Wenn Deutschland "vorzeitig klimaneutral" (2045) wird, bleibt die EU-weite Emissionsmenge durch das Emissionshandelssystem unverändert, oder?
Da es sich mir als Bürger nicht ganz erschließt, möchte ich Sie als Berufspolitiker fragen: Wenn Deutschland "vorzeitig klimaneutral" (2045) wird, bleibt die EU-weite Emissionsmenge durch das Emissionshandelssystem unverändert, oder? Es würde sich nur die Verteilung der Emissionsrechte ändern. Sehen sie das auch so? Warum sollte Deutschland dann schneller vorangehen, wenn die Gesamtbilanz gleich bleibt? Vielen Dank auch für die bisherige Beantwortung von über 30 Fragen.

Sehr geehrter Herr F.,
vielen Dank. Ihre These hatten ja auch Mitbewerber im Wahlkampf vertreten.
Ich möchte vorneweg der Grundthese widersprechen, die Ihrer Frage und den Aussagen einiger anderer Parteien zu Grund liegt:
Aufwendungen für Klimaneutralität „kosten“ uns nichts, sie sind Investitionen in eine lebenswerte Zukunft. Mittel- und langfristig sparen wir damit mehr, als wir kurzfristig an Geld dafür aufwenden müssten. Diese Erkenntnis sollte spätestens seit dem „Stern-Report“ 2006 (https://de.wikipedia.org/wiki/Stern-Report) zum Allgemeinwissen zählen.
Aktuell sind wir von fossilen Energieimporten abhängig. Es fließen dadurch erhebliche Summen ins Ausland ab. Eine Studie ergab hier für 2023 rund 80 Mrd. Euro für fossile und nukleare Energieimporte (https://www.rnd.de/politik/deutschland-zahlt-hohe-milliardenbetraege-fuer-fossile-energie-im-ausland-WGBWAP5UKNG7VHQFLWTBOUCSY4.html).
Mit in Deutschland erzeugten erneuerbaren Energien und immer mehr auf Strom basierenden Systemen für Gebäudeenergie und Mobilität kann ein erheblicher Teil davon im Inland verbleiben und hier für Wohlfahrt sorgen, das belegt die Importquote der einzelnen Energieträger (https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/primaerenergiegewinnung-importe). So steigern wir auch unsere Unabhängigkeit und Resilienz. Nach dem Wegbrechen der Gasimporte aus Russland in der Folge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine war für uns alle schmerzlich spürbar, wie problematisch hier Abhängigkeiten sich auswirken können.
Hinzu kommen die vermiedenen Kosten für Sachschäden und den Verlust an Menschenleben durch Naturkatastrophen, die nur mit einer wirksamen Begrenzung der CO2- und anderer Klimagasemissionen zu erreichen sein werden.
Bezüglich der Zielmarke 2045/2050:
Vor dem obigen Hintergrund wäre ein noch schnellerer Umstieg insgesamt sogar kosteneffizienter. Allerdings stehen die dafür nötigen Mittel zur Finanzierung der Investitionen nicht im vollen Umfang sofort zur Verfügung, weder beim Staat noch bei privaten. Außerdem dürften auch kaum die benötigten Fachkräfte zur Verfügung stehen, um die mannigfaltigen nötigen Maßnahmen baulich in kurzer Frist umzusetzen. Daher braucht es einen Pfad dorthin. Ein Grund ist auch die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Ausgestaltung. Zum anderen macht eine Zielmarke 2045 auch pragmatisch Sinn. Einerseits, um zeitlichen Puffer zu haben, wenn Prozesse nicht wie erhofft umsetzbar sind, andererseits, weil das Ziel 2050 für die Gesamt-EU nur dann erreichbar ist, wenn einzelne, besser aufgestellte Staaten etwas vorangehen, um jenen mit größeren Herausforderungen etwas mehr Zeit zu geben. Auch monetär kann ein früherer Ausstieg für Deutschland lohnend sein. Hierzulande nicht benötigte Zertifikate können verkauft werden, um anderswo zum Einsatz zu kommen. In diesem Fall wäre die Gesamtemission der EU weiter im geplanten Pfad bis 2050. Denkbar und zu erwarten wäre aber auch, dass nicht benötigte Zertifikate auch gelöscht werden, also nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann würde die Gesamtemission sogar schneller sinken als angestrebt.
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Müller