Frage an Sabine Stüber von Anna S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Stüber ,
die Hebammenversorgung soll demnächst neu geregelt werden, ein Gesetzentwurf liegt vor (BT-Drs. 17/9369). Aus Sicht der Eltern und Hebammen aber lässt dieser Entwurf viele Fragen offen.
Was sagen Sie dazu, dass
• anstatt von präventiven Hebammenaufgaben zur Primärversorgung junger
Frauen, für Schwangere, Gebärende und junge Mütter im Gesetz zu
sprechen, wie vor 100 Jahren von „Feststellung der Schwangerschaft“
und „Übertragungsrisiko von Karies“ die Rede ist?
• nicht alle Kinder bei der Geburt Anspruch auf Hebammenleistungen
erhalten sollen. Muss die außerklinische Versorgung von Babys während und
nach der Geburt weiterhin unentgeltlich geleistet werden?
• weiterhin Informationen für Eltern dem Zufall überlassen werden z.
B. über Vor- und Nachteile von Geburtsstellungen, über Geburtsorte,
gesundheitlichen Schutz vor Stress, zur Vermeidung von Frühgeburtlichkeit,
zum Schutz vor Drogen aller Art?
• dass wir fordern, dass Hebammen Haushaltshilfe vor und nach der
Geburt, Hilfsmittel (z. B. Stützgurte) und kurzfristiges
Beschäftigungsverbot zur Vermeidung von Frühgeburtlichkeit verordnen
können sollten?
Was wir brauchen, ist eine weitsichtige Politik, die der Situation von werdenden Eltern angemessen ist und auf den Abbau der strukturellen Benachteiligungen des Hebammenberufes zielt. Der jetzige Entwurf jedoch schreibt die Vormachtstellung der klinischen Geburtsmedizin fort, anstatt die Familiengründungsphase und die damit verbundene Hebammengeburtshilfe adäquat zu gewichten.
Wir hoffen, dass Sie im Interesse der Eltern in Ihrem Wahlkreis nötige Nachbesserungen anregen und mitgestalten und dem Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung die Stimme verweigern. Gerne schicke ich Ihnen bei Interesse eine ausführliche Stellungnahme der bundesweit vernetzten Elterngruppen zu, in der wir die fehlenden, fehlerhaften oder unklaren Punkte des Entwurfs benennen und begründen.
Mit freundlichem Gruß,
Anna Siegenthaler
Guten Tag, Frau Siegenthaler,
Sie greifen ein wichtiges und aktuelles Thema auf. Die Übertragung der Hebammentätigkeit aus der RVO in das SGB V wurde am 29. Juni im Bundestag beschlossen. Es wurde quasi eine 1:1-Übertragung vorgenommen, statt die Möglichkeit zu nutzen, die Hebammentätigkeit weiter zu entwickeln und einige der vielen Probleme der Hebammen und Entbindungspfleger zu lösen. Neben der strukturellen Aufwertung der Hebammentätigkeit sind die Fragen der Honoraranpassung und die der exorbitanten Haftpflichtprämien weiterhin kaum gelöst.
Die Übertragung per “copy and paste“ im Rahmen eines Änderungsantrags zum Pflege-Neuausrichtungsgesetz kritisieret DIE LINKE im Bundestag scharf. Die Bundesregierung hat den Antrag kurz vor Schluss eingebracht und im Schweinsgalopp durch den Bundestag gedrückt. Dass an der kurzfristig anberaumten Anhörung überhaupt Hebammenverbände teilnehmen konnten, geht auf das Engagement der Fraktion DIE LINKE zurück. Nicht nur die Regierungsparteien, auch die zwei anderen Oppositionsparteien sahen keinen Handlungsbedarf. Durch unsere Hartnäckigkeit konnten der Deutsche Hebammenverband (DHV), der Bund freiberuflicher Hebammen (BfHD), die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG), die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi), der Deutsche Fachverband für Hausgeburtshilfe (DFH), GreenBirth e.V. und das Netzwerk der Geburtshäuser e.V. zur Anhörung geladen werden.
Wir teilen Ihre Kritik in allen Punkten. Detailliert formuliert DIE LINKE im Bundestag die Kritik im Austausch mit den Hebammenverbänden wie folgt:
Der Begriff Hebammenhilfe sollte abgeschafft werden, da er einen Hilfsberuf suggeriert. Im verabschiedeten Gesetz wird „Hebammenhilfe“ der ärztlichen Tätigkeit nachgeordnet. Das Wort ist überholt und sollte ersetzt werden durch Hebammentätigkeit o.ä., da es sich um einen eigenständigen Beruf handelt. Hebammen sind nicht weisungsgebunden. Hilfe klingt hier nach „Handlangerin“. Besser wäre z.B. „Begleitung und Versorgung durch Hebammen“. Eine sprachliche Überarbeitung/Neuformulierung wäre wünschenswert.
Die Hebamme versorgt das Kind, nachdem sie es empfangen hat, legt es der Mutter auf Bauch oder Brust, beobachtet seine einsetzende Lungenatmung, sie reinigt es und nabelt ab, badet und versorgt es. Dafür bekommt die Hebamme bisher keinen Cent. Ein Kind hat nur Anspruch auf Hebammenhilfe - so das neue Gesetz - wenn die Mutter verstorben ist oder aus sonstigen Gründen ausfällt. Hier wäre zu fordern, dass alle Kinder eine Leistung von Hebammen bei der Geburt bekommen und dies darum auch in einem Leistungskatalog erwähnt werden muss.
Durch die Änderung bei den Anspruchsberechtigten wurde die Situation in der Geburtshilfe verschlimmbessert. Dadurch, dass der Anspruch im Falle einer Adoption auf das Kind übergeht, verliert die leibliche Mutter den Anspruch, die aber auch Hebammenhilfe benötigt.
Die Rufbereitschaft der Hebamme wurde nicht verankert und wird dann auch in Zukunft kaum abrechnungsfähig sein. Bei Krankenhäusern fließt die Rufbereitschaft in die Tagessätze mit ein. Eine einzige Nacht, die eine Schwangere nicht im Krankenhaus verbringt, weil die Hebamme zur Schwangeren nach Hause kommt, senkt die Ausgaben für die Klinik um rund 250 €. (Rufbereitschaft für die Hebamme liegt zwischen 250 und 500 €.) Diese Leistung ist mit enormer Verantwortung verbunden und muss genannt und gefordert werden, damit diese Kosten nicht nur bei den Eltern übernommen werden, die in der Klinik entbinden. Denen, die kostensenkend außerklinisch gebären, werden die Kosten aufgebürdet. Das ist ungerecht und nicht sachgerecht.
Weiterhin ist eine Verordnung von Haushaltshilfe durch die Hebammen nicht vorgesehen. Es ist aber wichtig, dass Hebammen z.B. eine Haushaltshilfe verordnen können, wenn sie zur Nachsorge in die Häuser kommen und unmittelbar erleben und beurteilen können, ob und welche Hilfe erforderlich ist. Obwohl Hebammen gefordert und verpflichtet sind, ärztliche Hilfe anzufordern, führen sie einen eigenständigen Beruf aus. Dazu gehört die Anforderung von häuslicher Pflege im Wochenbett.
Die ganz normale Versorgung eines Kindes wird der Hebamme im Gegensatz zu den Kliniken nicht vergolten. Das ist nicht hinnehmbar. Oft geht nämlich aus genau diesem Grund eine zweite Hebamme mit zur Geburt, wofür diese ein Taschengeld bezieht bei vollem Haftpflichtbetrag.
Aus Elternsicht wäre die 1:1-Hebammengeburtshilfe zu fordern, egal an welchem Ort eine Entbindung stattfindet, um die psychosoziale Versorgung von Gebärenden, insbesondere in Kliniken, zu verbessern. In den Kliniken ist eine Reform der Krankenhausgeburtspraxis zu fordern, entsprechend der Pilotstudie des GKV-Spitzenverbandes „Vergleich klinischer Geburten im Bundesland Hessen mit außerklinischen Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen bundesweit“.
Das Wort Wochenbett steht nicht mehr im Gesetz. Es mag nicht mehr modern klingen, beinhaltet aber die erforderliche Schonung für die Mutter. Was sagen Elterngruppen dazu, wenn das so einfach entfällt?
Der Anspruch auf Hebammenleistungen bei Abbruch der Schwangerschaft oder bei Fehlgeburten fehlt.
Die EU-Richtlinie zu Geburtshilfe wird nicht umgesetzt , d.h. es erfolgt keine Definition von Leistungen bei Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft entsprechend der EU-Richtlinie unter Berücksichtigung gesundheitsfördernder und psychosozialer Leistungen. Mit Verweis auf die EU-Richtlinie ist auch die Familienplanung durch Hebammen auszugestalten, die sowohl Empfängnisverhütung als auch Beratung bei Kinderwunsch umfasst.
Das Gesetz muss um Gesundheitsförderung/Prävention und Selbsthilfe ergänzt werden mit Verweis auf Leistungen bei Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft, auch Anspruch des Vaters auf Leistungen (z.B. Geburtsvorbereitung, bei Modellprojekten und Satzungsleistungen) müssen Berücksichtigung finden.
DIE LINKE ist in dieser Legislatur schon einige Male aktiv für die Hebammen geworden. Bereits im Mai 2010 haben wir mit einer kleinen Anfrage auf die schlechte Honorarsituation der Hebammen hingewiesen und die Regierung zur Situation der Hebammen befragt (BT-Drs. 17/1478). Die Bundesregierung zeigte sich mehr als ahnungslos (BT-Drs. 17/1680). Sie wusste weder Genaues über die Honorarsituation noch darüber, ob es flächendeckend genug Hebammen gibt. Im Juni 2010 hat DIE LINKE einen Antrag gestellt, um die Situation für die Hebammen zu verbessern und vor allem auch die Sicherstellung der flächendeckenden Hebammenhilfe in Deutschland zu gewährleisten (BT-Drs. 17/2128).
Die Bundesregierung selbst hat in der öffentlichen Anhörung zur Petition der Hebammen am 28. Juni 2010 erklärt, dass sie keinen Handlungsbedarf sieht, zur Verbesserung der Honorarsituation der Hebammen beizutragen. Die Honorare seien das Resultat von Verhandlungen zwischen den Kassen und den Hebammenverbänden und daran nichts auszusetzen. DIE LINKE hat darauf hingewiesen, dass die Hebammenverbände in den Verhandlungen mit den Kassen in einer zu schwachen Verhandlungsposition sind und ein Gipfeltreffen aller Zuständigen inkl. der Bundesregierung gefordert, um die Honorarforderungen der Hebammen angemessen zu unterstützen. Am 5. Juli 2010 gab es eine Einigung über die Vergütungen der Hebammen mit den Krankenkassen, die aber wie erwartet die Situation der Hebammen nicht angemessen verbessert hat. Die Bundesregierung lässt die Hebammen im wahrsten Sinne des Wortes in der Kälte stehen, redet zwar, aber unternimmt nichts. Am 6. Oktober 2010 hat DIE LINKE eine weitere kleine Anfrage (BT-Drs. 17/3255) gestellt, damit sich die Bundesregierung erneut mit dem Thema befassen muss. Unser Antrag 17/2128, der auf die Lösung der finanziellen Probleme und eine Sicherstellung des Wahlrechts der Mütter über die Art und den Ort ihrer Geburt zielt, wurde am 1. Dezember 2010 im Ausschuss für Gesundheit zum Abschluss gebracht und dort sowohl von der Regierung, als auch der SPD bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Kurzfristig fordern wir weiterhin, dass die Bundesregierung ihren Einfluss geltend macht, die Honorarsituation der Hebammen zu verbessern.
Wir fordern weiterhin, dass endlich der Bedarf an Hebammenleistung flächendeckend festgestellt und gesichert wird. Dazu muss auch das Geld bereit stehen, den Bedarf zu sichern. Unser Konzept einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung bietet dafür die finanzielle Grundlage. Eine wissenschaftliche Studie belegt, dass trotz hochwertiger medizinischer Versorgung der Beitragssatz durch Ausweitung der Beitragspflicht auf alle Einkommen auch langfristig um gut ein Drittel gesenkt werden könnte (BT-Drs. 17/7197).
Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.linksfraktion.de/themen/hebammen/
http://www.linksfraktion.de/themen/buergerinnen-buergerversicherung-solidarische/
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine und die Positionen der Fraktion DIE LINKE deutlich machen.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Stüber