Frage an Sascha Raabe von Oliver F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Raabe,
mit Bestürzung habe ich heute zur Kenntnis genommen, das der Deutsche
Bundestag, auch mit Ihrer Stimme, heute beschlossen hat, ein
wichtiges Stück der Privatsphäre seiner Bürger aufzuheben und damit
auch mich unter Generalverdacht zu stellen.
Die von anderer Seite vorgebrachten Ausflüchte, dass eine Richtlinie
der EU dieses Gesetz erzwingt, kann ich nicht akzeptieren. Entweder
Sie halten das Gesetz für richtig, oder Sie müssten Ihr gesamtes
politisches Gewicht gegen dieses Gesetz und u.U. auch gegen die
EU-Richtlinie in die Waagschale werfen, dies ist Ihr
verfassungsrechtlicher Auftrag.
Offensichtlich halten Sie die gesamte deutsche Bevölkerung für so
gefährlich, dass Ihnen eine Überwachung aller
Kommunikationsverbindungen angemessen erscheint.
Ich würde gerne Ihr Votum verstehen, deshalb beantworten Sie mir
bitte folgende Fragen:
- warum sind Sie der Meinung, dass die gesamte Bevölkerung, auch die
Ihres Wahlkreises, präventiv überwacht werden muss?
- wie fühlen Sie sich, wenn Ihre Legitimation als Abgeordnete auf
einem so potentiell gefährlichen Wahlvolk beruht?
- warum sind Sie der Meinung, dass Sie und Ihre Abgeordneten-Kollegen
weniger gefährlich sind als der Rest der Bevölkerung und deshalb von
der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen werden können?
- wie fühlen Sie sich, nachdem Sie mit diesem Votum eine
Infrastruktur schaffen lassen, die von einer zukünftigen, eventuell
noch "ängstlicheren" Regierung SOFORT zur lückenlosen Überwachung des
deutschen Volkes genutzt werden kann?
Ich hoffe, Sie bringen genug Mut auf, mir öffentlich zu antworten und
mir eventuell auch in Ihrem Wahlkreis noch in die Augen zu sehen.
O. Fischer
Sehr geehrter Herr Fischer,
Ihren Appell gegen eine Vorratsdatenspeicherung habe ich mit Interesse gelesen und möchte mich für Ihr Schreiben bedanken.
In der Tat, ist es eine EU-Richtlinie (2006/24/EG), der das Europaparlament zugestimmt hat, die die Mitgliedstaaten zu einer Speicherung von Telefon- und Internetdaten zur Terror- und Verbrechensbekämpfung für eine Dauer von mindestens sechs und höchstens vierundzwanzig Monaten verpflichtet. Als Mitglied der EU kann sich Deutschland nicht der Umsetzung der Richtlinie entziehen. Bei den Beratungen zur Umsetzung war es jedoch stets das Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion, eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse einerseits und dem Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger andererseits vorzunehmen. Dabei ist mir bewusst, dass die freie und unbeobachtete Telekommunikation ein wesentliches Element unserer Wissens- und Informationsgesellschaft ist. Ebenso aber ist dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf staatlichen Schutz vor Terror und Gewalt Rechnung zu tragen.
Die SPD-Fraktion hat bei der Novellierung des Gesetzes einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen.
Andererseits, und das bemängeln Sie in u.a. in Ihrem Schreiben, greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen. Des Weiteren ist eine Telekommunikationsüberwachung unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.
Wenngleich auch nach der Umsetzung der Richtlinie nur die Verbindungsdaten, also Telefonnummern von Handys und Festnetzgeräten oder aber die Verbindungsdaten von Emails, nicht aber die Inhalte der Gespräche oder Emails gespeichert werden, sehe ich die Ausweitung der Datenspeicherung mit einer gewissen Skepsis.
Die Bedenken, dass es bei einer Ausdehnung der bereits bestehenden Möglichkeiten zu einer Aushöhlung der Privatsphäre kommen kann, halte ich persönlich für nicht unberechtigt.
Zu Gute halten will ich dem Gesetz, dass es über die Mindestdauer von sechs Monaten Speicherungszeit nicht hinausgeht. Die Mindestfrist ist ein von der SPD-Bundestagsfraktion wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene. Ursprünglich war dort an längere Fristen gedacht worden.
Was den dritten Punkt Ihres Schreibens anbelangt, so kann ich Ihnen hierzu Folgendes mitteilen: Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt, dass das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten absolut geschützt wird. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.
Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie
- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.
Ich hoffe, lieber Herr Fischer, dass ich mit diesem Schreiben ihre Befürchtungen ein wenig ausräumen kann und Ihnen verständlich darlegen konnte, wie meine Position zu diesem schwierigen Thema ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Sascha Raabe