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Frage von Ottmar M. •

Frage an Roland Claus von Ottmar M. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Claus,

wie von S. Wagenknecht im Bundestag vorhergesagt, ist es nicht gelungen, Griechenland mit neuen Krediten und „Sparen“ zu sanieren. Das neue „Sparkonzept“, das hohe Lohn- und Rentenkürzungen beinhaltet, scheint nur eine Fortsetzung der bisherigen erfolglosen Bemühungen zu sein.
Welche Maßnahmen sind in Griechenland bisher unternommen worden, um die sog. Besserverdienenden an den Kosten der Sanierung zu beteiligen? Was wird unternommen, um ausstehende Steuern einzunehmen? Wurden Vermögen, Kapitalerträge, größere Erbschaften höher besteuert? Es ist davon die Rede, daß erhebliche Summen in der Schweiz angelegt sind. Was wird von der griechischen Regierung bzw. der Troika unternommen, um diese Summen zu versteuern und die berechneten Steuern auch einzunehmen? In den Medien wurde allerhand berichtet über die unzureichende Erfassung und Vereinnahmung von Steuern. Gibt es hier substantielle Fortschritte? Welche Summen muss Griechenland für den Kauf neuer Waffensysteme ausgeben?
Gibt es Konzepte, außer den etwas schlichten Vorstellungen von einem Sperrkonto, woher die Wirtschaftskraft kommen soll, um überhaupt einmal die bestehenden Zahlungsverpflichtungen bedienen zu können?

O. Müller

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Müller,

danke für Ihre vielen Fragen! Aber haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich mich nicht sofort auf die innergriechischen Probleme konzentrieren werde. Denn das ist, denke ich, auch nicht meine Aufgabe. Ich bin Oppositionspolitiker in Deutschland. Hier muss ich den Daumen auf die Wunde legen, und dazu gibt es auch allen Grund, denn die gegenwärtigen Probleme Griechenlands haben zu allererst mit der Konstruktion der Europäischen Union und der Währungsunion insgesamt zu tun. Und daran hat Deutschland gewichtigen Anteil.

Wir von der LINKEN – und seinerzeit von der PDS – haben schon bei den ersten Beschlüssen über die Schaffung einer Währungsunion mit dem Euro als gemeinsamer Währung gefordert, dass diese Währungsunion durch eine Sozialunion untersetzt werden muss. Das heißt: Es müssen dort, wo eine einheitliche Währung gilt, auch einheitliche Sozialstandards gelten. Und auch die Steuersysteme müssen einander angeglichen sein. Sonst wird die Währungsunion ständig durch miteinander konkurrierende Sozial- und Steuersysteme gefährdet.

Nun wissen wir natürlich, dass die erforderliche Angleichung nicht über Nacht vollzogen werden kann. Es können nicht auf einen Schlag Mindestlöhne, das Renteneintrittsalter oder die Standards in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einander angeglichen werden. Auch die Steuersysteme können nicht innerhalb kürzester Zeit vereinheitlicht werden. Aber es muss den politischen Willen zu einer solchen Vereinheitlichung geben, und es muss ein abrechenbarer Fahrplan für die Schritte dorthin beschlossen werden – sonst steht die gemeinsame Währung auf viel zu unsicherem Boden.

Aber ein solcher politischer Wille, der ein offensiver und konstruktiver Gestaltungswille sein muss, ist bisher nicht erkennbar. Erkennbar ist lediglich die Bereitschaft, den Finanzmärkten zu Willen zu sein. Aber sollen die Menschen den Finanzmärkten dienen – oder muss es nicht vielmehr umgekehrt sein?

Die verschiedenen Bundesregierungen, die seit der Einführung des Euro als alltägliches Zahlungsmittel 2002 im Amt sind – die Koalition aus SPD und Grünen, dann die Koalition aus CDU und SPD und jetzt die aus CDU und FDP – haben sich den Finanzmärkten angedient und sind zusätzlich zur Verweigerung der Sozialunion seit Einführung des Euro viele Schritte gegangen, die direkt in die Krise hinein geführt haben.

Ein paar Beispiele:

Erstens. Die Bundesregierungen schmücken sich seit 2002 immer wieder damit, dass die Bundesrepublik „Exportweltmeister“ geworden ist. (Es tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache, dass dieser Rang mittlerweile von China eingenommen wird. Auch der Rang des „Vizeweltmeisters“ ist dramatisch genug.) Aber wie ist es dazu gekommen? Der eine wichtige Faktor ist zweifellos die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Aber genauso wichtig ist es auch, dass die Produkte durch Senkung der Realeinkommen der Beschäftigten, durch Kürzung der Sozialleistungen – es ist hier immer gern von „Senkung der Lohnnebenkosten“ die Rede – sowie durch die massenhafte Entwicklung von Leiharbeit und Billiglohnjobs billiger geworden sind. Und in der Zukunft werden sie auch billiger durch die Rente mit 67. Das ist doch ein für Europa katastrophaler Vorgang: Deutschland, das in Gestalt der alten Bundesrepublik einst Vorreiter hoher Löhne und Sozialstandards in Europa war, macht sich selbst zum Billiglohnland, um mehr exportieren zu können! Die Folge ist eine doppelte: der europäische Markt wird überschwemmt, und viele regionale Produkte in anderen Ländern verlieren ihre Konkurrenzfähigkeit. In einer Sozialunion, wie wir sie immer gefordert haben und auch weiterhin fordern, hätte man sich zum Beispiel darauf einigen können, dass eine Unterschreitung gegebener Sozialstandards nicht erlaubt ist und an die Stelle der Billiglöhne europaweit Löhne zu treten haben, die ein Leben in Würde ermöglichen und mit denen zugleich die Binnennachfrage erhöht wird. Dann hätte auch Deutschland einen anderen Kurs einschlagen müssen.

Zweitens. Die jetzige Bundesregierung verordnet gemeinsam mit der so genannten „Troika“ Griechenland einen Sparkurs, von dem keinerlei Impulse für eine Gesundung der griechischen Wirtschaft ausgehen. Im Gegenteil: Dieser Sparkurs ist einer des Kaputtsparens. Eines Kaputtsparens der Menschen und der Wirtschaftsstrukturen. Auch das ist ein für Europa katastrophaler Vorgang. Wenn die Mitgliedschaft im vereinten Europa bedeutet, dass für sehr Viele alles schlechter wird – welchen Sinn soll dann dieses vereinte Europa haben? Die Gefahr, dass eine solche Entwicklung zu einer Wiederbelebung des Nationalismus führt, ist riesengroß. Gebraucht wird jetzt nicht ein alles zerstörender Sparkurs, sondern gebraucht wird ein Plan ähnlich dem Marshallplan, mit dem nach dem zweiten Weltkrieg die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland zum Laufen gebracht worden ist. Es ist mir ganz und gar unverständlich, wieso die Bundesregierung nicht auf die Idee kommt, sich vehement für einen solchen Plan einzusetzen. Der Plan hat damals das Wohlwollen des ganzen westlichen und südlichen Europa gehabt – auch Griechenlands –, und zwar trotz der gerade erst wenige Jahre zurückliegenden Kriegsverbrechen Deutschlands auf dem ganzen Kontinent. Wie viel vom damals zum Ausdruck gebrachten Vertrauen könnte Deutschland heute zurückgeben! Aber statt dessen schwingt sich die Bundesregierung zum Sparkommissar auf – koste es, was es wolle. Und hat dabei sogar noch die Unterstützung von SPD und Grünen.

Drittens. Die Forderungen der Bundesregierung und der „Troika“ laufen auf eine Entmündigung der griechischen Regierung hinaus. Damit wird der Demokratie ein schwerer Schaden zugefügt. – Erprobt worden ist eine solche Entmündigung übrigens schon in Deutschland selbst. Die so genannte Schuldenbremse, die gegen die Stimmen der LINKEN im Bundestag beschlossen worden ist, bedeutet ebenfalls eine Beschneidung der Spielräume und Entscheidungsmöglichkeiten der Politik im Bund und in den Ländern. Auch hier wird die Politik immer mehr den Bedürfnissen der Finanzmärkte angepasst – und nicht denen der Menschen.

Viertens. Die Bundesregierung fordert zwar von Griechenland eine andere Steuerpolitik, ist selbst aber nicht bereit, über eine andere Einnahmepolitik nachzudenken. Zwar hat sie sich nun gerade verbal dazu bekannt, die Erhebung einer Finanztransaktionssteuer ins Auge zu fassen, aber eine stärkere Beteiligung der Vermögenden an den gesellschaftlich notwendigen Ausgaben lehnt sie hartnäckig ab. Mitten in der Krise ist die Zahl der Einkommensmillionäre in Deutschland auf über 850 000 gewachsen – aber eine Sonderabgabe für diesen Personenkreis gibt es nicht. Auch einer höheren Erbschaftsteuer verweigert sich die Regierungskoalition – und dabei geht es nicht um die Steuer beim Vererben eines Einfamilienhauses, sondern beim Vererben großer Unternehmen und Betriebsvermögen. Hier könnte die Bundesregierung mit bestem Beispiel vorangehen und auf dieser Grundlage europäische Maßstäbe für die Sozialpflicht des Kapitals setzen. Hier aber nichts tun und zugleich Anweisungen in Richtung Griechenland erteilen – das ist mehr als nur schlechter Stil.

Sehr geehrter Herr Müller, am Schluss Ihrer Fragen beschäftigen Sie sich mit den Militärausgaben Griechenlands. Und machen damit auf einen weiteren Anachronismus aufmerksam. Tatsächlich hat Griechenland bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt die höchsten Militärausgaben aller europäischen NATO-Staaten. Es ist der NATO bis heute nicht gelungen, ihre beiden Mitgliedsländer Griechenland und Türkei davon zu überzeugen, dass sie sich nicht gegenseitig bedrohen und daher ihre Militärausgaben ohne Gefährdung ihrer Sicherheit erheblich einschränken könnten. Offenbar ist das Geschäft mit der Rüstung für viele europäische – und auch deutsche! – Konzerne nach wie vor so lukrativ, dass hier gar keine Kürzungen gewünscht sind.

Aus allem ist zu sehen: Die Krise in Griechenland ist Ausdruck einer Krise der Europäischen Union insgesamt. Wer sie konstruktiv– das heißt: ohne Abstoßung eines oder mehrerer ihrer Mitglieder – lösen will, muss die Union grundsätzlich reformieren. Sie muss eine Union für die Menschen werden – und nicht eine für die Finanzmärkte. Es ist klar, dass alle Formen nationalistischer Überheblichkeit gegenüber jenen Ländern, in denen sich – wie in Griechenland – die europäische Krise besonders zugespitzt zeigt, der völlig falsche Weg zur Krisenbewältigung sind. Gefragt ist Solidarität: Solidarität der europäischen Völker über die Ländergrenzen hinweg gegen das Diktat der Finanzmärkte.

Sehr geehrter Herr Müller, ich danke Ihnen für Ihre Geduld und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Roland Claus