Frage an Sibyll Klotz von Roman G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Klotz
Der Ethikunterricht wurde vor kurzem an Berliner Schulen als Pflichtfach (?) eingeführt.
Kann jetzt schon ein Resümeé gezogen werden, welchen Einfluss dieses Unterrichtsfaches auf die Schüler hat oder ist es dazu noch zu früh?
Wieviele Stunden umfasst der Unterricht in der Woche, wie haben sich die Kirchengemeinden damit arrangiert, weil es als "Konkurrenz" zum Religionsunterricht steht und welche Themen werden explizit behandelt?
Mich erschreckt vor allem der demütigende Umgang vieler Minderjähriger vor allem aus Migrantenfamilien und sozial schwachen Familien zum Thema "sexuelle Identität".
Sehr geehrter Herr Grabert,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich Ihnen gerne und in einem Block beantworte.
Ich befürworte die Einführung eines regulären Unterrichtsfaches Ethik, in dem sich alle SchülerInnen gemeinsam mit Fragen des Zusammenlebens in unserer vielfältigen Gesellschaft, mit den verschiedenen Religionen und Fragen von Werten und Normen beschäftigen. Es ist wichtig, dass ALLE Jugendlichen dies gemeinsam tun - unabhängig ob sie keiner oder welcher Glaubensrichtung sie angehören. Das neue Fach bietet eine neue Chance für wechselseitiges Verständnis und Akzeptanz, die hoffentlich von den LehrerInnen genutzt wird. Entscheidend ist beim Ethikunterricht, dass nicht Partei ergriffen wird für oder gegen eine Religion, sondern neutral Wissen vermittelt, der Dialog gefördert wird und Vorurteile abgebaut werden. Um dies zu gewährleisten müssen die Anforderungen, die das Schulgesetz an das Fach Ethik stellt, auch tatsächlich umgesetzt werden. Dazu gehört unbedingt eine qualifizierte Ausbildung der Ethik-LehrerInnen. Sie müssen der Verantwortung gewachsen sein, die unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen im Unterricht fair, unparteiisch und kompetent zu behandeln. Die von Schulsenator Böger konzipierte Schmalspurausbildung reicht hierfür nicht aus. Im übrigen wäre mir die Bezeichnung "Lebenskunde/Ethik/Religion" lieber gewesen.
Der Ethik-Unterricht ist nicht als Konkurrenz zum Religionsunterricht gedacht, den die SchülerInnen weiterhin freiwillig besuchen können. Die Kirchen haben die Befürchtung, dass mit der Einführung des Ethikunterrichtes die Teilnahme am Religionsunterricht zurückgeht. Ich glaube nicht, dass diese Verdrängung so stattfinden wird. Der Ethikunterricht ist erst in der Oberschule, also ab der 7. Klasse, Pflichtfach. Das Angebot des Religionsunterricht wird in der Grundschule (Klassenstufe 1 -6) am meisten wahrgenommen und wird durch den Ethikunterricht nicht berührt.
Der Ethikunterricht steht für SchülerInnen ab Klasse 7 mit zwei Schulstunden pro Woche im Stundenplan.
Es sollen die unterschiedlichsten Themen behandelt werden. Den Rahmenplan finden Sie unter: http://www.senbjs.berlin.de/schule/rahmenplaene/pdf/sek1_ethik.pdf
Dort heißt es beispielsweise unter Standards für die Klassenstufen 7 und 8:
"Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Themen aus ihrer Erfahrungswelt in unterschiedlichen Formen unter der individuellen, gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Perspektive produktiv auseinander." Elementare Standards, die Schülerinnen und Schüler beherrschen sollen, sind
- die Fähigkeit, grundlegende Regeln der Kommunikation und des Umgangs zu formulieren, zu begründen und anzuwenden (z. B. Zuhören, Eingehen auf den Gesprächspartner, Bezugnahme auf Äußerungen, Unterscheidung von Meinungen und Argumenten, Wahrnehmung und Aushalten von Differenzen, Einnahme anderer Perspektiven, Höflichkeitsformen), ....."
Die sechs Themenfelder, die der Rahmenplan vorgibt, sind:
- Identität, Freundschaft, Glück
- Freiheit, Verantwortung, Solidarität
- Diskriminierung, Gewalt und Toleranz
- Gleichheit, Recht und Gerechtigkeit
- Schuld, Pflicht und Gewissen
- Wissen, Hoffen und Glauben
Im ersten Themenfeld gibt es auch die Möglichkeit das von Ihnen angesprochene Thema "sexuelle Identität" zu behandeln, konkret findet sich im Rahmenplan folgender Vorschlag: Partnerschaft, Liebe, Sexualität in verschiedenen Kulturen. Wenn Sie erschrocken sind über den Umgang vieler Minderjähriger mit Fragen von Sexualität und sexueller Identität, so wird allerdings der Ethik-Unterricht da auch nur begrenzt etwas tun können, indem er z.B. Schwule und Lesben zum Gespräch in die Klassen einlädt, damit SchülerInnen sich selbst ein Bild machen können, anstatt Vorurteile weiter zu tragen und zu bedienen.
Für eine Evaluation ist es derzeit noch zu früh, da der bisherige freiwillige Ethikunterricht nicht vergleichbar ist. Allerdings hat Brandenburg bereits gute Erfahrungen mit dem Unterrichtsfach gemacht.
Viele Grüße von Sibyll Klotz