Frage an Sascha Raabe von Alexander H. bezüglich Finanzen
Hallo Herr Dr. Raabe,
für mich las sich Ihre im Vorfeld als Antwort auf eine Anfrage per Mail abgegebene Erklärung über Ihr Abstimmungsverhalten in Sachen EFSF wie eine Ablehnung desselben, wenn keine Veränderung der Sachlage eintritt.
Sie haben heute Ihren Parlamentskollegen Frank Schäffler zu der wirtschaftlichen Entwicklung in Griechenland reden gehört. Erklären Sie mir bitte, was Sie dazu bewogen hat, der Ausweitung des Rettungsschirmes zuzustimmen, da ja eine Rückzahlung der bisherigen Kredite unwahrscheinlich ist, sowie eine Finanzierung der Neuen, bei Zug der Kreditgarantie durch Griechenland, den Haushalt der BRD doch immens belasten wird.
Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Solange aber leider
zutiefst enttäuscht
Alexander Hild
Sehr geehrter Herr Hild,
danke für Ihr Schreiben. Der Deutsche Bundestag hat der Erweiterung des Euro-Rettungsfonds EFSF zugestimmt. Mit dem Gesetz wird der deutsche Garantierahmen für den Hilfsfonds von 123 Milliarden Euro auf 211 Milliarden Euro erhöht. Nach langer Überlegung und reiflichem Abwägen habe auch ich dem dazu vorgelegten Gesetzentwurf "zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" zugestimmt.
Diese schwerwiegende Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Auch ich bin, so wie Sie, in großer Sorge um die Stabilität unserer gemeinsamen Währung und um die Zukunft Europas. Aber weil ich der Überzeugung bin, dass der Euro gerettet werden muss und das nur mit der solidarischen Verantwortung Europas zu leisten ist, habe ich dem Stabilisierungsgesetz zugestimmt. Ich will Ihnen etwas ausführlicher darlegen, wie ich zu dieser Entscheidung gekommen bin.
Für mich als Abgeordneten galt bereits bei der Abstimmung über das erste Rettungspaket für Griechenland vor wenigen Monaten die Devise, dass am Ende nicht in erster Linie der deutsche Steuerzahler für die Kosten der Krise aufkommen darf. Denn letztlich ist neben dem Eigenverschulden Griechenlands vor allem der Banken- und Finanzsektor Schuld an der brenzligen Situation. Die weltweite Banken- und Finanzkrise, deren Ausläufer auch Griechenland mit in die Tiefe gerissen hat, zeigt, dass wir den gesamten Finanzsektor komplett neu strukturieren müssen. Die gesamte Finanzwirtschaft gehört wieder unter die staatliche und damit demokratisch legitimierte politische Aufsicht - es darf keine unregulierten Zonen mehr geben. Schattenbanken, Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften gehören meiner Meinung nach weitgehend verboten oder zumindest extrem kontrolliert und überwacht. Der Finanzmarkt ist zu einem Casino verkommen, das mit der Realwirtschaft nicht mehr viel zu tun hat.
Aktienkurse spiegeln längst nicht mehr den realen Wert eines Unternehmens und dessen Gewinnerwartungen wider, und die unzähligen Finanzprodukte sind selbst für die Bankmanager undurchschaubar geworden. Die in den letzten Jahren stark zugenommene hohe Volatilität an den Aktienmärkten kann einfach nicht richtig sein. Deshalb muss das Bankgeschäft wieder auf seinen Dienstleistungskern für die Bürgerinnen und Bürger und für die Realwirtschaft zurückgeführt werden. Dies wird ein langer und steiniger Weg, den die Demokratien dieser Erde aber erfolgreich bestreiten können, denn letztlich ist der Finanzmarkt nicht von Natur aus gegeben, sondern kann und muss politisch reguliert und gestaltet werden.
Da die Banken in den vergangenen Jahren durch hemmungslose Profitgier und unverantwortliches Handeln einen Großteil der Schuld an der jetzigen Krise tragen, müssen sie nun auch maßgeblich zur Finanzierung der Kosten der Krise herangezogen werden. Deshalb ist für mich die Einführung einer Finanztransaktionssteuer absolut zwingend erforderlich. Ich setze mich bereits seit zehn Jahren für eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen ein, auch um mit den Einnahmen die weltweite Überwindung von Armut zu fördern. Es kann nicht sein, dass der Normalbürger beim Kauf eines T-Shirts für 10 Euro Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent zahlen muss und der Spekulant, der für 10 Millionen Euro Finanzprodukte kauft, gar nichts. Es hat lange gedauert bis wir Sozialdemokraten die Kanzlerin und den Finanzminister von der Einführung einer solchen Steuer überzeugen konnten. Leider hat der Koalitionspartner FDP bis heute nicht verstanden, wie wichtig die Einführung einer solchen Steuer wäre. Daher stimmt es mich umso zuversichtlicher, dass die Europäische Kommission nun einen ersten Gesetzesentwurf vorgelegt hat, der eine solche Steuer europaweit fordert.
Der Europäischen Union liegt ein besonderer Solidaritätsgedanke zu Grunde, der gerade in Krisenzeiten nicht einfach außer Acht gelassen werden kann. Solidarität bedeutet Verantwortung für Europa, für eine gemeinsame Währung und damit für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union zu übernehmen. Dieser Verantwortung wird Deutschland gerecht, in dem es sich bereit erklärt mit Garantien zu bürgen. Solidarität ist aber keine Einbahnstraße. Daher ist es wichtig und richtig, dass Griechenland durch einschneidende Reformen und einen radikalen Sparkurs als Mitglied der Europäischen Union und der Euro-Zone ebenfalls Verantwortung übernimmt. Jede Hilfe für ein Land muss zwingend daran gekoppelt sein, dass dieses Land dann auch seine Hausaufgaben macht und die Elite des eigenen Landes endlich zur Kasse bittet. Ein Krisenland hat aber auch bei besten Sparbemühungen keine Chance aus der Schuldenfalle herauszukommen, wenn es durch Spekulationen und fragwürdige Ratings nur noch Kredite zu Wucherzinsen von über 20 Prozent bekommt. Der EFSF bietet die Chance, dass Krisenländer, die eine verantwortungsvolle Sparpolitik einschlagen, dann auch Kredite zu fairen Konditionen erhalten können.
Ähnlich wie bei den Garantien, die wir damals für die Rettung des Bankensektors abgegeben haben, besteht die berechtigte Hoffnung, dass am Ende das betreffende Land die Kredite zurückzahlen kann und die Garantien der anderen Euroländer nie in Anspruch genommen werden müssen. Soviel zur Theorie. Natürlich müssen wir uns aber auch fragen, was passiert, falls die Kredite am Ende beispielsweise durch eine Insolvenz des betreffenden Staates nicht zurückbezahlt werden können und am Ende doch die anderen Euroländer einspringen müssen. Wie oben dargelegt, ist ein solches Szenario für mich nur akzeptabel, wenn dann die Banken und der Finanzsektor die Hauptlast der Zeche zahlen und nicht der normale Steuerzahler. Auf Griechenland bezogen bedeutet dies alles, dass ohne einen echten Schuldenschnitt meiner Ansicht nach Griechenland nicht zu retten ist. Das bedeutet, dass die Banken auf mindestens 50 bis 60 Prozent ihrer Forderungen verzichten müssten. Mit dem Rettungsschirm wurde für mich jetzt die Voraussetzung geschaffen, dass ein radikaler Schuldenschnitt möglich ist.
Zudem habe ich auch aus ganz pragmatischen Gründen dem Rettungsschirm zugestimmt. In Europa muss ein ökonomischer Flächenbrand verhindert werden. Deutschland ist nach China die zweitgrößte Exportnation. Über 60 Prozent der Exporte gehen in die europäischen Nachbarstaaten. Auch die mittelständischen Unternehmen im Main-Kinzig-Kreis verkaufen bis zu 60 Prozent ihrer Produkte im europäischen Ausland. Sollten wir die Zahlungsfähigkeit dieser Staaten gefährden, gefährden wir unseren größten Absatzmarkt und damit unsere eigene Wirtschaft. Das kann nicht gewünscht sein und würde - insbesondere finanziell für den Arbeitsmarkt - einen noch größeren Schaden anrichten. Aus diesem Grund haben uns auch die Arbeitgeberverbände (BDA, BDI, DIHK, ZDH) sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) inständig gebeten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
In jedem Fall ist es gut, wenn die Bürgerinngen und Bürger offen über Europa diskutieren. Eine offene Diskussion schadet meiner Ansicht nach nicht dem europäischen Gedanken. Ich bin davon überzeugt, dass eine große Mehrheit der Deutschen auch weiterhin zu Europa und der gemeinsamen Währung steht, wenn sie das Gefühl haben, dass es gerecht und transparent in Brüssel zugeht. Daran müssen wir arbeiten.
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Raabe