Frage an Rudi Steiner von Muri L. bezüglich Bildung und Erziehung
Meine beiden Söhne besuchen eine Privatschule, weil das öffentliche Bildungssystem immer schlechter wird.
Stichwort: Klassenstärke, Gymnasium in 8 Jahren, ungenügende Förderung.
Mich würde Ihre Haltung zu Privatschulen interessieren?
Hallo Frau Londner,
natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, dass auf Bayrischen Schulen die Schüler viel zu wenig gefördert und unterstützt werden. Dazu gehören selbstverständlich die Schulzeitverkürzung beim Gymnasium auf nunmehr acht Jahre (G8) und die eindeutig zu hohe Klassenstärke (Von der Hauptschule, die mittlerweile kaum noch Perspektiven bietet, mal ganz abgesehen). Auf der anderen Seite wird beim Abitur sehr viel von den Schülern verlangt. Diese Kluft und die Festlegung nach der vierten Klasse haben zur Folge, dass viele Kinder und Jugendliche, die eben - aus welchen Gründen auch immer - mehr Zeit für ihre Entwicklung brauchen, die vielleicht keine Eltern haben, die ihnen bei den Hausaufgaben helfen können oder sich keine teure Nachhilfe leisten können, schlicht und einfach durchs Raster fallen. Die neuen Pisa-Ergebnisse machen dann auch deutlich, dass die CSU sich diesbezüglich keinen Kopf macht. Ein Kind aus einer Facharbeiterfamilie hat bei uns eine 6,2 mal geringere Chance ein Gymnasium zu besuchen, als ein Kind aus der Oberschicht - auch wenn beide die gleiche Intelligenz aufweisen. In anderen Bundesländern ist der Unterschied nur halb so groß.
Daher kann ich gut verstehen, dass Sie sich von einer Privatschule eine bessere Förderung ihrer Söhne versprechen. Politisch ist das für mich aber keine Lösung. Abgesehen von einigen kirchlichen Schulen, kosten Privatschulen den Eltern meist viel Geld. Bildung muss aber jedem zugänglich sein. Aus diesem Grund muss der Fokus sich auf kostenfreie öffentlichen Schulen richten. Es bedarf einer grundlegenden Reform, die insbesondere die oben aufgezählten Defizite berücksichtigt. Eine Gemeinschaftsschule für alle, so wie es sie bespielsweise in Hamburg und Berlin schon gibt, ist hier ein sehr guter Ansatz. Schülerinnen und Schüler bleiben länger als vier Jahre zusammen und werden auch nachmittags nach ihren Talenten, aber auch in ihren Schwachstellen gefördert. Soziale Kompetenz muss, genauso wie die Fähigkeit historische und fächerübergreifende Zusammenhänge zu interpretieren, eine größere Rolle spielen. Dadurch entsteht der notwendige Spielraum für Kinder und Jugendliche eventuelle Schwächen aufzufangen und ihre Talente, Neigungen und sich selber zu entdecken, um sich danach reifer und bewusster entweder in Richtung eines Ausbildungsberufes zu bewegen oder eher eine akademische Laufbahn einzuschlagen.
Im Grundgesetz (Artikel 7, Absatz 4) wird ausdrücklich auf das Recht auf Privatschulen hingewiesen. Dieser hohe Stellenwert ist auf die Zeit des Nationalsozialismus zurückzuführen, wo das Schulwesen faktisch gleichgeschaltet war und zur politischen Propaganda missbraucht wurde. Daher halte ich diesen Absatz auch ausdrücklich für wichtig und richtig. Dennoch bin ich eher für eine Reduzierung der öffentlichen Zuschüsse für Privatschulen als für eine Erhöhung. Das Augenmerk muss auf dem Ausbau der öffentlichen Schule liegen und der Verantwortung allen Menschen ein Recht auf qualitative, kostenfreie, anspruchsvolle Bildung zu garantieren.
Mit freundlichen Grüßen
Rudi Steiner