennt der Bundestag, dass es nicht um ein kleines Zugeständnis handelt, sondern dass es sich um ein unverzeihliches Zurückweichen vor Religionsgruppen handelt ohne zu reflektieren, dass viele weitere Forderungen auf Änderung/Deformierung der Grundrechte folgen kann, damit sie nicht Religionsriten (wie auch in der Scharia enthalten) widersprechen.
Ich erwarte von Ihnen und dem Bundestag eine tiefgreifende Debatte über das Thema im Bundestag und hoffe, dass sich die Bundestagsabgeordneten sich zu unseren gemeinsamen Werten, den Grundrechten bekennen.
Hochachtungsvoll
Andreas Kersten
Sehr geehrter Herr Kersten,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich bitte um Nachsicht, dass ich erst jetzt antworte.
Das Thema wird derzeit in der Öffentlichkeit breit und kontrovers diskutiert. Ausgelöst wurde die Diskussion durch das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, mit dem erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Strafgericht die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung wertete. Das Urteil hat keine Bindungswirkung für andere Gericht. Dennoch ist dadurch die jüdische und muslimische Gemeinschaft in Deutschland tief verunsichert worden. Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen möchten und Ärzte, die die Beschneidungen vornehmen sollen, befürchten nun, dass sie sich damit strafbar machen könnten.
Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen von grundlegender Bedeutung. Sie fühlen sich durch das Urteil ausgegrenzt und fürchten ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland.
Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Der Gesetzgeber muss daher entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben deshalb am 19. Juli 2012 in einem fraktionsüber-greifenden Beschluss die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, für alle Beteiligten Rechtssicherheit zu schaffen.
Mit der Verstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen, die strafbar ist, ist die Beschneidung bei Jungen allerdings nicht vergleichbar. Die Beschneidung von Jungen ist einer der weltweit am häufigsten durchgeführten kinderchirurgischen Eingriffe. Sie gilt als medizinisch vertretbar, wenn sie fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen für das Kind durchgeführt wird.
Eltern müssen dies auch berücksichtigen dürfen, wenn sie darüber entscheiden, ob eine Beschneidung dem Wohl ihres Sohnes dient. Denn es sind zunächst die Eltern, die über das Kindeswohl bestimmen. Das Recht zur religiösen Erziehung der Kinder ist grundgesetzlich geschützt. Eltern dürfen sich daher bei Entscheidungen zur Gesundheit ihres Kindes auch von religiösen Motiven leiten lassen, solange die Behandlung bzw. der Eingriff nach allgemeinen Maßstäben medizinisch vertretbar ist.
Ohne kritische Prüfung der mit der Beschneidung berührten Grundrechte ist eine fundierte Stellungsnahme nicht möglich. Zwischen Religionsfreiheit, Erziehungsprivileg der Eltern und dem Anspruch des Kindes auf körperliche Unversehrtheit ist ein Einklang herzustellen. Wir werden im Rechtsausschuss noch eingehend darüber beraten, ob und wie religiöse Beschneidung von minderjährigen Jungen in Deutschland vom Gesetzgeber geregelt werden muss. In der nächsten Woche wird daher zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung mit Experten stattfinden
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Kauder MdB