Frage an René Röspel von Leo B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Herr Röspel,
Schenkt man dem Medien Glauben, geht es bezüglich der Ratifizierung des "Fiskalpaktes" in die "heiße Phase".
Diesbezüglich habe ich einige Fragen:
1. Wieso wird ein völkerrechtlicher Vertrag, welcher diversen Kritikern zufolge "faktisch unkündbar" ist, in einer so kurzen Zeit und so schnell wie möglich versucht, "durch das Parlament zu bringen"?
2. Wieso wird die Öffentlichkeit trotz bekannter Vorwürfe auf verfassungswidrigkeit, seitens der Bundesregierung nicht ausreichend über die genauen Mechanismen und verbindlichen Regelungen informiert?
3. Wieso musste erst das Bundesverfassungsgericht nach Antrag der Grünen-Fraktion feststellen, dass selbst das Parlament (!) vor der Ratifizierung einer so wichtigen, völkerrechtlichen Vereinbarung nicht ausreichend informiert wurde?
4. Wieso verlagert sich dieser ganze Vorgang der Ratifizierung des Fiskalpaktes verdächtig nah vor die Sommerpause UND in die Fußball-Europameisterschaft?
In meinem Interesse an einem geeinten Europa, in welchem die einzelnen Staaten nicht nur durch wirtschaftliche Abkommen einander verpflichtet sind, sondern durch das Verständnis und die Anerkennung gemeinsamer intellektueller Wurzeln und Identitäten appelliere ich an Sie, ihr Recht und Pflicht als Vertreter der Opposition im Bundestag wahrzunehmen und diese Missstände anzusprechen und zu hinterfragen.
Mit freundlichen Grüßen,
Leo Brandt
Sehr geehrter Herr Brandt,
Ich bin überzeugt, dass auch innerhalb der EU Solidarität herrschen muss, und wir als größtes europäisches Land und eine der stärksten Wirtschaftsnationen in der Welt auch Verantwortung gegenüber schwächeren Ländern haben. Das bedeutet nicht, dass ich damit deren Steuereinnahme- oder Ausgabeverhalten gutheiße. Ich sehe einige Bestandteile des ESM kritisch und andererseits die Notwendigkeit einiger Staaten, Geld aus dem ESM bekommen zu müssen. In der Abwägung dessen habe ich deshalb dem ESM zugestimmt.
Mit dem sog. Fiskalpakt habe ich aus ökonomischen und grundsätzlichen Gründen große Probleme:
Ich halte den Fiskalpakt für ökonomisch falsch.
Die zentrale Zielsetzung, das jährliche strukturelle Haushaltssaldo des Gesamtstaates zu reduzieren und jedes Jahr 1/20 des gesamtstaatlichen Schuldenstandes abzubauen, der 60% des BIP überschreitet, hört sich gut an. Nach meiner Einschätzung wird das die wirtschaftliche (und soziale) Situation in vielen Ländern verschärfen und eher zu Stagnation als zu Wachstum führen. Damit wird nicht nur das Ziel der Haushaltsanierung und des Schuldenabbaus verfehlt, sondern mehr wirtschaftliche und soziale Probleme wie z.B. Arbeitslosigkeit hervorgerufen.
Bei der Krise des Euro-Raumes handelt es sich nicht um eine Staatsschuldenkrise, aber der Fiskalpakt bezieht sich nur auf diese.
Insofern war der Verhandlungserfolg der SPD unter der Führung von Sigmar Gabriel sehr gut, der dazu geführt hat, dass sich die Regierung Merkel nun für die Finanztransaktionssteuer und ein Wachstumsprogramm auf europäischer Ebene einsetzt.
Es ist richtig und wichtig, was die SPD heraus verhandelt hat, aber unabhängig davon bleiben für mich eine Reihe grundsätzlicher Probleme bestehen, u.a.:
1. Die Frage nach der Unabänderlichkeit und Rechtswirksamkeit des Fiskalpaktes. Ich habe im Vertrag keine Möglichkeit zur Kündigung oder zum Ausstieg gefunden, und ich komme an der Frage nicht vorbei, welchen Spielraum nachfolgende Parlamente überhaupt noch haben werden. Auch bei den Anhörungen sind dazu sehr unterschiedliche Auffassungen seitens der Sachverständigen vertreten worden. Entweder greifen die im Vertrag zudem unbestimmten „noch vorzuschlagenden“ Möglichkeiten der EU-Kommission (am Bundestag vorbei) durch oder sie sind nicht rechtsverbindlich, und es handelt sich um reine Symbolpolitik.
Für beides stehe ich nicht zur Verfügung
2. Die ungeklärten Auswirkungen auf Deutschland.
Nach der 1/20-Regelung des Fiskalpaktes muss der Bund jedes Jahr rund 25 Mrd. € Schulden abbauen bzw. einsparen. Bundesfinanzminister Schäuble plant für das Jahr 2013 eine NEUverschuldung von 19 Mrd. € und den Haushaltsausgleich für das Jahr 2015/16. Wie gleichzeitig 25 Mrd. € eingespart werden sollen, um den Fiskalpakt zu erfüllen, wird an keiner Stelle gesagt.
Darauf gibt es aber nur drei Antworten: 1) Die Bundesregierung glaubt nicht an die Vorgaben und plant jetzt schon die Nichteinhaltung des Vertrages – das wäre eine üble Täuschung der Bevölkerung und der europäischen Partner. 2) Um die 25 Mrd. € einzutreiben, werden Steuern erhöht. Am einfachsten durchzusetzen ist z.B. die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3%punkte. Dies trifft im wesentlichen untere und mittlere Einkommen und Familien. 3) Es wird erhebliche Einsparungen im Haushalt geben müssen – dies geht nur zu Lasten des Sozialbereiches und auf Kosten von Infrastruktur- und Bildungsmaßahmen.
Alle drei Antworten sind für mich nicht akzeptabel!
Viele Fragen sind offen geblieben. Vielleicht hätte es noch Antworten geben können, aber die Bundesregierung hat einen nicht nachvollziehbaren und nicht akzeptablen Zeitdruck aufgebaut, der das nicht zulässt.
Auch aus diesen Gründen konnte ich nicht guten Gewissens zustimmen und habe daher beim Fiskalpakt mit NEIN gestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
René Röspel