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Frage von Zinon H. •

Frage an Sascha Raabe von Zinon H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Herr Dr. Raabe,

ich wende mich hier an den Abgeordneten des Bundestages meiner Nähe, welcher sie sind. Und nun zu meiner Frage:

Im 2+4 Vertrag, welcher ein bedeutender Teil der Wiedervereinigung Deutschlands war, wurde festgelegt, dass alle Gebiete östlich der Flüsse Oder und Neiße zum polnischen Staatsgebiet gehören und das wiedervereinigte Deutschland keine weiteren Gebietsansprüche mehr stellen wird.
Nun gibt es aber ein kleines Gebiet, welches westlich der Oder-Neiße-Linie liegt und zu Polen gehört:
Müsste dieses Gebiet, auch nach den Bestimmungen des 2+4 Vertrages nicht eigentlich zu Deutschland gehören? Wieso beschäftigt sich der Bundestag mit diesem Thema nicht und hat dies auch in der Vergangenheit nicht getan?

Beweis:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Oder-Neisse_line_between_Germany_and_Poland.jpg&filetimestamp=20060615151914

Bevor sie antworten, möchte ich noch folgendes hinzufügen:
Ich habe mit einem Klassenkamerad über dieses Thema gesprochen; welcher mich auch auf diese Thematik aufmerksam gemacht hat.
Er ist auch der Meinung, dass eine Staatsverschiebung zu Gunsten Deutschlands und zu Lasten Polens auf jeden Fall mit allen Rechtsmitteln durchgesetzt werden muss, nicht aber militärisch.
Ich bin hier grundlegend anderer Meinung. Wenn dieses Gebiet im Prinzip zu Deutschland gehören müsste, sollte dies zwar auch so sein meiner Meinung nach, aber nur, wenn sich der polnische Staat und die dortige Bevölkerung sich nicht dagegen stellen. Aber selbst wenn es dort eine Volksabstimmung für den Anschluss an Deutschland geben würde, so wird sich der polnische Staat mit Sicherheit gegen eine Verschiebung seiner Grenzen stellen, notfalls militärisch. Dadurch würde aber der Friede in ganz Europa gefährdet, was unter gar keinen Umständen jemals wieder passieren darf. Im Falle einer drohenden militärischen Eskalation sollte dann im Interesse der Menschen die Situation lieber so bleiben wie sie jetzt ist. Dies ist meine Meinung.

Ich bitte um Antwort

Danke

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Heck,

Ihre Frage ist so interessant wie auch schwierig zu beantworten.

Ich werde versuchen, Ihnen anhand eines historischen Abrisses Ihre Frage zu klären.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es in Stettin mehrmals zu einem Wechsel zwischen deutscher und polnischer Verwaltung gekommen, bevor die sowjetische Militärverwaltung am 5. Juli 1945 für die gesamte Stadt endgültig eine polnische Verwaltung einsetzte. Auf der Konferenz von Potsdam einigten sich die Siegermächte darauf, dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens auf einer Friedenskonferenz getroffen werden sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt sollten "die früher deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße und die westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teiles Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepublik [...] gestellt wird, und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen" (Potsdamer Protokoll vom 2.August 1945). Über den genauen Grenzverlauf im Raum Stettin und dem dieser Stadt vorgelagerten Haff wurde keine Regelung getroffen; über die Zuweisung Stettins zum polnischen Verwaltungsgebiet schien allerdings Einigkeit zu herrschen. Eine räumliche Präzisierung der Abgrenzung zwischen der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland und dem polnischen Verwaltungsgebiet erfolgte sodann durch eine Vereinbarung zwischen der Sowjetunion und Polen vom 21.September 1945. Diese verschob die Grenzlinie, die nun den gesamten sog. "Stettinger Zipfel" umfasste, weit nach Westen.

Dieser Grenzverlauf wurde durch den Görlitzer Vertrag vom 6. Juli 1950 und das dazugehörige "Protokoll über die Ausführung der Markierung der Staatsgrenzen zwischen Deutschland und Polen" vom 27. Januar 1951 bestätigt und konkretisiert und damit zwischen den Vertragsparteien Polen und der DDR völkerrechtlich verbindlich.

Die Bundesrepublik Deutschland legte die Grundlage für die Anerkennung dieses Grenzverlaufes im Vertrag von Moskau vom 12. September 1970, in dem sie und die Sowjetunion sich verpflichteten, "die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihrem heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten", und erklärten, dass sie gegen niemanden territoriale Ansprüche erheben würden. Darüber hinaus erkannten sie die Unverletzlichkeit der Grenzen aller Staaten in Europa an, einschließlich der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze des polnischen Staates. Im Vertrag von Warschau vom 7. Dezember 1970 stellten die Bundesrepublik und Polen fest, dass die bestehende Grenzlinie entlang der Oder-Neiße die westliche Grenze der Volksrepublik Polen bildet. Ferner bekräftigten sie die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen, verpflichteten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität und erklärten, dass sie gegeneinander keine Gebietsansprüche haben und erheben würden.

Der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 im von Ihnen auch erwähnten "Zwei-Plus-Vier-Vertrag" schließlich stellt fest, dass die Grenzen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland die Außengrenzen des wiedervereinigten Deutschlands sind und dass das wiedervereinigte Deutschland und Polen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlichen verbindlichen Vertrag bestätigen werden. Das im Görlitzer Vertrag und dem dazugehörigen Demarkationsprotokoll vom 27. Januar 1951 konkretisierte Grenzregime zwischen der DDR und Polen wurde damit als deutsch-polnische Grenze übernommen. Auf diese Rechtsakte nimmt auch der deutsch-polnische Vertrag vom 14. November 1990 über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenzen Bezug, der -- ebenso wie der Zwei-plus-Vier-Vertrag -- feststellt, dass das wiedervereinigte Deutschland keine Gebietsansprüche gegen andere Staaten haben und erheben werde.

Dieser kleine Ritt durch die Geschichte verdeutlicht, warum es zu dem jetzigen Grenzverlauf gekommen ist. Damit können Sie Ihrem Klassenkameraden mitteilen, dass es demnach auch keinerlei Rechtsmittel für eine abermalige Grenzverschiebung geben wird. Ich kann Ihnen, lieber Herr Heck, nur beipflichten, dass ein Versuch die Grenzen zu verschieben keinesfalls wünschenswert ist. Gerade in Zeiten, in denen europäische Staaten immer stärker zusammenwachsen, Grenzkontrollen wegfallen, eine einheitliche Währung existiert und gemeinsame politische Gebilde erschaffen wurden, halte ich dieses Denken für antiquiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Sascha Raabe