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Sascha Raabe
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Frage von Michael G. •

Frage an Sascha Raabe von Michael G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Raabe,
vielen Dank für Ihre Antwort vom 27.08.2007.

Wann wurde den zuletzt eine Volksabstimmung in Hessen oder der BRD gemacht ?
Ich konnte nichts finden? Vielleicht können Sie mir dabei helfen, einen Volksentscheid zufinden, wo die Bürger unseres Landes, einmal etwas mitentschieden haben.

Zu der Verfassung in Hessen bzw. der BRD hab ich eine zweite Frage. Wie definieren Sie den Artikel §146 GG aus Ihrer Sicht ?

Viele Grüße

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Sehr geehrter Herr Ganser,

die letzte Volksabstimmung in Hessen fand am 22. September 2002 statt. Damals wurde über die Verlängerung der Landtagswahlperiode, die Aufnahme des Sports in die Verfassung, und die Aufnahme des Konnexitätsprinzips (darunter versteht man den Grundsatz, dass Aufgabenwahrnehmung und Ausgabenverantwortung bei derselben staatlichen Ebene also Bund oder Ländern, liegen) abgestimmt.

Eine genaue Übersicht über Volksabstimmungen, Volksbegehren und -entscheide sowie Bürgerbegehren und -entscheide erhalten Sie auf der folgenden Seite des Landeswahlleiter für Hessen: http://www.wahlen.hessen.de/irj/Wahlen_Internet?uid=07470c37-353e-9e01-33e2-dc765bee5c94 .

Was den Bestand des Artikels 146 im Grundgesetz anbelangt, so muss ich hier ein einen kleinen historischen Abriss vornehmen, um Ihnen eine fundierte Antwort zu liefern.

Bis zum Inkrafttreten des Einigungsvertrages sah das Grundgesetz (GG) für die Überwindung der Teilung Deutschlands zwei Möglichkeit vor: a) den Beitritt nach Art. 23 S.2 GG (alte Fassung - Wortlaut lautet wie folgt: "Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg- Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.") oder b) die Verfassungsneuschöpfung mit Volksabstimmung nach eben Art. 146. GG (alte Fassung -- Wortlaut lautet wie folgt: Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.")

Die Deutsche Wiedervereinigung vollzog sich letztlich im Wege des Beitritts der DDR -- somit also auf Grundlage des Art. 23. S.2 a.F. GG.

Natürlich war im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung -- neben der politischen Diskussion -- in der verfassungsrechtlichen Diskussion das Verhältnis von Art. 23.S.2 a.F. GG und Art. 146 a.F. GG umstritten.

Viele Experten vertraten die Ansicht, dass die Bestimmungen nur alternativ zur Anwendung hätten kommen können. Art. 146 a.F. GG würde dokumentieren, mit dem Grundgesetz lediglich eine Übergangsverfassung geschaffen zu haben, und ziele darauf, das Grundgesetz nach der Wiedervereinigung durch eine gesamtdeutsche Verfassung abzulösen. Da sich die Einheit über den Beitritt der früheren DDR zur Bundesrepublik erfüllt habe, sei das GG im Beitrittsgebiet in Kraft zu setzen gewesen mit der Folge, dass dieses zur abschließenden gesamtdeutschen Verfassung geworden sei. Damit sei der andere Weg über Art. 146 a.F. GG obsolet. Die deutsche Vereinigung bedinge keine neue gesamtdeutsche Verfassung.

Andere Experten wiederum lehnten die These vom gegenseitigen Ausschluss ab. Ihrer Ansicht nach besitzt Art. 146 GG a.F. einen doppelten Regelungsgehalt: erstens den Weg zur Herstellung der deutschen Einheit qua Verfassungsgebung (Wiedervereinigungsfrage) und zweitens eine mögliche Ablösung des Grundgesetzes nach der auf anderem Wege erfolgten Wiedervereinigung durch eine gesamtdeutsche Verfassung (Verfassungsfrage). Die Auffassung, die dieser Argumentation folgend erst den Beitritt und dann die Verfassungsschöpfung nach Art. 146 a.F. GG vorschlug, konnte sich leider nicht durchsetzen.

Nach der oben dargestellten ersten Interpretationsweise, wäre Art. 146 a.F. GG mit der Wiedervereinung funktionslos geworden und hätte demnach folgerichtig gestrichen werden können. Allerdings wurde er gemäß Art. 4 Nr. 6 EV beibehalten und nur geringfügig in die jetzige -- ihnen geläufige -- Fassung modifiziert.

Hintergrund dieser Entscheidung waren politische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen politischen Kräften in Bundestag und Bundesrat. Insbesondere wir als SPD wollten die Möglichkeit offen halten, aus Anlass der Wiedervereinigung eine breit angelegte Verfassungsdebatte zu führen. Diese Debatte hätte mit dem Beschluss einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung enden können. Die damalige Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP favorisierte jedoch den Weg über Art. 23 a.F. GG und die ersatzlose Streichung des als obsolet angesehenen Art. 146 a.F. GG. Letztlich wurde ein politischer Kompromiss geschlossen. Die SPD akzeptierte zähneknirschend das Beitrittsmodell, während die Regierung auf die Streichung des Art. 146 GG verzichtete.

Lieber Herr Ganser, das sind die Hintergründe zur Existenz des Art. 146 GG. Ich persönlich hätte eine Volksabstimmung für richtig empfunden. Leider war dies gegen die Regierung Kohl nicht durchsetzbar. Auch heute noch verhindert die Union weiterhin plebiszitäre Elemente als Beitrag zu mehr direkter Demokratie.

Seit langem wird versucht, die Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene umzusetzen. So brachte die rot-grüne Regierungskoalition schon 2002 einen Gesetzesentwurf zur Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid ein. Dieser fand im Bundestag zwar mit den Stimmen von SPD und Bündnis90/Die Grünen eine Mehrheit, leider aber nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die nötig ist, um eine Änderung des Grundgesetzes zu erwirken. Hier stellte sich die Union quer. So auch in der letzten Wahlperiode. Damals hatte die Unionsseite Gespräche über einen entsprechenden Arbeitsentwurf zur Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene erneut abgelehnt.

Wir werden uns jedoch weiter dafür einsetzen, dass den Bürgerinnen und Bürgern mehr direkte Teilhabe an unserer Demokratie möglich ist. So haben wir es auch im Grundsatzprogramm auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD am 28. Oktober 2007 beschlossen. Hier heißt es unter der Überschrift "Solidarische Bürgergemeinschaft und demokratischer Staat": "Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund. Wo die Verfassung der parlamentarischen Mehrheit Grenzen setzt, gelten diese auch für Bürgerentscheide.

Den meisten Bürgern begegnet der Staat in Form seiner Verwaltung. Daher brauchen wir eine bürgernahe Verwaltung, die den Bürgerinnen und Bürgern dient. Nutzlose Bürokratie bauen wir ab. Wir wollen keinen vormundschaftlichen Staat."

(Quelle: http://www.parteitag.spd.de/servlet/PB/show/1731523/Hamburger%20Programm_final.pdf )

Die Umsetzung dieser Forderung wird leider nur möglich sein, wenn wieder
eine sozialdemokratische Regierung ohne Beteiligung der CDU in Berlin
das Sagen hat. Wollen wir hoffen, dass dies schon nach der
Bundestagswahl im September der Fall sein wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Sascha Raabe