Frage an René Röspel von Birgit A. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Röspel,
gerade war Frau Merkel in den USA und hat auch Gespräche bezüglich des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA geführt.
Die Bürger der BRD und der gesamten EU werden über die Verhandlungen völlig im Unklaren gelassen. Es soll nichts nach außen dringen. Mittlerweile wissen wir aber z.B. von Chlorhühnern und Genmais und über die Möglichkeiten der Klage von amerikanischen Firmen gegen die einzelnen Staaten der EU, falls dieses Abkommen unterzeichnet wird.
Was wissen Sie persönlich über dieses Abkommen, wie informieren Sie sich darüber, welche Informationen erhalten Sie darüber und was ist Ihre persönliche Meinung dazu.
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Auerswald
Sehr geehrte Frau Auerswald,
vielen Dank für Ihre Frage bezüglich des geplanten Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU, dem sogenannten TTIP. Gerne schildere ich Ihnen meine Meinung und meinen Wissensstand zum geplanten Vorhaben.
Einleitend skizziere ich kurz grob, worum es beim Abschluss eines solchen Freihandelsabkommens überhaupt gehen soll. Ziel dieser Vereinbarung soll es sein, durch einen völkerrechtlichen Vertrag einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen. Es geht um den Abbau tarifärer Handelshemmnisse (Zölle oder Quoten), aber auch nicht-tarifärer wie Vorschriften, welche Unternehmen oder Investoren den Zugang zum jeweils anderen Markt erschweren (Qualitätsstandards, Verpackungsvorschriften, Herkunftsangaben, technische und rechtliche Anforderungen an importierte Produkte etc.). Außerdem sollen langfristig vergleichbare Regelungen und Standards hergestellt und gemeinsame Richtlinien entwickelt werden, indem Regulierungsinstitutionen beider Seiten in Zukunft stärker kooperieren und sich bereits im Vorfeld neuer Rechtssetzungen konsultieren, um zunehmend einheitliche Regelungen zu gewährleisten. Ein weiteres Verhandlungsziel soll die Liberalisierung des Dienstleistungssektors sein, wobei das öffentliche Beschaffungswesen besonders im Fokus steht. Das heißt, dass bei öffentlichen Ausschreibungen in der EU auch US-amerikanische Unternehmen und in den USA europäische Unternehmen die gleichen Chancen für die Auftragsvergabe haben müssen. Dabei soll die Gleichberechtigung ausländischer Anbieter beim Zugang zu öffentlichen Aufträgen auch auf regionaler und kommunaler Ebene umgesetzt werden.
Versprochen wird – wie bei bislang jedem abgeschlossenen Freihandelsabkommen, dass es durch den Abschluss zu positiven Wachstums- und Arbeitsmarkteffekten kommt und somit auch zu Lohnsteigerungen. Zahlreiche Studien, von denen ich im Folgenden nur einige zitieren möchte, haben diese – wohlgemerkt – langfristigen Effekte für die nächsten 10 bis 15 Jahre prognostiziert:
• Eine von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene und vom IFO-Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.) durchgeführte Studie beziffert den wirtschaftlichen Zuwachs durch das TTIP auf 90 %, was den Handel zwischen den USA und der EU angeht. Für Deutschland sei durch den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse mit einer Zunahme des realen Pro-Kopf-Einkommens von 4,68 % zu rechnen. Insgesamt würden bis zu 160.000 neue Stellen geschaffen, davon 85.000 im produzierenden Gewerbe. ( http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-35FBDC27-4321F2A2/bst/xcms_bst_dms_38052_38053_2.pdf )
• Eine Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) beziffert ein Wachstum von 120 Milliarden Euro (0,5 % des Bruttoinlandsprodukts) für die EU und 95 Milliarden Euro (0,4 % des BIP) für die USA vor. Exporte der EU in die USA würden um 28 % und die Beschäftigungsquote um 0,5 % steigen. ( http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/september/tradoc_151787.pdf )
Das hört sich ja erst einmal schön und gut an, ich bin aber sehr skeptisch, ob diese Erwartungen am Ende erfüllt werden. Ich halte sie nicht für seriös berechenbar bzw. vernachlässigenswert gering. Der Zweifel ist nicht unbegründet, wenn man bedenkt, dass selbst IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, als Vertreter der größten Gewerkschaft der Welt und somit zahlreicher Arbeitnehmer, die auch in Branchen arbeiten, die stark vom Export profitieren könnten, die Prognostizierung solcher Effekte für Arbeitsmarkt, Handel, Löhne für „Kaffeesatzleserei“ hält. Kein Mensch könne aus den geplanten Maßnahmen exakte Wachstumsziffern über Jahrzehnte herausrechnen, sagt Wetzel weiterhin ( http://www.fr-online.de/wirtschaft/freihandelsabkommen-eu-usa--freihandelsabkommen-sofort-stoppen-,1472780,26460308,item,0.html ).
Noch zweifelhafter werden die Ergebnisse, wenn man bedenkt, dass für die Prognosen quasi keine Negativeffekte berücksichtigt wurden, also ein durchgehend positives Szenario ohne Währungskrisen etc. über Jahre hinweg herangezogen wurde. Das halte ich persönlich für reichlich einseitig und irreführend. Ich finde es auch irreführend, wenn ein Wachstumseffekt von 0,5 % in zehn Jahren als eine immense Besserstellung dargestellt wird, wenn das doch im Klartext bedeutet, dass es somit nur einen jährlichen Zuwachs von 0,05 % gäbe. Dem stehen einige Unwägbarkeiten gegenüber. (Nur so nebenbei, wenn Sie sich diesen Bericht des Magazins „Monitor“ anschauen, können Sie sehen, wie selbst der Hauptautor einiger IFO-Studien zu dem Thema klarstellt, dass die Darstellung der Effekte sehr aufgebauscht werden: http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2014/0130/freihandelsabkommen.php5 )
Damit komme ich zu den weiteren Punkten, die mir bezüglich des Transatlantischen Freihandelsabkommen sehr zu denken geben:
• Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die Öffentlichkeit und auch wir als Abgeordnete überhaupt um transparente Verhandlungen kämpfen müssen. Ein Abkommen, das so weitreichende Auswirkungen auf Bereiche wie Datenschutz, Verbraucherschutz, Dienstleistungen, Arbeitnehmerrechte usw. haben soll und in dem es doch auch um die Erarbeitung gemeinsamer Standards geht, sollte auch unter Beteiligung der betroffenen Akteure, damit meine ich auch die Zivilgesellschaft, in einer lebendigen demokratischen Debatte, mindestens aber von den Parlamenten verhandelt werden. Dahingehend haben wir bei der Europäischen Kommission, die ja auf EU-Seite der Verhandlungsführer ist, zumindest schon erreicht, dass der Bundestag über die Bundesregierung in regelmäßigen Berichten über den Stand der Verhandlungen unterrichtet wird. Ich bin allerdings auch sehr froh darüber, dass diese Bedenken von Bundeswirtschaftsminister Gabriel verstanden und aufgenommen worden sind. Sigmar Gabriel hat dazu schon vor Ostern eine erste Positionierung veröffentlicht, die Sie unter folgendem Link abrufen können: http://www.spd.de/linkableblob/119226/data/2014_april_gabriel_ttip.pdf .
• Eine Investitionsschutzklausel hat nichts in einem Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zu suchen! Der sogenannte Investitionsschutz macht in manchen Szenarien durchaus Sinn (gedacht war er als Schutz vor Investitionen in Entwicklungsländern oder unstabilen Demokratien), aber mit Sicherheit nicht für die Handelsbeziehungen zwischen diesen beiden Wirtschaftsräumen. Es gibt ausreichenden Rechtschutz! Um ihr Genmaisbeispiel aufzugreifen: Es darf nicht sein, dass es beispielsweise Monsanto als größtem Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut ermöglicht wird, EU-Staaten, die sich seit Jahren erfolgreich gegen den Anbau von GVO zur Wehr gesetzt haben und das auch weiterhin vorhaben, zu verklagen, weil ihnen ihr Geschäft nicht erlaubt wird oder Gewinne entgehen. Dafür kämpfe ich als Abgeordneter schon viel zu lange gegen einen Anbau von GVO! Es muss ausgeschlossen sein, dass allgemeine und angemessene Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen, die in demokratischen Entscheidungen rechtstaatlich zustande kommen, über eine Investitionsschutzklausel ausgehebelt werden oder der Marktzugang eingeklagt werden kann. Auch diesbezüglich konnte wenigstens ein kleiner Sieg errungen werden: Im Januar hat die EU-Kommission die Verhandlungen über den Investitionsschutz zunächst auf Eis gelegt, um Konsultationen mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft durchzuführen.
• Es heißt, dass Verbraucherschutzstandards oder Regelungen zum Arbeitsschutz auf keinen Fall abgesenkt werden sollen und man sich in den Verhandlungen immer an den „strengeren“ Regelungen zu orientieren habe. Es solle demnach eine „Harmonisierung“ der Standards geben. Ich befürchte, dass diese Bezeichnung ein Euphemismus für Deregulierungen ist. Nur um ein Beispiel anzuführen: Die USA haben bislang von acht Kernnormen der International Labour Organization zum Schutz der Arbeiter (ILO; http://www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/kernarbeitsnormen/lang--de/index.htm ) lediglich zwei ratifiziert, und zwar diejenigen zur Zwangs- und Kinderarbeit. Und die EU erwartet nun aber, dass sich die Wirtschaft der USA nun plötzlich an unseren strengen Standards orientiert? In Verhandlungen läuft es aber in der Regel auf Kompromisse und damit eine Aufweichung deutscher Standards hinaus. Und bei Errungenschaften wie umfassenden Arbeitnehmerschutz und deren Recht oder auch den Verbraucherschutz sollten wir uns nicht kompromissbereit zeigen.
• Auch das Abstimmungsverfahren halte ich bislang für problematisch. Es würde nicht nur das Europa-Parlament abstimmen, sondern auch der Europarat. Ob auch die nationalen Parlamente abstimmen dürfen, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Ich für meinen Teil hoffe doch stark, dass es zu einem sogenannten „gemischten Abkommen“ kommt, bei dem auch die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und somit auch ich als Abgeordneter meine Stimme abgeben kann. Schließlich hat so ein Abkommen Auswirkungen bis in meinen Wahlkreis.
Es gibt also noch sehr viele „Baustellen“, die zu richten wären, damit eine Zustimmung auch für die SPD-Bundestagsfraktion und mich denkbar wird. Momentan bin ich allerdings sehr skeptisch. Auch bei diesem Thema kann man übrigens die Unterschiede unseres Europa-Spitzenkandidaten Martin Schulz zu Konservativen und Liberalen erkennen. Bei der Europawahl entscheiden Sie mit!
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage mit meinen Ausführungen zufriedenstellend beantworten konnte. Das Thema ist komplex, aber ich versuche, mich mit der nötigen Sorgfalt einzuarbeiten. Deshalb habe ich bereits zahlreiche Informationsveranstaltungen zum Freihandelsabkommen besucht, mich über verschiedene Quellen, vor allem aber auch bei den zuständigen Fachkollegen aus meiner Fraktion oder beispielsweise den Gewerkschaften informiert.
René Röspel