Frage an Sebastian Edathy von Heike R. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Edathy,
weshalb gibt es in Deutschland noch immer kein Gesetz auf Rechtsanspruch auf ein Girokonto? Gerade Bezieher von Harz 4, denen ein solches Konto verweigert wird, sind massiv bedroht und benachteiligt. Kommunen, die die monatlichen Leistungen zur Lebensunterhaltssicherung in Gestalt von ALG II und Kindergeld lediglich bargeldlos auszahlen, verlangen ein Girokonto. Auch die laufenden existentiellen Verbindlichkeiten wie Miete, Energiekosten, Telefonkosten, Versicherungsprämien etc. können zumutbar lediglich bargeldlos beglichen werden, weil die jeweiligen Empfänger Barzahlungen nicht akzeptieren. Bareinzahlungen bei Banken sind mit hohen Gebühren für jedes Einzelgeschäft verbunden.
Wenn nachweisbar kein Girokonto beschaffbar ist, müssen dann die ARGEN die Gebühren für Bareinzahlungen als Sonderkosten tragen, oder wer trägt diese Kosten?
Die Selbstverpflichtung der Banken/Sparkassen Girokonten bereitzustellen trägt leider nicht.
Weshalb handelt die Politik seit Jahren nicht, auch nicht als die SPD in Verantwortung war, obwohl es bei Rettung von Banken nur Tage des Handelns bedurfte?
Wie sollen sich Betroffene Verhalten und ganz konkret erfolgreich behaupten?
Mit freundlichem Gruß
Heike Rogall
Sehr geehrte Frau Rogall,
vielen Dank für Ihre Fragen zum sog. „Girokonto für jedermann“.
Zu Ihrer Frage nach einem Rechtsanspruch auf ein Girokonto: Zweifellos gibt es eine hohe Versorgungsdichte mit Girokonten in der Bundesrepublik Deutschland, trotzdem haben nach wie vor eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern kein privates Girokonto bzw. ist eine solche, bereits bestehende Kontoverbindung seitens der Kreditinstitute in der Vergangenheit beendet bzw. gekündigt worden. Dieser Sachverhalt ist zwischen der Kreditwirtschaft, den Verbraucherschutzverbänden und dem Gesetzgeber unstreitig. Strittig ist lediglich die Dimension dieses Problems. Einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto einzuführen, klingt zunächst vielversprechend und einfach, es ist aber leider eine viel komplexere Materie, die zugleich juristisch problematisch in der Umsetzung ist.
Es gibt vielfältige Gründe dafür, kein Konto zu führen bzw. führen zu dürfen: Konten werden von den Kreditinstituten gekündigt oder nicht eröffnet, weil z. B. Mehrfachpfändungen das Konto über Gebühr belasten, über den Kunden negative SCHUFA-Auskünfte eingeholt worden sind bzw. eine Kontoverbindung aus anderen Gründen für das Kreditinstitut nicht zumutbar ist oder erscheint. Darüber hinaus können geschäftliche Entscheidungen von Kreditinstituten eine Rolle spielen, Kontoverbindungen im Retailgeschäft für bestimmte Kundengruppen nicht aufrechtzuerhalten bzw. nicht zu eröffnen. Im Übrigen können Sachverhalte eine Rolle spielen, bei denen Kunden überhaupt kein Konto eröffnen wollen, etwa weil ihnen die (Mit-)Nutzung von Konten Dritter ermöglicht wird und beim Kunden ein Interesse besteht, als Kontoinhaber im Geschäftsleben und gegenüber öffentlichen Stellen nicht in Erscheinung zu treten.
In diesem Zusammenhang ist es positiv hervorzuheben, dass die Hälfte aller Sparkassengesetze bzw. –verordnungen der Länder, in deren Gesetzgebungskompetenz die Sparkassen fallen, inzwischen ausdrückliche Regelungen über die Verpflichtung zur Führung von Girokonten für Personen mit Wohnsitz in ihrem Geschäftsbezirk (Kontrahierungszwang) enthalten. Entsprechende Vorschriften bestehen in allen neuen Bundesländern sowie in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Jedoch gilt auch hier eine Generalklausel, die eine Ablehnung der Kontoführung bei Unzumutbarkeit gestattet, in den Sparkassengesetzen/-verordnungen einiger Länder finden sich auch konkret gefasste Spezialtatbestände, bei deren Vorliegen keine Kontrahierungspflicht besteht. Als Rechtsfolge ordnen die Ausnahmetatbestände ein Erlöschen der Pflicht zur Führung des Girokontos an; da der Girovertrag als Dienstvertrag frei kündbar ist, kann die Sparkasse bei einem Erlöschen des Kontrahierungszwangs die Geschäftsbeziehung sofort beenden. Daher erfassen die Ausnahmetatbestände nicht nur die Ablehnung einer Kontoeröffnung, sondern berechtigen zugleich auch zur Kündigung einer bereits bestehenden Kontoverbindung. Ein genereller Rechtsanspruch auf ein Girokonto, der diese Ausnahmen nicht gestattet, ist rechtlich hoch problematisch, gar am Rande der Verfassungsmäßigkeit, da dies u. U. einen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellen würde. Es ist zur Zeit also fraglich, ob ein Rechtsanspruch tatsächlich die Wirkung hätte, die sich viele Betroffene davon versprechen.
Gemeinsames Ziel von Staat und Kreditwirtschaft muss es sein, allen Bürgerinnen und Bürgern schnell, einfach und auf praktikable Weise die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr zu ermöglichen. Hierdurch könnten auch die in einer Vielzahl von Fällen mit der Kontolosigkeit direkt verbundenen Probleme wachsender Überschuldung minimiert werden. Ein wichtiger Beitrag zum Schuldnerschutz ist unstreitig der Zugang zu einem Girokonto auf Guthabenbasis. Allerdings darf der Zugang zu einem Girokonto nicht nachträglich durch Kündigungen von Girokonten wieder in Frage gestellt werden. Eine gesetzliche Regelung des Rechts auf ein Girokonto und damit die Schaffung eines Kontrahierungszwangs haben wir in der letzten Regierung jedoch nicht als erforderlich angesehen. Gerade die Erfahrungen in Ländern mit einer verbreiteten Kultur der Selbstregulierung zeigen, dass Maßnahmen der Selbstregulierung und Selbstverpflichtung auf einem einfacheren Verfahrensweg ähnliche positive Regelungseffekte haben können wie gesetzliche Maßnahmen. Unter Beteiligung der SPD hat die Regierung sich intensiv mit diesem Thema befasst. Ich empfehle Ihnen dazu die Lektüre des „Berichts der Bundesregierung zur Umsetzung der Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann“ (Drs.-Nr. 16/2265, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/022/1602265.pdf ).
Was die Kosten für Bareinzahlungen betrifft: Für Leistungsempfänger ohne Girokonto besteht die Möglichkeit einer „Zahlungsanweisung zur Verrechnung“, die die Bundesagentur für Arbeit anbietet. Sie ist kostenlos, wenn kein Girokonto besteht.
Zu Ihrer letzten Frage: Aufgrund der öffentlichen Diskussion Mitte der 90er Jahre zu einer Vielzahl von Fällen, in denen es zu Problemen bei der Eröffnung und im Zusammenhang mit der Kündigung von Girokonten gekommen war, haben die im Zentralen Kreditausschuss (ZKA) zusammengeschlossenen Spitzenverbände der Kreditwirtschaft (Bundesverband deutscher Banken [BdB], Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken [BVR], Deutscher Sparkassen- und Giroverband [DSGV], Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands [VÖB] und Verband Deutscher Pfandbriefbanken [vdp]) im Jahre 1995 gegenüber ihren Mitgliedsinstituten die ZKA-Empfehlung zum „Girokonto für jedermann“ ausgesprochen. Nach dieser Empfehlung, die allerdings gegenüber den Mitgliedsinstituten keinerlei rechtliche Bindungswirkung hat und auch die Verbände zu nichts verpflichtet, sollen alle Kreditinstitute, die Girokonten für alle Bevölkerungsgruppen führen, für jede Bürgerin und jeden Bürger, unabhängig von Art und Höhe der Einkünfte oder z.B. SCHUFA-Einträgen, in ihrem jeweiligen Geschäftsgebiet auf Wunsch ein Girokonto führen. Überziehungen braucht das Kreditinstitut allerdings nicht zuzulassen. Im Fall der Unzumutbarkeit darf die Bank auch ein bestehendes Konto kündigen. Ist dies der Fall, können sich Betroffene an die Beschwerdestelle des Bundesverbandes deutscher Banken e.V. wenden. Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen privaten Banken und Kunden hat der Bundesverband für die ihm angeschlossenen Banken ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren geschaffen. Die Beschwerde eines Kunden, dem die Bank ein „Girokonto für jedermann“ verwehrt, wird von einem unabhängigen und neutralen Schlichter überprüft. Das Verfahren ist für den Beschwerdeführer kostenlos, er hat lediglich seine eigenen Kosten (z.B. Porto) zu tragen. Weitere Informationen finden Sie hier: www.bankenombudsmann.de
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB