Frage an Siegfried Kauder von Martin B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Kauder,
was mich derzeit am meisten stört ist die blinde Fokussierung der Politik auf Arbeitsplatzerhalt. Die Rettung von Konzernen, die Produkte herstellen, die nun mal keiner mehr braucht macht für mich einfach keinen Sinn. Es ist sicher hart für die Opelaner wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Ich selbst war auch gerade ein Jahr arbeitslos und es ist nicht sehr angenehm. Das Problem ist allerdings nicht das "keine Arbeit haben" an sich, sondern die Tatsache, dass unsere Gesellschaft dies immer noch als individuelles Scheitern abtut.
Es ist nicht genug Erwerbsarbeit für alle da und es wird auch nie wieder genug Erwerbsarbeit für alle geben. Dieser Tatsache sollten Sie ins Auge sehen. Es muss über alternativen zur Vollbeschäftigung nachgedacht werden. Wie stehen sie zum Beispiel zum bedingungslosen Grundeinkommen? Denken Sie, dass ein solches Grundeinkommen zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen würde? Meinen Sie der Großteil der deutschen würde seine Arbeit niederlegen und sich in die Hängematte legen? Dann bin ich mir fast sicher, dass Sie noch nie in ihrem Leben arbeitslos waren. Denn sonst wüssten Sie, dass es nichts schlimmeres gibt als sich nutzlos zu fühlen.
Es gibt ein paar wenige die nichts zur Allgemeinheit beitragen wollen. Die gibt es heute und die wird es immer geben. Aber auch diese Menschen müssen von der Gesellschaft getragen werden und werden es ja auch. Aber das ist nicht die große Masse und wird es auch nie sein.
Falls Ihr Menschenbild tatsächlich so schlecht sein sollte, dass Sie meinen der einzige Antrieb der Menschen sei das Geld dann fangen Sie bei sich an. Würden Sie denn noch arbeiten wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre? Würden Ihnen z.B.1500€ mtl. reichen oder würden sie noch etwas hinzu verdienen wollen? Ich habe für mich diese Frage längst beantwortet und ich bin noch keinem Menschen begegnet der mit 1500€ mtl. dauerhaft die Arbeit nieder legen würde.
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Buck
Sehr geehrter Herr Buck,
vielen Dank für Ihre Anfrage, in der Sie mich nach meiner Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen fragen. Gerne lege ich Ihnen meinen Standpunkt zu diesem Thema dar.
Die Grundidee, dass die Sozialbürokratie abgebaut und das Steuersystem stark vereinfacht werden müsste, finde ich gut. Allerdings sollte zu diesem Zwecke nicht, wie das bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens der Fall wäre, das gesamte Finanz- und Sozialsystem von Grund auf neu gestaltet werden. Eine solche drastische Umorganisation der staatlichen Haushalte hätte für Unternehmen und private Haushalte unabsehbare Folgen. Außerdem würde eine zu hohe staatliche Leistung die Arbeitsanreize der Bevölkerung schwächen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass viele für das Funktionieren hochkomplexer Gesellschaften notwendige Arbeiten nur bei entsprechendem Anreiz ausgeführt werden. Vor allem Geringverdiener hätten bei einem Grundeinkommen von 1.500 Euro keinen Ansporn mehr arbeiten zu gehen. Selbst die von Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens oft herangezogene Studie von Prof. Dr. Friedrich Schneider, die im November letzten Jahres vorgestellt worden ist, untermauert dieses Argument. Ein genauerer Blick in die repräsentative Umfrage zeigt, dass Erwerbstätige bei Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Durchschnitt in der Woche 4,3 Stunden weniger arbeiten würden. Insbesondere Hilfsarbeiter würden zu 33 Prozent ihre Arbeit "reduzieren oder vollständig einstellen".
Ein Hauptargument der Befürworter ist der zunehmend sinkende Bedarf an Arbeitskräften durch Rationalisierungsprozesse. Doch die stetig sinkenden Arbeitslosenzahlen der letzten zwei Jahre machen deutlich, dass Arbeitslosigkeit mit einer guten Wirtschafts- und Sozialpolitik deutlich reduziert werden kann. Ein höherer Grad der Produktivität durch die Automatisierung der Arbeitsprozesse darf nicht dazu führen, das Ziel der Vollbeschäftigung aus den Augen zu verlieren. Auch bei weiter fortschreitender Digitalisierung und Technisierung werden in der Zukunft Tätigkeiten anfallen, die nicht durch maschinelle Arbeit allein erledigt werden können. Deshalb gehört es zu den vordringlichen staatlichen Aufgaben die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die vorhandenen sozialen Sicherungssysteme durch eine hohe Erwerbstätigenquote finanzierbar bleiben.
Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das allenfalls nur durch eine Erhöhung der Verbrauchssteuern zu finanzieren wäre, kann ich auch unter Gerechtigkeitsaspekten nicht befürworten. Während auch Vermögende, die eine staatliche Unterstützung im Grunde nicht benötigen, in den Genuss der Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens kommen würden, tragen zum Beispiel weniger wohlhabende Familien aufgrund ihres höheren Verbrauchs an Konsumgütern überproportional zur Finanzierung dieses Systems bei. Nach dem Sozialstaatsprinzip ist aber die Gemeinschaft nur gefordert, soweit Einzelne aus persönlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Das in der Petition geforderte Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens beruht auf einem anderen ökonomischen Grundsatz als die auf Erwerbsarbeit angelegte Marktwirtschaft, in der die soziale Sicherung überwiegend durch eine verpflichtete Sozialversicherung gewährleistet wird. Insofern ist sehr zu bezweifeln, ob die Einführung eines solchen Grundeinkommens nur in der Bundesrepublik Deutschland, die umfassend in die Weltwirtschaft und den europäischen Binnenmarkt eingegliedert ist, überhaupt möglich ist. Es darf außerdem nicht übersehen werden, dass eine Beschränkung auf in Deutschland ansässige Personen eine nicht zu bewältigende Zuwanderung auslösen würde, die zumindest aufgrund der innerhalb der Europäischen Union verbindlichen Freizügigkeit auch nicht verhindert werden könnte.
Der auf den ersten Blick einnehmende Vorschlag, mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine den Menschen entgegenkommende neue Sozialordnung zu schaffen, in der jeder nur nach seinen Vorstellungen tätig zu sein braucht ohne auf Erwerbsarbeit angewiesen zu sein, erweist sich für mich daher bei näherer Betrachtung als nicht realisierbare Wunschvorstellung. Eine Wirtschaft, in der die Befriedigung aller Bedürfnisse nicht über Erwerbsarbeit, sondern durch staatliche Leistungen erfolgt, ohne dass ein adäquater Produktionsprozess verlangt wird, ist empirisch nicht belegt und schlicht nicht vorstellbar. Eine andere Betrachtung könnte sich allenfalls durch Erkenntnisse aus weiterer wissenschaftlicher Forschung ergeben.
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Kauder MdB