Frage an Sabine Bangert von Melanie A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Liebe Frau Bangert,
eine Bekannte von mir ist vor ca. einem Jahr mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland gekommen. In Syrien hat sie Zahnmedizin studiert und stand kurz vor ihrem Abschluss.
Besonders aus Syrien, aber auch aus vielen anderen Ländern, kommen zahlreiche junge Menschen, die durch den Krieg am Abschluss ihres Studiums gehindert wurden. Viele möchten ihr Studium in Deutschland weiterführen. Leider sind die Regelungen hier sehr strikt. Zunächst dauert es sehr lange, bis die Asylverfahren abgeschlossen sind, d.h. bis es den Menschen überhaupt erlaubt wird, ein Studium aufzunehmen. Auch danach werden ihnen immer weitere Steine in den Weg gelegt. Es wird ein sehr hohes Sprachniveau im Deutschen erwartet, die Kurse, die von den Behörden gezahlt werden, gehen allerdings nur bis B2. Alle anderen Kurse müssen die jungen Leute selbst bezahlen, was für viele unmöglich ist. Auch werden die im Heimatland anerkannten Studienleistungen nur unzureichend anerkannt.
Was mich jedoch am meisten schockiert, ist, dass die Flüchtlinge, obwohl sie nun dauerhaft in Deutschland leben (zumindest die nächsten Jahre) und keine Möglichkeit haben, in ihren Heimatländern zu studieren, unter die Ausländerquote fallen, die allerdings nur 5% der Studienplätze ausmacht. Es ist für diese Menschen nicht einfach nur ein Wunsch, an einer deutschen Hochschule zu studieren, es ist ihre einzige Chance.
Daher wollte ich mich erkundigen, wie Sie als Mitglied des Ausschusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen diese Situation sehen. Zwei Aufgaben ihres Ausschusses sind der Abbau von Diskriminierungen und die interkulturelle Öffnung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Meiner Meinung nach sind es genau diese beiden Aufgaben, die Sie dazu verpflichten, sich auch mit dem Problem des Hochschulzugangs für Geflüchtete zu beschäftigen. Gibt es bereits Vorschläge, wie man in Berlin mit der Situation umgehen kann? Bzw schon Verbesserungsvorschläge?
Freundliche Grüße
Liebe Frau Anteck,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Bitte entschuldigen Sie zunächst meine verspätete Rückmeldung, die vor allem den laufenden Haushaltsberatungen in Berlin geschuldet ist.
Zum Problem des Hochschulzugangs für geflüchtete Menschen hat unsere grüne Fraktion im Abgeordnetenhaus gerade Ende September einen Antrag eingebracht, der den Senat dazu auffordert, alle auf Landesebene vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen, um geflüchteten Personen die Aufnahme oder die Fortführung eines Studiums an Berliner Hochschulen zu ermöglichen. Sie finden diesen hier: http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/DruckSachen/d17-2453.pdf Eine Behandlung im Ausschuss für Arbeit, Integration, berufliche Bildung und Frauen steht noch aus.
Die grundsätzliche Versagung eines Studiums sollte unseres Erachtens umgehend eingestellt werden bzw. bereits ausgesprochene Versagungen unbürokratisch zurückgenommen werden. Berlin ist derzeit das einzige Bundesland, das Asylsuchenden und geduldeten Personen noch derart grundsätzlich den Zugang zu einem Studium versagt. Dabei hat auch der Berliner Senat im August 2015 in seinem Flüchtlingskonzept betont, dass „die Aufnahme eines Studiums zukünftig nicht mehr aufenthaltsrechtlich untersagt werden soll“ - er setzt dieses aber noch nicht um.
Ihre Frage zielt aber vor allem auf die aktuelle Situation der Personen mit abgeschlossenem Asylverfahren ab, die in der Bewerbung um einen Studienplatz unter die so genannte "Ausländerquote" fallen (in der Regel fünf bis acht Prozent), wie sie im Berliner Hochschulzulassungsgesetz §7 bzw. in der Hochschulzulassungsverordnung §6 geregelt ist. An dieser Stelle müsste eine Änderung der Situation ansetzen. Sinnvoller Weise im Bündel mit den vielen weiteren Hürden rund um den Studienantritt für geflüchtet Menschen, die Sie auch ansprechen: Sprachkurse und deren Bezahlung, Bewerbungsberatung, Anerkennung bisheriger Abschlüsse und Seminarscheine bzw. unbürokratische und kostengünstige Alternativen dazu und schlussendlich eine Perspektive auf den Lebensunterhalt während des Studiums. In der Tat hat auch der Berliner Senat verschiedene Programme dazu - im Rahmen seiner Kompetenzen - in die Wege gebracht bzw. weitere und mehr Mittel dafür im kommenden Haushalt veranschlagt. Die Universitäten schreiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten in vielem sehr pragmatisch voran und folgen der Landesrektorenkonferenz mit einem möglichst kulanten Umgang mit BewerberInnen aus Krisengebieten.
Bezüglich der Quote muss beachtet werden, dass anderen Personen die sich aus nicht EU-Ländern um Studienplätze bewerben, grundsätzlich keine Nachteile entstehen. Auch wenn immer wieder zu Recht betont wird, asylberechtige StudienbewerberInnen suchten nicht in vergleichbarer Weise aus freien Stücken einen Studiumsplatz an deutschen Hochschulen, sondern hätten aktuell einfach keine andere Möglichkeit. Aber es wird klar: es geht um zusätzliche Studienplätze und es reicht nicht aus, die gesetzlich festgelegte "Ausländerquote" der Universitäten "intern umzujustieren". Mit einer Änderung der Quote(n) bräuchte es parallel und vor allem eine bessere finanzielle und personelle Unterstützung der Hochschulen bzw eine soweit mögliche Reduzierung von deren Belastung. In Berlin wird für 2016 - noch vor gesetzlichen Änderungen - mit 2500 bis 3000 zusätzlichen StudienbewerberInnen gerechnet. Auch in anderen Bundesländern zeichnet sich ein großer Andrang ab. Dafür muss auf Bundesebene der Hochschulpakt neu justiert werden und den Hochschulen mehr Personal und Beratungsstrukturen bereit gestellt werden, um die neu hinzukommenden StudentInnen an den Hochschulen aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Bangert