Sabine Scherbaum
DIE FRAUEN
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Frage von Ann-Kristin V. •

Frage an Sabine Scherbaum von Ann-Kristin V. bezüglich Verkehr

Sehr geehrte Frau Scherbaum,
auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung werden Ihrer Partei verschiedene Fragen zu ihrem Parteiprogramm gestellt. Unter anderem forden Sie beim Thema "Umwelt":

"Massive Investitionen in öffentlichen Verkehr; Transporte von der Straße auf die Schiene; kostenloser ÖPNV."

Ich finde diese Idee ausgesprochen interressant, auch weil sie nicht von vielen anderen Parteien gefordert wird.
Dennoch würde mich interessieren:

Wie wollen Sie einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr oder Investitionen in diesen finanzieren?

Mit freundlichen Grüßen,

Ann-Kristin Vester

Antwort von
DIE FRAUEN

Sehr geehrte Frau Vester,

Massive Investitionen in öffentliche Mobilität sind unter verschiedenen Gesichtspunkten eine zwingend notwendige Aufgabe der Politik:

1. Die Bahn ist unentbehrlicher Teil einer klimaschonenden Mobilität. Sie produziert durchschnittlich nur ca. ein Drittel der Klimagase des Autoverkehrs. Daher muss der Vermeidung von motorisiertem Individualverkehr gerade unter ökologischen Gesichtspunkten hohe Priorität eingeräumt werden. Die Teilprivatisierung der Bahn muss rückgängig gemacht werden; statt dessen muss sie zu einer bürgerInnenfreundlichen, flächendeckenden sowie preiswerten Bahn ausgebaut werden.

2. Die steuerliche Benachteiligung der Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern muss endlich abgeschafft werden. Im Gegensatz zu den von Kraftfahrzeugen und Bahn verwendeten Kraftstoffen ist Flugbenzin von der Energiesteuer befreit. Bisher haben die deutschen RegierungsvertreterInnen in Brüssel stets zur Verhinderung einer nachhaltigen europäischen Verkehrspolitik beigetragen. Dabei könnte die Einführung einer europaweiten Kerosinsteuer für Flugbenzin allein in Deutschland 6,9Mrd € einbringen. Hier kann von einer Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der umweltfreundlichen Verkehrsträger gesprochen werden.

3. Nahverkehrsmobilität ist eine Voraussetzung für die Teilnahme von Menschen am gesellschaftlichen Leben. Für viele Bürgerinnen und Bürger (z.B. Hartz IV - äEmpfängerInnen) ist dies heute aus finanziellen Gründen nicht gewährleistet. Frauen sind davon besonders betroffen. Sie haben geringere Einkommen, leben häufiger gemeinsam mit ihren Kindern mit einem Einkommen unter dem Existenzminimum und sind seltener im Besitz eines Autos als Männer.

4. Die Bereitstellung von öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und darf als solche nicht dem Profitgedanken unterworfen werden, sondern muss sich an den Grundbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientieren. Eine autofixierte Siedlungs- und Stadtentwicklungspolitik hat dazu geführt, dass die Stätten des Wohnens, Versorgens, Arbeitens und Erholens voneinander isoliert und schlechter erreichbar geworden sind. Ein kostenloser ÖPNV kann einen finanziellen Anreiz darstellen, um die Nutzung des Autos im städtischen Bereich zurückzudrängen und eine Stadtentwicklung voranzutreiben, in der die Menschen als FussgängerInnen und RadfahrerInnen im Mittelpunkt stehen.

5. Es ist bekannt, dass Frauen eines stärker umweltbewusstes Mobilitätsverhalten zeigen als Männer: sie benutzen häufiger das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel und kaufen kleinere und sparsamere Autos. Ökologischen Kriterien spielen für sie eine größere Rolle als Prestige und PS-Zahl. Frauen werden von den aktuellen Konjunkturprogrammen verkehrspolitisch definitiv benachteiligt.

6. Die aktuellen verkehrspolitischen Konjunkturinvestitionen stammen aus der verkehrspolitischen Steinzeit, werden verlogen als "Umweltprämie" bezeichnet und richten sich in erster Linie an die - vorrangig männlichen - Bedürfnisse nach individueller motorisierter Mobilität. Der Höhepunkt der ökologischen Ignoranz der Bundesregierung ist das ausdrückliche Verbot, die kommunalen Investitionsprogramme in Bus und Bahnen zu investieren. Möglicherweise würde der Europäische Gerichtshof in der staatlichen Abwrackprämie eine "unzulässige staatliche Beihilfe eines einzelnen Bewerbers im Mobilitätsmarkt" feststellen.

7. Zu Ihrer Frage nach der Finanzierung: Gerade werden wieder 3 Mrd.€ Steuergelder investiert, um "Standortpolitik" für Unternehmen zu betreiben. Abwrackprämien und Bankenrettungen haben jedoch auch eine positive Seite: Spätestens jetzt müssen wir die Fragen nach der Finanzierbarkeit von ökologischen und bürgerInnenfreundlichen Investitionen nicht mehr stellen. Es ist alles nur eine Frage des Lobbyismus und der politischen Prioritäten.

Falls Sie Interesse an weiterführenden Informationen haben, möchte ich Ihnen folgende informative Publikation des Umweltbundesamtes empfehlen: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland.
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3659.pdf

Mit freundlichen Grüßen
Sabine Scherbaum