Frage an Sascha Raabe von Stephan M. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Dr. Raabe,
Jüngst ist in der Zeitschrift Öko-Test Bio-Senf getestet worden. Überraschenderweise waren bei einigen Produkten, darunter solche von renommierten Markenherstellern, mit gentechnisch veränderten Bestandteilen gefunden - wenn auch nur in sehr geringen Dosen. Weitere Tests der Zeitschrift, z.B. bei Mais-Chips, Nuss-Nougat-Creme und verschiedene Lebensmittel auf Soja-Basis zeigen, dass dies kein Einzelfall ist. Die Zeitschrift warnt: "Ein friedliches Nebeneinander von Gen-Technik und konventioneller Landwirtschaft ist nicht möglich."[1] Kritik an Lobbyismus und Profitgier sowie sehr skeptische Studien werden genug an anderer Stelle formuliert (z.B. http://www.keine-gentechnik.de/ ), darauf möchte ich gar nicht eingehen. Damit Sie aber wissen, woran Sie sind: Ich bin gegenüber einer solchen Technologie skeptisch, da die Genetik ein relativ junges Wissenschaftsgebiet ist und ihre Auswirkungen auf das Leben (gewollt) immens sind.
Sie haben im vergangenen Mai gegen eine verschärfte Behandlung von Genmais, insbesondere von MON810 gestimmt. Dazu habe ich folgende Fragen:
A) Wie bewerten Sie die Risiken und Chancen der Gentechnik? Ich würde mich freuen wenn Sie dabei _auch_ Bezug auf ihr "Steckenpferd" Entwicklungspolitik nähmen?
B) Halten Sie die Toleranzgrenzen für "Zufalls"-Verunreinigungen vertretbar? Insbesondere wenn sich eine zufällige Verunreinigung durch eine günstigere Kostenstruktur bezahlt macht.
C) Achten Sie persönlich beim Kauf darauf unmanipulierte Lebensmittel zu erwerben und haben Sie Bedenken manipulierte Produkte zu konsumieren?
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema Gentechnik, die ich wie folgt beantworte:
A)
Für mich ist und bleibt die Grüne Gentechnik ein risikobehafteter Bereich. Anders als in anderen Forschungsbereichen ist einmal in die Umwelt eingeführtes gentechnisch verändertes Material kaum wieder rückholbar und kann zu irreparablen Gesundheitsschäden führen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bisher erfolgreich für den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gekämpft. So beispielsweise für die Verursacher-Haftung und das öffentlich einsehbare Standortregister, die unter der rot-grünen Regierung beschlossen wurden. Außerdem hat die SPD mit der neuen "Ohne Gentechnik"-Kennzeichnung endlich für die Verbraucher die Möglichkeit geschaffen, sich auch außerhalb des Ökosegments beim Einkauf gegen Produkte von Tieren zu entscheiden, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden -- und damit auch gegen den Anbau von solchen Pflanzen.
Was die Gentechnik in Entwicklungsländern betrifft:
Auch hier steht selbstverständlich das Gesundheitsrisiko der Menschen an erster Stelle. Darüber hinaus sollte vermieden werden, dass Kleinbauern unter anderem durch Patentverträge, in Abhängigkeit weniger potenter Agrounternehmen geraten. Hier sollte äußerste Vorsicht geboten sein, denn es können in ärmeren Ländern - leichter als bei uns in Deutschland - Abhängigkeitsstrukturen mit Saatgutunternehmen entstehen, die Gentechnik verwenden. Eine weitere negative Folgeerscheinung könnte sein, dass regionale Saatgutsorten für immer verdrängt werden.
Zusätzlich zur Gentechnikgefahr in Entwicklungsländern wird derzeit die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern durch den momentan großen Nachfrageboom an Agrartreibstoffen gefährdet. Deswegen ist es gut, dass wir im Wahlprogramm der SPD eindeutig fordern, dass Ernährungssicherung im Zweifel Vorrang vor anderen Nutzungen von Pflanzen haben muss.
B)
Die EU-Kennzeichnungsregelung besagt, dass Lebensmittel und Futtermittel grundsätzlich als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen, wenn sie gentechnisch manipuliert worden sind (sprich GVO enthalten). Auch wenn der Anteil an GVO unter 0,9% liegt, muss gekennzeichnet werden. Nur wenn dieser GVO-Anteil nachweislich zufällig, technisch nicht zu verhindern und geringer als 0,9% ist und es sich zudem um ein in der EU zugelassenes Konstrukt handelt, braucht nicht gekennzeichnet zu werden.
Diese Regelung halte ich für vertretbar, weil nach geltender Rechtslage eine noch schärfere Regelung letztlich all jene treffen würde, die gentechnikfrei wirtschaften und bei denen Spuren von GVO auftauchen, die sie selbst nicht zu verantworten haben und die nicht mehr zum Verursacher zurückzuverfolgen sind.
Toleranzgrenzen oder sog. "Schwellenwerte" -- wie Sie sie erwähnen - gibt es in der EU bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln und Futtermitteln. Für nicht vertretbar halte ich eine Einführung von Schwellenwerten für in der EU /nicht überprüfte und nicht zugelassene GVO /in Futtermitteln. Ebenfalls nicht vertretbar ist eine Einführung von Schwellenwerten bei der Kennzeichnung von Saatgut. Wo Gentechnik drin ist, muss das auch draufstehen, denn die Saatgutreinheit ist die Voraussetzung für eine gentechnikfreie Erzeugung. Allerdings sehe ich Handlungsbedarf beim EU-Recht, damit effektiv verhindert wird, dass sich -- wie auch Sie es problematisieren -- Verunreinigungen sich durch eine günstigere Kostenstruktur bezahlt machen:
- Bei der Bewertung und Zulassung neuer Konstrukte müssen Kosten von Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen stärker berücksichtigt werden.
- Als Konsequenz aus bereits aufgetretenen Verunreinigungsfällen mit nicht zugelassenen GVO müssen die Möglichkeiten - die Verursacher von solchen Verunreinigungen zum Schadenersatz heranzuziehen oder ggf. gerichtlich zu belangen - verbessert werden.
C)
Obwohl ich mich ungern zu privaten Angelegenheiten wie beispielsweise zu meinen alltäglichen Kaufentscheidungen äußere, kann ich Ihnen trotzdem hierzu Folgendes mitteilen: Beim Einkauf von Lebensmitteln lege ich meist Wert auf saisonspezifische Aspekte sowie auf die Herkunft und freue mich, dass Lebensmittel, die gentechnisch manipuliert wurden, auch entsprechend gekennzeichnet werden. Bei importierten Produkten achte ich immer auf das "Fair Trade Siegel".
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Raabe