Frage an Rita Schwarzelühr-Sutter von Katja R. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Schwarzelühr-Sutter
wie ich gerade mit Entsetzten lesen muss, haben Sie dem ESM zugestimmt. Bisher bin ich davon ausgegangen, das die meisten Abgeordneten lesen, worüber sie abstimmen. Das kann hier nicht der Fall gewesen sein, denn ein derart undemokratisches, unkündbares Vertragswerk kann niemand mit einem gesunden Veständniss von Demokratie ab segnen.
Allein der Artikel
Artikel 9: Kapitalabrufe
"Die ESM-Mitglieder sagen hiermit bedingungslos und unwiderruflich zu, bei Anforderung jeglichem [...] Kapitalabruf binnen 7 Tagen nach Erhalt dieser Forderung nachzukommen."
muss jedem den Atem stocken lassen. Bedingungslos und unwiderruflich? Jede neu gewählte Regierung hat keine Möglichkeit jemals wieder aus diesem Vertragswerk auszusteigen. Also ganz egal, was auch immer sonst an vielleicht Gutem darin stehen mag, so etwas darf ein Volksvertreter, der sich den demokratische Grundgedanken verpflichtet fühlt, niemals unterschreiben. Abgesehen davon, machen sie sich damit auch gleich selbst überflüssig. Wofür brauchen wir ein Parlament, das seine Haushaltshoheit so einfach über Bord schmeißt? Aus welchem Grund sollen ich nächsten Jahr wählen gehen, wenn die Abgeordneten zwar etwas fordern können, aber dann auch zugeben müssen, das sie über die Gelder, die dafür gebraucht werden, nicht abstimmen kann?
Ist Ihnen noch niemals in den Sinn gekommen wie paradox ein dauerhafter Rettungsschirm ist? Die jeder Rettungsaktion zugrunde liegende Notsituation sollte doch in absehbarer Zeit beseitigt werden können, welchern Sinn macht eine dauerhaft Rettung, wenn man doch ganz offensichtlich entweder nicht ihn der Lage oder nicht Willens ist, die Notlage zu beenden?
Wie begründen Sie Ihre Zusage und damit Ihren freiwilligen Verzicht auf jedwede Gestaltungsmöglichkeit in der Politik der Zukunft?
Mit sehr verwunderten Grüssen
Katja Rauschenberg
Sehr geehrte Frau Rauschenberg,
vielen Dank für Ihre Frage bei Abgeordnetenwatch.de zum Thema Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM). Sie können versichert sein, dass ich mich intensiv sowohl mit dem ESM als auch mit dem Fiskalpakt beschäftigt habe.
Es ist ein „Ja“ zu zwei Instrumenten gegen die Krise und zu einem Wachstums- und Beschäftigungspakt!
ESM
Der ESM soll den zeitlich befristeten Rettungsschirm ESF ablösen. Das Kreditvergabevolumen des ESM beträgt 500 Milliarden Euro, zudem stellen die teilnehmenden Staaten erstmals nicht nur Garantien zur Verfügung, sondern zahlen auch 80 Milliarden Euro Barkapital ein. Der deutsche Anteil beträgt 21,7 Milliarden. Deutschland geht durch die Gewährung von Bürgschaften für notleidende Staaten im Rahmen der europäischen Rettungsschirme erhebliche finanzielle Risiken ein. Diese Risiken sind jedoch vertretbar, denn sie sind nicht nur ein Signal der innereuropäischen Solidarität, sondern auch Gebiet der wirtschaftlichen Vernunft.
In der aktuellen Debatte über die mit der Euro-Rettung verbundenen Kosten rückt der Mehrwert der Euro-Mitgliedschaft für die BürgerInnen leider zunehmend in den Hintergrund. Zu einer ehrlichen Bilanz gehört auch, Belastungen und Vorteile gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Wer das beherzigt, erkennt, dass Deutschland nicht der „Zahlmeister Europas“ ist, sondern von der Währungsunion profitiert. Etwa 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone, wodurch in Deutschland mehr als drei Millionen Arbeitsplätze gesichert werden. Im Jahr 2010 belief sich der positive Effekt der Währungsunion für die deutsche Wirtschaft auf 165 Milliarden Euro, das entspricht 6,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Stabilität des Euros und unserer Partnerländer liegt daher vor allem im deutschen Interesse, weil uns ein Zusammenbruch der Währungsunion am härtesten treffen würde. Der Exportnation Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn die Wirtschaft im Rest Europas am Boden liegt. Unser Wohlstand beruht auf den in Deutschland hergestellten Produkten, die auch von unseren europäischen Partnerländern gekauft werden. Wenn es uns nicht gelingt, diese Länder dauerhaft zu stabilisieren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzugreifen. Wir retten nicht Griechenland oder Spanien, sondern wir retten letztlich auch den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland!
Diese Solidarität ist selbstredend keine Einbahnstraße. Die betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Fehlentwicklungen abstellen und Schulden abbauen. Nur wenn die Eurozone stabilisiert wird, können die Länder die gewährten Kredite zurückzahlen. Wer jetzt aber ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone fordert, beschleunigt damit nur einen Staatsbankrott und vermindert so die Chance auf die vollständige Rückzahlung der deutschen Forderungen. Zudem hätte ein unkontrollierter Staatsbankrott auch verheerende Folgen für andere Krisenstaaten, die dann ebenfalls zur Zielscheibe spekulativer Angriffe würden.
Fiskalpakt, Wachstums- und Beschäftigungspakt
Die Euro-Staaten müssen ihre gigantischen Schuldenberge in den Griff bekommen. Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fängen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Deutschland hat sowohl im Bund als auch in einigen Ländern Schuldenbremsen verfassungsrechtlich verankert. Die Budgetverantwortung gehört zur Kernkompetenz des deutschen Parlaments. In das Haushaltsrecht wird nach dem Fiskalpakt nicht gestaltend eingegriffen, solange die vereinbarten Defizitgrenzen vom Staat nicht überschritten werden. Beim ESM kann der deutsche Vertreter nicht überstimmt werden und gleichzeitig ist er auf die Zustimmung des Bundestages angewiesen.
Wir Sozialdemokraten haben durchgesetzt, dass eben nicht nur eine Verantwortung für die Ausgaben, sondern auch für die Einnahmen besteht. Denn noch nie hat sich ein Land mitten in einer Rezession aus einer Krise heraus gespart. Neben Haushaltsdisziplin brauchen die überschuldeten Staaten auch Impulse für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, um dauerhaft wieder auf die Füße zu kommen. Deshalb hätte ich einem Fiskalpakt ohne Wachstums- und Beschäftigungspakt nicht zugestimmt.
Nicht nur zu Regulierung, sondern auch zur Finanzierung des Wachstums- und Beschäftigungspakt brauchen wir die Finanztransaktionssteuer. Leider kommt sie nicht in allen, aber doch zumindest in voraussichtlich zehn Partnerländern. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode können gezielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden. Um zusätzliche Investitionen zu mobilisieren, soll das Kapital der Europäischen Investitionsbank erhöht und das Programm für europäische Projektanleihen aufgestockt werden. Insgesamt stehen damit rund 130 Milliarden für Wachstumsimpulse zur Verfügung. Außerdem wird es ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit geben.
Ihre Bedenken bezüglich der Unkündbarkeit sind verständlich, denn im Fiskalpakt steht keine Kündigungsklausel. Aber auch aus Völkerrechtsverträgen, die den Verfassungsgeber binden, kommt man nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts wieder heraus. Wenn auch keine Kündigungsklausel enthalten ist, so kann ein Ausstieg beispielsweise durch den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ geschehen.
Mit dem ESM und dem Fiskalpakt wird das Zusammenbrechen der Märkte verhindert, auf Gestaltungsmöglichkeiten wird nicht verzichtet, sondern durch Schuldenabbau Handlungsspielraum geschaffen und durch den Wachstums- und Beschäftigungspakt auch wieder Perspektiven für junge Menschen geschaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Rita Schwarzelühr-Sutter