Frage an Robert Heinemann von Stefanie S. bezüglich Bildung und Erziehung
Antwort von
Robert Heinemann
24.05.2005
Sehr geehrte Frau Schlick,
der Schulentwicklungsplan sieht im Regelfall keinesfalls eine abrupte Schließung von Schulen vor, sondern deren Auslaufen - i.d.R. über mehrere Jahre. Anders wird nur verfahren, wenn die Schule vor Ort dies so wünscht.
Sehr geehrter Herr Heinemann, ich erlaube mir, Ihre Sätze so, wie Sie sie ge"sagt" haben, zu nehmen, um meine Fragestellung zu präzisieren.
Ich hatte in meinem Schreiben ja eine ganze Reihe von Punkten integriert, so dass es Sinn macht, nun mehr die einzelnen Aspekte zu betrachten.
Sie reagieren inhaltlich auf meine Vorhaltung, dass durch die Entscheidung einer Schließung "abrupt" soziale Lebensläufe unterbrochen werden. Dabei befassen Sie sich mit meinem Begriff "ab-rupt" und definieren ihn anders, als ich ihn benutzt und gemeint habe. Das konnten Sie nicht wissen, ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf.
Ich will einmal darlegen, wie ich es gemeint habe.
Dass es hierbei um "ab-rupt" also "abgebrochene" soziale Prozesse geht, die sehr komplex sind und keineswegs nur den einzelnen Schüler, sondern sein gesamtes Lebensumfeld mitbetreffen, wird mit der eng gefassten Antwort , es "sei ja nicht abrupt, sondern auslaufend" sozuagen auf eine "Schmalspur" gezogen.
Würde ich in dieser Schmalspurschiene mit Ihnen weiterdiskutieren, hätten Sie mit Ihrer eigenen Definition von "Sozialen Prozessen" sehr bald die Oberhand im Diskurs, und ich stünde als jemand da, der/die nicht so recht weiß, was für einen Unsinn sie redet......
Im "realen Diskurs", life, hätte ich Sie jetzt bereits im allerersten Satz "unterbrechen" (lat. "ab-rumpere"!) müssen, um Ihnen obengesagtes zu sagen, und Sie hätten mit Sicherheit die Lacher (oder Beifallklatscher) auf Ihrer Seite, wenn Sie mir "ungehöriges Verhalten" vorwürfen.
Gottseidank haben wir ja nun die "Neuen Medien!"
Daher bin ich froh, dass die Chance, zu un-unterbrochenen Redeverläufen auch einmal ein paar "Unterbrechungen" beizufügen, die sich vielleicht als "Ergänzung" erweisen , statt als "Verhinderung des Redeflusses" des Gegenübers, und somit gewinnt dann auch diese Unter-Haltung auch neue Qualität....
Das erhoffe ich mir jedenfalls von dieser unsrer Unterhaltung.
Jetzt also zum Inhaltlichen:
Wenn eine Schule geschlossen wird, so ist dies PER SE AB-RUPT. Es wird nämlich dabei abgebrochen:
der Kontinuitätsfluss von Tagesabläufen . Betroffen sind praktisch alle Menschen, die in irgendeiner Weise mit der zeitlichen und räumlichen Struktureinheit "Schule" zu tun haben. Das sind, angefangen vom Hausmeister, den Putz- und Reinigungskräften, den Müttern, den Vätern, den Kindern selbst, den Lehrern, den Handwerkern,.....ich versuche, ein Bild zu zeichnen, bei dem sinnlich bewusst wird, dass hier mehr stattfindet als nur ein Ab-Ruptus von einzelnen Schulkindern, die jetzt halt ein paar Kilometer weiter fahren müssen.
der innere Zukunftsplan von Menschen, die hier an genau diesem Ort zu genau dieser Zeit sein wollen und ihr Leben rund um diese Ausbildungsperspektive herum organisiert haben. Eltern sind in diesem Stadtteil geblieben, um ihr Kind genau hier zur Schule zu schicken. Kinder haben sich auf das Abenteuer "Gruppenbeziehung" eingelassen, haben um ihre Zugehörigkeit und soziale Akzeptanz gerungen oder es ist ihnen hier leichtgefallen - je nachdem - und sie haben eine gelebte Geschichte mit und in dieser Sozialen Gruppe, die sie zu dem gemacht hat, was sie hier und heute sind. Dieses "Gruppensystem" soll nun, das ist durch den "Schulentwicklungsplan", oder durch den "Schulschlißungsplan" , oder durch "den Kahlschlag an Hamburger Schulen", oder durch die "Finanz-Sanierung" - wie immer die Begrifflichkeiten nun sind, die den Schülern so zu Ohren kamen - "aufgelöst" werden.
Der Begriff "Auflösung" , "Beendigung", "Schließung" allein ruft schon Ängste hervor. Stellen Sie sich einmal nur vor, Herr Heinemann, man sage Ihnen, dass Ihr Arbeitgeber p l u s alle Ihre Bekannten und Freunde in , sagen wir, neun Monaten, "aufgelöst" würden und man sie in irgendeine, nicht weiter bezeichnete, andere Umgebung verpflanzen werde. Wie und wo, das werde man Ihnen schon "recht-zeitig" mitteilen. Dann würden irgendwelche Menschen sich dieser Sache schon annehmen und Ihnen das Weggeleit geben zu der neuen Umgebung. Den Rest würde man allerdings Ihnen selbst überlassen, und ob sie psychisch und physisch damit umgehen könnten, was Sie da erwartet, das sei nun mal "Ihr Problem." Es ist ein bisschen, ich überzeichne jetzt etwas, wie eine wohl-angekündigte Naturkatastrophe, die nur in Wirklichkeit keine "Natur"-Katastrophe ist, sondern eine menschengemachte, und zwar von Menschen, so erlebt es der Schüler, die Schülerin, die miteinander nicht wirklich fair umgehen.....
Damit wäre ich beim nächsten Punkt meiner Einwendungen, nämlich bei der Tatsache, dass Sie und die "da draussen" - jetzt Sie als vormaliges Mitglied der entscheidungsbefugten Deputation "innen" , mit "denen da draußen" offenbar wenig wirklichen geistigen Austausch bewerkstelligen konnten. Wie ich hörte - Sie mögen mich gerne korrigieren - entstand unter "denen da drinnen" eine solchermaßen verhärtete geistig-weltanschauliche Positionssituation, dass auch die besten und sinnvollsten Argumente durch Fraktionzwänge und Sturheiten ungehört an allem abprallten. Wehe dem Politiker, der "weich" wird. "Weich", das heißt, der noch imstande ist, zuzuhören, Argumente ernsthaft zu verarbeiten - und, die Schlimmste aller politischen "Sünden", dem "Gegner" in die Hand arbeitet, womöglich zustimmt!!!!! Wie ich nicht nur aus einer einzigen Quelle entnahm, sondern aus vielen, ist die Entscheidungssituation der "Deputation" zu einem "reinen Abnicken" der Senats-Vorentscheidungen geworden. Man (die Erwachsenen, aus Schülersicht), können also reden soviel sie wollen, können kämpfen soviel sie wollen - es ist alles ohnehin ein abgekartetes Spiel, und keiner will zugeben, dass man die Ganzheit der Betroffenen, die Menschen des Stadtteils mit ihrer Lebensperspektive in jeglicher Hinsicht, längst ignoriert und aus den Augen verloren hat. Oder, Herr Heinemann, würden Sie SICH zutrauen, dass Sie Ihre Meinung durch Diskurs noch einmal ändern könnten? Würden Sie SICH zutrauen, dass Sie Erkenntnisse sammeln, die dazu führen könnten, dass Sie sogar Ihre Parteikollegen überhzeugen könnten, dass es kein Gesichtsverlust wäre, wenn Sie sich sinnvollen Erwägungen öffnen statt sich zuzumauern? Im Gegenteil, dass Sie etwas beitragen würden zu einer Lockerung der verhärteten Fronten, die jetzt immerhin 59 % aller Wähler in NRW dazu bewogen haben, sich Nicht-CDU UND Nicht-SPD auszusprechen, indem sie die Entscheidung getroffen haben, diesen verhärteten "Erwachsenen-Kindergarten" nicht mehr zu wählen??
Sie schrieben:
"Und ganz konkret zu Ihrer Frage: Diese Frage können Sie natürlich aus Gerechtigkeitsgründen nicht nur für die jetzige 10., sondern auch für die 9., 8. und 7. Klasse stellen - und auch noch für die 6. und 5. - und dann wären wir wieder bei einer Schule, die über acht Jahre ausläuft. "
Mit der Gerechtigkeit würde ich noch viel weiter gehen. Ich meine mit Gerechtigkeit alle Schulen und deren Schüler/Lehrer, deren Zukunft "von oben" verändert werden soll. Ich plädiere für einen offenen Zeitrahmen , der den Beteiligten die m a x i m a l e Chance gibt, selbst zu entscheiden, was, mit wem, wo und wie sie in Zukunft Schule haben möchten. D a s wäre in meinen Augen ein demokratischer Vorgang, wie ich ihn positiv fände.
Mit freundlichen Grüßen
Stefanie Schlick
Sehr geehrte Frau Schlick,
Ihre Stellungnahme ist in der Tat so vielschichtig, dass ich sicherlich nur unzureichend darauf antworten kann. Lassen Sie mich dennoch probieren, auf einige Aspekte einzugehen:
1.) Die Deputation hat keine "Senatsvorgabe" abgenickt. Wenn Sie den ersten Entwurf der Bildungsbehörde und das Endergebnis nebeneinander legen – beides ist ja öffentlich zugänglich - werden Sie erhebliche Veränderungen feststellen, an denen nicht zuletzt die Abgeordneten und Deputierten der CDU beteiligt waren.
2.) Nicht nur im Laufe dieser Beratung habe ich mich getraut, hinzuzulernen und daher auch Positionen zu verändern. Auch sonst tue ich dies – gerade weil die Bildungslandschaft und auch die gesamte Gesellschaft keine statischen Gebilde sind und weil es immer wieder empirische Untersuchungen mit überraschenden Ergebnissen gibt. Ich war zum Beispiel gegen die Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule und halte sie heute für richtig.
3.) Ich schätze das, was engagierte Schulen an "Lebensraum" schaffen, wahrlich nicht gering. Ich glaube aber auch, dass Sie die Fähigkeit insbesondere junger Menschen, sich auf neue Situationen einzustellen, unterschätzen. Viele Kinder wechseln von der Krippe in den Kindergarten, dann in die Vorschule, die Grundschule, die weiterführende Schule und später in die Berufsschule oder das Studium. Jeder dieser Wechsel ist mit Brüchen verbunden - aber auch mit der Chance, Neues kennen zu lernen. Noch viel stärker sind davon Kinder betroffen, deren Eltern aus beruflichen Gründen während der Schulzeit mehrfach umziehen.
4.) Gerne würden wir allen Schülern, Eltern und Lehrern überlassen, " was, mit wem, wo und wie sie in Zukunft Schule haben möchten". Dies funktioniert aber dann nicht, wenn der Staat die Verantwortung hat, den Schulbetrieb zu organisieren und auch zu finanzieren. Wir haben versucht, die notwendigen Anpassungsmaßnahmen - wir haben heute deutlich weniger Schüler als beim letzten Schulentwicklungsplan vor zehn Jahren prognostiziert – möglichst gerecht und abgefedert durchzuführen. Und wir haben alle Gremien mehrfach angehört, damit kein Argument untergeht. Letztlich muss dann aber die demokratisch legitimierte Regierung entscheiden.
Mit freundlichen Grüßen
Robert Heinemann
Schulpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion