Frage an Rüdiger Kurock von Hans Alois H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Werter Herr Kurock,
unter Berücksichtigung des (trotz negativer Erfahrungen in Deutschland, wie in Europa) ´gespaltenen´ Antritts linker Parteien zur Abgeordetenwahl in Berlin erlaube ich mir folgende Fragen
1. Was sind die Schwerpunkte, auf die sich die WASG, sollte sie ins Abgeordnetenhaus einziehen, im Unterschied zu anderen linken Parteien, in der praktischen Politik konzentrieren will?
2. Wie, nach welchem modus operandi, sollen diese Ziele von einer in jedem Fall kleinen Gruppe von Abgeordneten aus der Oposition heraus wirksam verfolgt werden?
Sehr geehrter Herr Hackensellner,
Sie stellen Ihren beiden Fragen eine Behauptung voran, die mich zwingt, auch einige Vorbemerkungen zu machen, die allerdings im Wesentlichen Ihre Frage 2 mit beantworten.
Durch nicht ausreichend informierte Anhänger der Linkspartei.PDS wurde uns in Berlin ähnlich Ihrer Überlegung der Vorwurf gemacht, Spalter zu sein und damit die Linke zu schwächen. Das ist schon für den konkreten Ablauf in Berlin falsch, wo wir bis zuletzt versucht haben, ein gemeinsames Antreten mit der Linkspartei.PDS zu ermöglichen. Zugegebenermaßen natürlich auf der Basis von deren grundlegenden programmatischen Zielstellungen. Deren Berliner Parteiführung bzw. deren Abgeordnetenhausfraktion verfolgte jedoch eine Politik des Ausverkaufs ihrer eigenen Inhalte zugunsten so genannter Haushaltskonsolidierung.
Als Linker werden Sie mir sicher zustimmen, dass linke Politik nicht allein und schon gar nicht in erster Linie in bürgerlichen (Landes-)Parlamenten gemacht wird. Mindestvoraussetzung wäre dabei eine eigene absolute Stimmenmehrheit. Ansonsten bedarf es der Mobilisierung Betroffener gegen sie ausgrenzende Verarmungspolitik. Wer aber sollte die organisieren?
Soll eine "linke" Partei, die diese Politik mit trägt, ihre linken Aktivisten zum Demonstrieren gegen sich selbst anstacheln?! Das heißt, der Eintritt in eine Regierung schwächt erst einmal die Protestmobilisierung. Eine parlamentarische Opposition ist eine permanente Bedrohung für Regierungspolitik mit unsozialer Ausrichtung. Jede Entscheidung kann potentiell Wähler ins andere Lager treiben, wenn nicht von den Oppositionsparteien noch Schlimmeres zu erwarten wäre (weshalb ja auch die Vertreibung eines rot-roten durch einen schwarz-gelben, schwarz-grün-gelben oder wie auch immer Senat hieße, die Pest mit der Cholera zu bekämpfen ? gegen das Leben der Menschen sind beide). Das wäre bei allen bisherigen Berliner Oppositionsparteien der Fall. Die bisherige Berliner Konstellation des "Weiter so!" schafft also einen unsozialen Burgfrieden. Die Hauptarbeitsaufgabe einer WASG-Abgeordnetenhausfraktion wäre damit, rechtzeitig Informationen öffentlich zu machen, mit denen die Bürger entscheiden können, ob sie sich das gefallen lassen wollen. Deren Protest ins Abgeordnetenhaus zurückbringen. Stimmen für die WASG wären in erster Linie also nichts als die Themometersäule, wie viel Bereitschaft zum Widerstand in der Bevölkerung besteht. Berlin strahlt das auf den "Bund" aus. (Schlechtes Wahlergebnis einer solchen Partei wie uns bedeutet z. B. Ärger unter den Regierenden, warum das Rentenalter nur auf 67 erhöht werden soll und ob sich das nachbessern ließe?)
Wie weit wir konkrete Gesetze im reinen Parlamentsbetrieb beeinflussen können, ist natürlich von den konkreten Konstellationen nach der Wahl abhängig. Die ideale wäre sicherlich die konstruktive Begleitung linker Politikinhalte, also dass die Parteienkoalition, die jetzt fälschlicherweise als "rot-roter Senat" bezeichnet wird, der Unterstützung der WASG bedürfte. Dann ließen sich konkrete soziale Kompromisse finden. Zumindest aber würde sich die SPD verraten, wenn sie nun die Partei mit den meisten Kriegsbegeisterten oder die Berliner Altfilz-CDU als Partner vorzöge.
Gesetzesinitiativen zum Stopp der Wohnungprivatisierungen, zur Stärkung der Position kommunalen Eigentums u.a. bei Wasser und Strom, zur Rückkehr in tarifliche Vergütungen öffentlicher Beschäftigter und zum Erhalt und Ausbau öffentlicher, sozial abgesicherter Arbeitsplätze ständen sofort und dauerhaft auf der Tagesordnung ebenso ein Bildungs- und Gesundheitssystem, das aus den DDR-Errungenschaften lernt (hier lässt sich auch für Berlin praktisch etwas vom Bund unabhängiges durchführen).
Damit sind wir an einem Punkt des historischen und praktischen Vergleichs. Wir stehen zum Glück nicht an der Schwelle zum Faschismus wie in den 30er Jahren, bei uns gibt es keinen Le Pen, der der Zersplitterung der "ganz und halb" Linken bis in die Stichwahl zum mächtigen Präsidenten vordringen konnte. Wir befinden uns in Deutschland eher in einer Lage wie vor 100 Jahren, wo die ursprünglich linke Sozialdemokratie gerade einen Umwandlungsprozess zur "patriotischen" Kriegskreditspartei durchmachte bis sie ihre Bluthunde auf die Arbeiter losließ, die sie z. T. noch gewählt hatten. Liebknecht und all diese später kommunistischen Spartakisten waren da die schlimmen "Spalter".
Abschließend kann das Auftreten der WASG-Fraktion im Moment aber noch nicht beurteilt werden, da sich in einem Jahr durchaus einige ihrer Mitglieder in der kommenden Linkspartei wieder finden werden, andererseits, weil diese Fraktion bisher parteilose Aktivisten sozialer Bewegungen und DKP-Mitglieder einschließt und drittens, weil sie bisher noch keine Ansätze zu einem Lobbyfilz, persönlichen Spezialinteressen usw. haben.
Soweit also zu Ihrer Frage 2.
Die Grenzen Berlin-interner Lösungen sozialer Probleme beantwortet Michael Hammerbacher für den Landesvorstand folgendermaßen: Im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt eine Allparteienkoalition von CDU bis PDS die sich einig darüber ist, das in Berlin gekürzt, privatisiert und der öffentliche Dienst reduziert werden muss. Der Grund dafür ist der, das alle sich der falschen Haushaltskonsolidierung verschrieben haben und davon ihre Politik ableiten. Berlin ist jedoch aus eigener Kraft nicht zu entschulden, auch nicht, wenn die Klage in Karlsruhe auf 35 Mrd. Euro erfolgreich sein sollte. Der Ausfall von Einnahmen durch den Solidaritätspakt 2 bis 2020 macht alle Bemühungen zunichte. Die einzige Partei die das im Abgeordnetenhaus benennen würde ist die WASG. Wir lehnen Sozialkürzungen, Lohnsenkungen im Öffentlichen Dienst, Privatisierungen und die Zerschlagung der sozialen Projekte in Berlin ab. Berlin ist nur zu entschulden, wenn der Bund Berlin komplett entschuldet und die Steuerpolitik im Bund zu Lasten der Großverdiener und Vermögenden geändert wird. Die öffentlichen Haushalte in Kommunen, Ländern und im Bund müssen gestärkt werden.