Frage an Sebastian Blumenthal von Konrad S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Blumenthal,
Bundesinnenminister Schäuble sagte in der heutigen Bundestagsdebatte, dass der neue Haushalt wachstumsfördernd sei. Daher meine Frage: Wie stehen Sie zum Ziel Wirtschaftswachstum? Inwiefern führt für Sie wirtschaftliches Wachstum zu Wohlstand (auch nicht materiellen) und ist Voraussetzung für eine freie Gesellschaft? Ist Wirtschaftswachstum für die FDP in jedem Fall positiv und wünschenswert, auch wenn dieses möglicherweise Schaden anrichtet (beispielsweise durch die Abwrackprämie, wodurch einerseits die Automobilindustrie über die Krise gerettet wurde, andererseits hunderttausende zumeist fahrtüchtige Kraftfahrzeuge zerstört wurden, wobei der Umwelt immenser Schaden zugefügt wurde, da 80-90 % aller Umweltschädigungen bei der Produktion des Autos entstehen; oder durch Wettbewerbsverzerrung wegen der Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen auf Kosten anderer Wirtschaftszweige wie beispielsweise der Gastronomie)?
Vgl. Wenkel, Abwrackprämie; http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4127985,00.html
Ist das Ziel Wachstum daher für Sie stets wünschenswert?
Mit freundlichen Grüßen
Konrad Schröder
Sehr geehrter Herr Schröder,
Wirtschaftswachstum ist für mich gleichermaßen wünschens- wie erstrebenswert. Wir haben bislang in allen Phasen der Menschheitsgeschichte erlebt, dass Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum nicht möglich ist. Der (technische und gesellschaftliche) Fortschritt und die enorme Zunahme an Lebensqualität, die in den vergangenen 200 Jahren stattgefunden haben, ist eine Folge des Wirtschaftswachstums.
Wohlstand bedeutet für mich zum einen materieller gesellschaftlicher Reichtum, der sich in abnehmender Kindersterblichkeit, steigender Lebenserwartung (im Sinne eines längeren und gesünderen Lebens) und gesellschaftlicher Alphabetisierung äußert. Zum anderen schließe ich dabei auch ganz ausdrücklich nicht-materielle bzw. subjektive Faktoren wie Glück, Zufriedenheit oder Lebensqualität mit ein.
Im Jahr 2006 hat der Psychologe Adrian White im Rahmen eines Forschungsprojekts an der University of Leicester dokumentiert, dass glückliche Menschen in (politisch und ökonomisch) hochentwickelten Ländern leben (also Ländern, die ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum aufweisen und rechtsstaatliche Standards aufweisen), während die unglücklichsten Menschen in unterentwickelten Ländern leben.
White hat durch seine Studie nachgewiesen, dass bei der Bewertung des "Glücks" die Gesundheit, der materielle Wohlstand und die Bildung ausschlaggebend sind und dass alle reichen Länder bessere Gesundheits- und Bildungssysteme und eine höhere Lebenserwartung als arme Länder aufweisen. Demnach leben die glücklichsten Menschen in Westeuropa, Nordamerika, Australien und Neuseeland während die unglücklichsten Menschen im Kongo, in Simbabwe und Burundi leben.
Auch eine freie Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum ist für mich nicht denkbar. Wenn man Freiheit als rechtsstaatlich geschützte individuelle Freiheit auffasst (was ich tue), dann kann man nicht die Tatsache verleugnen, dass Gesellschaften ohne Wirtschaftswachstum - von archaischen Ackerbaugesellschaften über altagytische Pharaonenreiche bis hin zu heutigen Regimen wie Nordkorea - weniger Freiheit aufweisen als entwickelte Gesellschaften.
Wirtschaftswachstum „um jeden Preis“ gibt es aber nicht. Mit einer Volkswirtschaft verhält es sich wie mit einem privaten Haushalt: Geld muss gespart werden und erst dann kann es verkonsumiert werden. Wenn Sie von dieser Grundregel abweichen erleben Sie Einbrüche, wie wir sie im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 erlebt haben. Viele Menschen - bis hin zu ganzen Staaten - verschulden sich und geben Geld aus, was sie nicht haben. Dieses Geld muss aber früher oder später wieder zurückgezahlt werden. Passiert das nicht, kommt es zum wirtschaftlichen Absturz. An dieser Stelle geben ich Ihnen recht, was die Abwrackprämie angeht: Der Staat hat den Menschen Geld geschenkt, damit neue Autos gekauft werden. Da sich wegen 2500 EUR aber niemand gleich ein neues Auto kauft, haben die Prämie nur diejenigen in Anspruch genommen, die ohnehin genügend Geld für einen Neuwagenkauf gehabt hätten - die Neuwagenkäufe wurden nur ein Jahr vorgezogen. Als Ergebnis werden wir sehen, dass in den nächsten Jahr Neuwagenkäufe zurückgehen, weil die Käufe vorgezogen worden sind. Also das, was wir durch die Abwrackprämie an Wachstum künstlich erzeugt haben, wird sich früher oder später wieder durch Stagnation oder Schrumpfung bei den Neuwagenkäufen äußern. Besonders verheerend ist dabei, dass die Abwrackprämie nicht durch Sparleistungen, sondern durch die Aufnahme von Schulden finanziert worden ist. Daher hat die FDP seinerzeit gegen die Abwrackprämie gestimmt.
Grundsätzlich anders verhält es sich mit den von Ihnen genannten Steuersenkungen. Steuersenkungen ermöglichen es den Menschen, mehr Geld zu sparen (ohne zusätzliche Schulden) und dadurch mehr zu konsumieren - so wurden die Entlastungen im Beherbergungsgewerbe dazu genutzt, Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen zu finanzieren. Davon haben Handwerksbetriebe vor Ort profitiert. Andere Hotelbertreiber haben dadurch die Möglichkeit bekommen, neues Personal einzustellen (in vielen Fällen wurden junge Auszubildende und vormals Langzeitarbeitslose eingestellt). Der von Ihnen angeführte Vergleich mit der Gastronomie (im Sinne einer „Wettbewerbsverzerrung“) macht an dieser Stelle keinen Sinn. Es würde niemand auf die Idee kommen, auf einen Kneipenbesuch zu verzichten, um stattdessen eine Übernachtung in einem Hotel zu buchen. Man kann sich durchaus darüber streiten, ob es im Zuge einer Vereinfachung des Umsatzsteuersystems hilfreich ist, weiterhin unterschiedliche Steuersätze beizubehalten - das hat aber mit Ihrer Wachstumsfrage nichts zu tun. Wie Sie aber wahrscheinlich schon den Medienberichten entnommen haben, werden wir in Kürze das gesamte Umsatzsteuersystem einer grundlegenden Prüfung unterziehen.
Abschließend bleibt aber in Zusammenhang mit Ihrer Wachstumsfrage festzuhalten, dass Wirtschaftswachstum eine freiwillige Veranstaltung ist. Selbstverständlich hat jeder Mensch das Recht, Wachstum abzulehnen und dementsprechend zu leben.
mit freundlichen Grüßen
Sebastian Blumenthal