Frage an Sebastian Blumenthal von Edgar F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Blumenthal,
neulich war ich wegen fehlender Alternativen beim Radioempfang genötigt, einen Radiosender zu empfangen, der sogenannte Blitzerwarnungen sendet.
Ich möchte gerne wissen, ob Sie in der folgenden Aufzählung meiner Meinung sind und ob Sie Chancen sehen für ein gesetzgeberisches Verfahren, solche Art von Warnungen zu unterbinden.
1. Geschwindigkeitskontrollen sind ein gesetzgeberisch vorgesehenes Instrument zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur Gefahrenabwehr.
2. Geschwindigkeiten sind in wenigen Fällen versehentlich übertreten worden (stellen aber dennoch eine Gefahr dar), im Regelfall wurden die Übertretungen gut- oder böswillig in Kauf genommen. In Kauf genommen wurden somit auch Unfälle, z. B. mit Todesfolge.
3. Jeder, der vor Geschwindigkeitskontrollen warnt, macht sich zum Komplizen eines solchen Fehlverhaltens.
4. Jeder, der vor Geschwindigkeitskontrollen warnt, untergräbt den Bürgersinn für das Gemeinwesen. Das Wohlergehen aller ist zentraler Bestandteil dieses Bürgersinns, eine wie auch immer verstandene Informationsfreiheit ist nachrangig.
5. Die Pflege des Bürgersinns ist eine Aufgabe aller, auch des Gesetztgebers.
Mit freundlichen Grüßen
Edgar Fuhrken
PS.: Ich richte diese Anfrage auch an andere Parlamentarier aus SH.
Sehr geehrter Herr Fuhrken,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Die von Ihnen gestellten Fragen sind bereits mehrfach vor deutschen Gerichten beraten worden. So hat z.B. das Verwaltungsgericht Saarland im Jahr 2004 festgestellt, dass Blitzerwarnungen im Radio rechtlich nicht zu beanstanden sind und dies damit begründet, "Radar-Warnmeldungen im Rundfunk seien - im Gegensatz zum Einzelfall des Betroffenen - wegen ihres unüberschaubar großen Adressatenkreises geeignet, darauf hinzuweisen, dass jederzeit an den unterschiedlichsten Orten mit Geschwindigkeitskontrollen gerechnet werden müsse. Damit seien Radio-Durchsagen als allgemeiner Appell an die Einhaltung von Geschwindigkeitsregelungen zu verstehen."
Von daher sehe ich keine rechtliche und auch keine politische Notwendigkeit, Blitzerwarnungen per Gesetz zu unterbinden. Hinzu kommt noch die Problematik, dass es bei den von Ihnen dargestellten Geschwindigkeitskontrollen schwerwiegende technische Mängel gibt. So hat die Verkehr-Unfall-Sachverständigengesellschaft (VUT) im Jahr 2009 in einer groß angelegten Studie empirisch dokumentiert, dass etwa 80 Prozent der Geschwindigkeitsmessungen, die Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen zugrunde liegen, fehlerhaft sind. In 5 Prozent der Fälle waren die Mängel so groß, dass kein Bußgeldbescheid hätte erlassen werden dürfen. Gerade einmal 15 Prozent aller Bescheide seien ohne jeden Mangel gewesen. In den zwei Jahren des Erhebungszeitraumes wurden bei Video-, Radar- und Lasermessungen insgesamt 1 810 Ordnungswidrigkeitsvorgänge auf der Basis technischer Messvorgänge anonym einer Bewertung unterzogen und auf Fehler und Mängel hin untersucht. Bei den durchgeführten Kontrollen seien die Messergebnisse technisch und formell nachweislich falsch gewesen. Die Bandbreite der Fehler reichte vom unkorrekten Messgeräteaufbau bis hin zu Fahrzeugverwechslungen. Bereits einfache Spurwechsel oder Kurvenfahrten konnten den Messwinkel so weit vom notwendigen Soll abweichen lassen, dass dadurch Messfehler hervorgerufen werden konnten.
Unabhängig davon muss die Zielsetzung darin bestehen, die Fahrzeugführer dazu anhalten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit einzuhalten. Das kann auch dadurch geschehen, dass die Autofahrer durch Blitzerwarnungen im Radio dazu veranlasst werden, die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht zu überschreiten. Von daher implizieren Blitzerwarnungen auch kein - wie Sie es ausdrücken - Untergraben des Bürgersinns für das Gemeinwesen. Im übrigen implizieren Geschwindigkeitskontrollen auch keine Gefahrenabwehr. Eine Straßenverkehrsgefährdung (315 c StGB) bedarf einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben einer Person oder einer Sache von bedeutendem Wert. Eine Geschwindigkeitsübertretung an sich begründet noch keine konkrete Gefährdung. Darüber hinaus verlangt das Strafgesetzbuch (ebenfalls in § 315 c StGB) als weiteres objektives Merkmal ganz bestimmte gefährliche Handlungsweisen. Die Geschwindigkeitsüberschreitung fällt nicht darunter. Die Anforderungen an eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung sind bei einer Geschwindigkeitsübertretung noch weniger gegeben.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Blumenthal