Frage an Rüdiger Kurock von Sandra F. bezüglich Bildung und Erziehung
Warum soll ihrer Meinung nach das dreigliedige Schulsystem nicht erhalten bleiben?
Sehr geehrte Frau Fritsch,
wenn ich Fragen gestellt bekomme, versuche ich mir immer vorzustellen, warum mir der Fragesteller gerade diese Frage stellen mag.
Ich malte mir aus (entschuldigen Sie, wenn ich falsch liege; ich tippe darauf, weil wir in solchem Kreis wiederholt in solche Diskussionen verwickelt wurden), Sie sind eine Gymnasiastin, die Angst hat, dass das Niveau Ihrer Schulausbildung weiter sinkt, wenn nun auch noch die schwachen und die störenden Schüler mitgeschleppt werden müssen. Das ist eine berechtigte Sorge, wenn Sie den Rest der Gesellschaft, einschließlich den sonstigen Bedingungen im Schulsystem als gegeben akzeptieren. Die Ausstattung der Schulen und die Überlastung der Lehrer zum Beispiel. Das tun wir aber nicht.
Lassen Sie mich sehr persönlich antworten: Ich habe noch ein ganz anderes Schulsystem erlebt. Wahrscheinlich können Sie sich gar nicht vorstellen, welch erhebendes Gefühl es ist, wenn man jemand anderem etwas, was man selbst schon besser verstanden hat, erklärt und 1. der andere versteht es nun auch und 2. man versteht es selbst noch besser, weil man sich hat Mühe geben müssen beim Erklären. Das nennt man soziales Lernen und das Ergebnis war, dass nur zwei Schüler unserer 10 Klasse danach nicht noch eine höhere Qualifizierung (ab Fachschule) erreicht haben.
Es erschreckt mich, wenn Schüler, die aus den verschiedensten Gründen auf einer Hauptschule gelandet sind, langsam begreifen (müssen), dass sie die Gesellschaft schon abgeschrieben hat, bevor sie richtig anfangen konnten. Ist es so einem zu verübeln, wenn er "durchdreht"? Wäre nicht eine durchgehende persönliche Spezialförderung der besonders Guten wie der besonders Schwachen (auf ihrem Gebiet) neben dem gemeinschaftlichen Lernen für alle besser? Wie sollen Sie sonst lernen, welch Glück Sie vielleicht nur gehabt haben, dass sich Ihre geistigen Stärken frühzeitig genug gezeigt hatten. Sie sind doch einer der Menschen, die noch eine bessere Welt schaffen sollen. Und können.
Ein dreigliedriges Schulsystem hat etwas vom Feudalismus: Der eine ist eben als Adliger und damit zum Herrschen geboren, der andere ist und bleibt der Kuli. Aber auch große Geister sind nicht glatt durch die Schule gezogen. Hätte Einstein nur etwas weniger sozial sichere Eltern gehabt, wäre er vielleicht als besonders einfallsreicher Bankräuber oder gar nicht in die Geschichte eingegangen. Denn dass die Umgangsformen im Elternhaus den Kindern ganz unterschiedliche (ihren wahren Fähigkeiten nicht entsprechende) Ausgangpositionen für den Schulalltag schaffen, das werden Sie doch nicht bestreiten.
Gemeinsames Lernen ist nur ein kleiner Baustein auf dem Weg zu menschlichem Miteinander. Und ich habe große Angst, dass Sie in Ihrem Leben nie diese Erfahrung machen können und immer nur erleben, dass der härtere Ellenbogen gewinnt. Denken Sie einfach an den Inhalt dessen, was die Schule vermitteln sollte: Sollen die Schüler die beste Formel für den Flug einer ballistischen Rakete bestimmen können oder "ganz nebenbei" akzeptieren, dass der andere zwar anders, aber deshalb nicht schlechter ist und von dem eigenen besseren Leben ausgeschlossen werden sollte.
Wohl gemerkt: eine Schule für alle funktioniert natürlich nur, wenn z. B. die Klassen nicht zu groß und ausgewogen in ihrer Zusammensetzung sind. Also mit mehr Lehrern und Mitteln. Aber dafür sollte doch auch außerhalb von Wahlreden noch Geld da sein, oder?
Aber fragen Sie nur weiter! Es wäre mir sehr wichtig, wenn Sie dieses Problem aus mehr als einer Seite sehen lernten...
Ihr Rüdiger Kurock