Portrait von René Röspel
René Röspel
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil René Röspel zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Jan N. •

Frage an René Röspel von Jan N. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

ITER.

Meiner Meinung nach ist ITER die Zukunft der Energie.

Warum steckt der Staat viel Geld in das CERN aber sie wollen bei ITER sparen.
Rein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkte ist es doch sinnvoller ITER zu sponsorn als das CERN.
Im Endeffekt führt ITER zu einem direkten Nutzen das CERN ist aber Grundlagenforschung.

ITER nicht weiter zu finanzieren bedeutet genau soviel wie in der Bildung zu streichen.
Auch wenn Erneuerbare uns vor der Klimakatastrophe retten können, kann ITER eine Technologie für die Welt entwickeln. Technologie die ohne Gefahr exportieren werden kann.

Warum wird ITER dem CERN vorgezogen ?

Portrait von René Röspel
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Noetzel,

vielen Dank für Ihre Anfrage über abgeordnetenwatch.de zum Thema ITER. Da Sie diese öffentliche Kommunikationsform gewählt haben, ich aber davon ausgehe, dass viele Leser mit der Abkürzung ITER und CERN nur wenig anfangen können, will ich zu Beginn kurz und verkürzt darstellen, worüber wir uns hier überhaupt unterhalten.

ITER steht für „Internationaler thermonuklearer Experimentalreaktor“. Dabei sollen jene Abläufe in der Sonne, bei denen leichte Atomkerne zu schwereren unter Freisetzung gewaltiger Energiemengen verschmolzen werden; zur Energiebereitstellung in Kraftwerken verwendet werden. Man nennt diesen Forschungszweig auch Fusionsforschung. Im Unterschied zur Kernspaltung werden bei der Kernfusion Atomkerne verschmolzen. Dabei werden wie bei der Kernspaltung große Mengen Energie freigesetzt. Für die Fusion der Atomkerne braucht es enormen Druck und Temperaturen über 100 Millionen Grad Celsius. Eine unkontrollierbare Kettenreaktion ist aber, anders als bei der Atomkraft, zum Glück nicht möglich. Auch die Probleme mit radioaktivem Müll sowie die Möglichkeit der Nutzung als Waffe erscheinen nach heutigem Wissensstand im Vergleich zur Kernspaltung als geringer. 2006 haben sich sieben Partner (die EU, Japan, Russland, USA, China, Indien und Südkorea) zusammengetan und den Bau und Betrieb von ITER vereinbart. Innerhalb der EU wird ITER über EURATOM abgewickelt. Als Standort wurde das französische Cadarache gewählt. Die EU trägt 45,5 Prozent der Kosten. Wenn die ITER-Experimente erfolgreich abgeschlossen werden, soll danach der „Demonstration Power Plant“ (DEMO) gebaut werden.

Bei CERN, der „Europäischen Organisation für Kernforschung“, handelt es sich ebenfalls um eine internationale Organisation für Großforschungsvorhaben, aber einer rein europäischen. Das Gelände von CERN liegt auf der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz. Die Organisation wurde 1954 gegründet. Aktuell betreibt CERN den vor kurzem wieder in Betrieb genommen „Großen Hadronen-Speicherring“ (LHC). In diesem sollen Hadronen gegenläufig auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Dabei sollen verschiedene Theorien der Teilchenphysik verifiziert werden. Dabei wird unter anderem der Frage nachgegangen, wie unser Weltall entstanden ist.

Bei den LHC-Experimenten handelt es sich ganz klar um Grundlagenforschung. Die Ergebnisse und der Nutzen von Grundlagenforschung sind selten vorab bestimmbar. Grundlagenforschung hat aber auch einen Wert an sich. Ein Ergebnis von CERN, wenn auch nicht direkt geplant, nutzen aber viele von uns täglich. Das „world wide web“ (www). Es wurde im Jahr 1990 von einem Computerspezialisten bei CERN erfunden. Ursprünglich war es für die Teilchenphysikerinnen und -physiker konzipiert, die in großen internationalen Teams arbeiten und Informationen und Daten zwischen oft weit entfernt liegenden Universitäten und Forschungsinstituten austauschen mussten.
Auch bei ITER handelt es sich seit vielen Jahren immer noch um Grundlagenforschung. Das sieht man schon daran, dass erst nach Abschluss aller Experimente bei ITER der Versuchsreaktor DEMO errichtet werden soll. In diesem soll dann nachgewiesen werden, ob durch Fusionstechnologie wirklich nachhaltig und kommerziell Energie gewonnen werden kann. Dies funktioniert bisher nämlich nur in der Theorie. Bei ITER haben wir heute darüber hinaus Kostensteigerungen um das 2,5fache des Ursprungpreises. Neuesten Berechnungen der EU-Kommission zufolge müssen Kosten von 7,5 Milliarden Euro durch die Europäische Union, und damit mindestens indirekt durch die Mitgliedsstaaten, geschultert werden. Diese Gelder werden dann in anderen Bereich fehlen. Nach den Erfahrungen mit der amtierenden schwach-gelben Bundesregierung fürchte ich, dass wieder zu Lasten bereits heute nutzbarer erneuerbaren Energie oder Energieeffizienz gespart wird.

Aus forschungspolitischer Sicht macht es keinen Sinn, Grundlagenforschung wie ITER und LHC gegeneinander auszuspielen. Beide haben ihre Berechtigung, beiden sind wissenschaftlich höchst spannend. Das Problem bei ITER ist aber, dass es als Lösung für ein wirklich drängendes Menschheitsproblem dargestellt wird: der Energiegewinnung in Zeiten des Klimawandels. Wie ich oben beschrieben habe, ist noch nicht einmal klar, ob die Fusionsforschung jemals wirklich die Antwort darauf wird liefern können. Selbst wenn alle Fusionsexperimente wie vorgesehen klappen, rechnet man frühestens 2055 mit einem ersten kommerziellen Fusionsreaktor. Bis dahin kann das Weltklima aber bereits gekippt sein, wenn wir nicht gegensteuern. Wir benötigen innerhalb der nächsten 5 bis 10 Jahren eine nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels. Und die kann nach heutigem Stand nur in der regenerativen Energiegewinnung und Effizienztechnologie liegen. Hier existieren bereits funktionsfähige Technikoptionen, bei denen Biomasse, Geothermie, Sonne, Wasserkraft und Wind zur Energieerzeugung genutzt werden. Sie erzeugen heute bereits 15 Prozent des gesamten Bruttostromverbrauchs in Deutschland (wobei das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist). In diesem Bereich sind weitere Forschungsanstrengungen und –gelder notwendig und gut eingesetzt.

Um es zusammenzufassen, ITER ist ein spannendes Feld der Grundlagenforschung. Aus energiepolitischer Sicht jedoch wird diese Technik zu spät kommen. Deshalb muss jetzt prioritär Geld in Technologien gesteckt werden, die in den nächsten Jahren in die Anwendungen gehen werden. Und das sind die regenerativen Energieerzeugungstechniken, die bereits in den letzten Jahren 250. 000 neue Arbeitsplätze und hohe Exportgewinne für Deutschland erbracht haben.

Ich hoffe Ihnen ausführlich geantwortet zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen
René Röspel