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Sevim Dağdelen
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Frage von Manuela P. •

Frage an Sevim Dağdelen von Manuela P. bezüglich Frauen

Sehr geehrte Frau Dagdelen,

morgen feiern wir den 100. Internationalen Frauentag. Die muslimischen Frauen in unserem Land haben es seit Beginn der Kopftuch- Debatte nicht leicht. Wie stehen Sie zu einem Kopftuch- Verbot für Lehrerinnen und Schülerinnen? Ist eine gesetzlich vorgeschriebene Emanzipation vereinbar mit dem Artikel 1 des GG? In meinen Augen ist das eine Diskriminierung, wenn auch eine gut gemeinte.

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Sehr geehrte Frau Pagels,

rechtlich betrachtet bleibt festzuhalten, dass auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts der Rat der Europäischen Union mehrfach betont hat, dass ein evtl. Kopftuchverbot nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU-Organe falle, sondern der Regelung durch die einzelnen Mitgliedstaaten obliegt. In Deutschland schützt die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit aus Art. 4 GG das öffentliche Tragen einer religiös motivierten Kopfbedeckung sowohl von Christen, Juden als auch Muslimen etc. Einfachgesetzliche Regelungen die das Tragen eines Kopftuches, Burka oder Vollverschleierung (Niqab) in der Öffentlichkeit verbieten würden sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Ähnliches gilt im übrigen auch im Falle eines einfachgesetzlichen Minarettverbotes. Ein solches Gesetz würde sowohl gegen Art. 4 Abs. 2 GG als auch gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. Mit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Verfassungsinstitution "Schule" und der Erfüllung des Bildungsauftrages aus Art. 7 Abs. 1 GG könnte das Tragen eines Kopftuchs aber unvereinbar sein. Für die Beurteilung, ob ein Kopftuchverbot in einem Mitgliedstaat nach Art. 4 der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein kann, ist der Kontext maßgeblich, in dem ein solches Verbot ergeht oder besteht.

Die Bundesländer Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Saarland führten ein Kopftuchverbot für ihre Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen ein. Fünf von ihnen erlauben allerdings dagegen Ausnahmen für christliche Symbole oder Kleidungsstücke. Das ist aus meiner Sicht nicht nur ein klarer Widerspruch zur religiösen Neutralitätspflicht der Schulen, sondern tatsächlich auch diskriminierend.

Ich wende ich mich entschieden gegen die Instrumentalisierung feministischer Politik durch konservative bis rassistische Kreise, die die Befreiung der muslimischen Frauen zum vermeintlichen Hauptanliegen ihrer Islamkritik machen. Ich wende mich aber genau so entschieden gegen die Instrumentalisierung feministischer Politik, die einem falschverstandenen Toleranzgedanken entspringt, wonach ein Kopftuchverbot ausschließlich in die Privatsphäre von Mädchen und Frauen eingreift und nicht etwa in die zu kritisierende religiöse Untersagung körperlicher Autonomie (völlig egal ob diese nun freiwillig oder nicht auf sich genommen wird). Mir geht es unmittelbar um die Frage, wie sich der Staat von der Religion lösen kann, ohne dabei seine Bürger/innen zur Aufgabe der Religion zu zwingen.

Die Unterscheidung von öffentlich und privat ist eine Grundvoraussetzung einer jeden aufgeklärten, emanzipatorischen Gesellschaft. DIE LINKE. hält die Zugehörigkeit der Religion zum Bereich des Privaten für eine gesellschaftliche Errungenschaft. Das bedeutet, dass sich der Staat in diesem Sinne neutral zu verhalten hat und deswegen religiöse Symbole, Kleidervorschriften, Bekenntnisse zumindest bei Vertreter/innen von und in öffentlichen Einrichtungen nicht zu erlauben hat. So lange es die Privilegien für die Mitglieder christlicher Kirchen gibt, ist es schwierig, Muslimen analoge Privilegien auf Dauer zu verweigern. Das wäre diskriminierend.

Sehr geehrte Frau Pagels,

ich finde, dass religiöse Symbole nicht in Gerichte, Parlamente, Rathäuser, staatliche Krankenhäuser, Kindestagesstätten, Schulen oder Behörden gehören. Es muss allen Menschen freigestellt sein, das zu glauben was sie wollen, solange dieser Glauben keinen anderen Menschen in seinen Rechten einschränkt und anderen aufgedrängt wird. Das betrifft private Beziehungen, insbesondere Familien, genauso wie insbesondere das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgerinnen und Bürgern. So wie Kreuze in öffentlichen Schulen mit der weltanschaulichen Neutralität des Staates unvereinbar sind, gilt dies auch für das Tragen religiöser Symbole im Öffentlichen Dienst. Ostentativ getragene religiöse Symbole wie das Kopftuch verbieten sich daher aus den gleichen Gründen wie das Kreuz im Klassenzimmer. Religionsunterricht, Schulgebete, Schulgottesdienste oder religiös definierte Erziehungsziele haben im Bildungswesen nichts zu suchen. Das heißt Verbot religiöser Symbole an staatlichen Schulen. Hier gilt es die sog. negative Religionsfreiheit, also das Recht weder einen religiösen Glauben haben, ein religiöses Bekenntnis abgeben zu müssen und religiöse Riten und Äußerungsformen vollziehen sowie an ihnen teilnehmen zu müssen. Statt Religion Einführung eines Ethikunterrichts, wo Kinder emanzipatives Denken lernen und auch über Religionen und ihre Rechte aufgeklärt werden. Schülerinnen aus welchen Gründen auch immer von der Schule auszuschließen, ist in diesem Sinne absolut kontraproduktiv und macht Mädchen mglw. ein weiteres Mal zu Opfern patriarchaler Verhältnisse.

Mit freundlichen Grüßen,

Sevim Dagdelen

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