Frage an Sebastian Edathy von Albrecht K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Edathy,
in der WELT ONLINE vom 19.08.2008 ( http://www.welt.de/politik/article2326030/Edathy-wirft-der-Union-voelkische-Ideologie-vor.html ) werfen Sie der CDU/CSU eine "völkische Ideologie" vor, weil Sie (meiner Meinung nach dringend notwendige) Änderungen bei der Staatsangehörigkeit durchsetzen will.
Dazu meine Frage: finden Sie es angebracht, eine demokratische Partei mit einem Begriff zu belegen, der eindeutig aus dem Sprachgebrauch des Nationalsozialismus stammt?
Mit freundlichen Grüßen
Albrecht Klein
Berlin, 13. November 2008
Sehr geehrter Herr Klein,
zu Ihrer Frage vom 12. November 2008 folgende Anmerkungen.
In der Tageszeitung „Die Welt“ vom 20. August 2008 habe ich in einem Interview die Forderung von CDU und CSU zur Rückkehr zum reinen Abstammungsrecht, also die Abschaffung des im Jahr 2000 eingeführten ius soli-Grundsatzes, kritisiert. Eine entsprechende Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes stelle einen Rückfall „ins 19. Jahrhundert“ dar. Der Wortlaut des entsprechenden des Interview-Abschnitts lautet:
"Frage: Die Union will das Optionsmodell ebenfalls abschaffen und das alte Abstammungsrecht wiederherstellen: Deutscher ist danach, wer das Kind deutscher Eltern ist.
Edathy: Das ist im Kern Biologismus und völkische Ideologie. Damit würden wir zurück ins 19. Jahrhundert fallen. Nein, die Zeit ist reif, die Diskussion über das Thema Mehrstaatlichkeit zu entideologisieren und zu pragmatischen Lösungen zu kommen."
Aktuelles Geschehen in Deutschland mit der Zeit des Nationalsozialismus zu vergleichen, ist etwas, das ich stets kritisiere – vor allem deshalb, weil damit historisch monströses Verbrechen relativiert wird. Entsprechend stelle ich solche Vergleiche nicht an und habe das auch nie getan.
Die deutsche Sozialdemokratie hat bei den Debatten im Reichstag 1912 und 1913 für die Einführung des ius soli (Geburt in Deutschland als Grundlage für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit) in Ergänzung des ius sanguinis (Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Abstammung) gestritten und für die Überwindung der nach der Reichsgründung 1871 geltenden und auf Abstammung fixierten Einbürgerungs-Regelungen plädiert, ist damit aber an der Ablehnung konservativer, vor allem deutschnationaler Parteien gescheitert.
In die Tradition letzterer begeben sich CDU und CSU, wenn sie das 2000 endlich eingeführte ius soli wieder abschaffen wollen.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang den Abgeordneten Dr. Giese (Konservative Partei) aus einer Reichstags-Debatte vom 28. Mai 1913: „Wir freuen uns, dass in dem Gesetz der Grundsatz des ius sanguinis rein durchgeführt worden ist, dass also in der Hauptsache die Abstammung, das Blut das Entscheidende für den Erwerb der Staatsangehörigkeit ist. Diese Bestimmung dient hervorragend dazu, den völkischen Charakter und die deutsche Eigenart zu erhalten und zu bewahren.“
Wer zur in diesen Worten zum Ausdruck kommenden Rechtslage zurück will, hat in der Tat ein im Kern biologistisches und völkisches Denken.
Dieses Denken ist von den Nationalsozialisten pervertiert, aber nicht erfunden worden, mit meiner Wortwahl habe ich klar gemacht, dass ich in dieser Frage keinen Bezug zwischen Union und Nationalsozialismus, wohl aber zwischen Union und konservativen Strömungen aus der Zeit vor der Weimarer Republik herstelle.
Für uns Sozialdemokraten ist der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eben nicht allein eine Abstammungsfrage, sondern eine Frage der Erreichung von Übereinstimmung zwischen dauerhaft ansässiger Wohnbevölkerung und dem Staatsvolk. Dem trägt die Einbürgerung hier geborener Kinder rechtmäßig in Deutschland lebender ausländischer Eltern Rechnung! Sie ist eine wichtige Voraussetzung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, in der sich die ständig im Land befindliche Bevölkerung auch aus Gründen der demokratischen Kultur nicht in Bürger erster und zweiter Klasse aufspalten darf.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB